Arbeitspartei auf Abwegen
Israels Arbeitspartei setzt neuerdings auf Abgrenzung zu den Palästinenser*innen statt auf Verhandlungen. Das spiegelt einen Trend in der gesamten Gesellschaft wider, die zunehmend von einem Sicherheitsdiskurs dominiert wird, meint Mikhael Manekin.
Oslo, Taba, Genfer Initiative, Roadmap, Annapolis, Kerry-Initiative, französische Friedensinitiative – dies sind nur einige Namen der Dutzenden von Initiativen, die in den vergangenen beiden Jahrzehnten gestartet worden sind, um Israel und Palästina zu befrieden. Auch wenn sie sich leicht voneinander unterscheiden, setzten sie doch alle auf dasselbe Rezept: Israel muss die Kontrolle über die Westbank und den Gazastreifen abgeben und dem palästinensischen Souverän übertragen, der aktuell von der Palästinensischen Autonomiebehörde vertreten wird. Alle stimmten darin überein, dass ein Landtausch sinnvoll wäre, denn seit dem Beginn der israelischen Besatzung sind Hunderttausende in die besetzen Gebiete gezogen.
Alle diese Initiativen sind jedoch letztlich gescheitert. Auf israelischer Seite scheiterten sie, weil die Führung Israels kein Interesse an ihrer Umsetzung hatte. Besonders eindeutig ist dies im Fall Netanjahus. Seine Regierung war seit 2010 an zwei Friedensprozessen beteiligt, obwohl sie keineswegs die Absicht verfolgte, eine Zweistaatenlösung tatsächlich umzusetzen. Warum? Um es ganz offen zu sagen: Der rechte Flügel Israels wird sich zu nichts verpflichten, was im absoluten Gegensatz zu seinen grundsätzlichen Überzeugungen steht, egal, in welche Form man es packt.
Ein Mitte-Links-Bündnis muss her
Auch wenn den meisten diese Fakten bekannt sein dürften, ist es dennoch wichtig, sie noch einmal zu nennen. Während die Zeit verstreicht und die Frustration über den Stillstand in Israel/Palästina anhält, wird ein wiederkehrender Gedanke laut: „Vielleicht war der Vorschlag nicht exakt genug. Vielleicht können wir einen Prozess kreieren, der die ideologischen Programme außen vor lässt.“ Überlegungen dieser Art sind der Grund dafür, warum wir uns immer wieder vor Augen führen müssen, dass sich ein politisches Problem nicht auf apolitische Weise lösen lässt. Und das kann nur eines bedeuten: Die Regierungsübernahme eines Mitte-links-Bündnisses ist eine Grundvoraussetzung für die Beendigung der fast 50-jährigen israelischen Herrschaft über die Palästinerser*innen. Nur unter einer Regierung, die den Konflikt wirklich lösen will, werden wir den Friedensprozess voranbringen können. Nur wenn ein Narrativ den öffentlichen Diskurs bestimmt, mit dem ernsthaft die Absicht verfolgt wird, eine andere Politik als die der Besatzung zu betreiben, wird einer der unzähligen Lösungsvorschläge umgesetzt werden.
Das Mitte-links-Lager in Israel scheitert aber schon lange daran, sich bei diesem Thema als Alternative zur Rechten zu präsentieren, und erlaubt ihr somit, die israelische Öffentlichkeit mit Narrativen der Angst und des Misstrauens gegenüber einem palästinensischen Staat zu beherrschen. Obgleich die Umfragen immer wieder zeigen, dass eine Mehrheit der israelischen Bevölkerung eine Zweistaatenlösung bevorzugt, zeigen sie auch eine wachsende Skepsis darüber, dass dies tatsächlich erreicht werden kann.
Demzufolge muss unsere oberste politische Aufgabe darin bestehen, ein fortschrittliches und positives Narrativ zu entwickeln und es dem Pessimismus von Netanjahu entgegenzusetzen. Leider versäumt es der Oppositionsführer und Chef der Arbeitspartei Jitzchak Herzog, genau das zu tun.
Der Herzog-Plan
Im Wissen darum, dass die Rechte den Sicherheitsdiskurs dominiert, hat Herzog ein neues Rezept für einen Friedensplan mit den Palästinerser*innen bekannt gegeben. Vieles davon ist nicht neu, denn wie oben bereits beschrieben, ist die Formel für den Frieden bereits seit Langem bekannt. Die politischen Details sind daher von untergeordneter Bedeutung. Neu an der Initiative ist jedoch die Rhetorik – bei Weitem die rechtslastigste Rhetorik einer Friedensinitiative eines Chefs der Arbeitspartei überhaupt. Herzog, in einem offensichtlichen Versuch, den von rechts beherrschten Diskurs zu bedienen, stellte seinen Plan in der Terminologie der Rechten vor: Der Chef der Linken spricht nicht länger von der Notwendigkeit einer Mäßigung, palästinensischer Souveränität und, Gott behüte, von Frieden. Sondern er spricht von hohen Zäunen und einem tiefen Pessimismus hinsichtlich der Möglichkeit, langfristig einen palästinensischen Staat zu errichten. Seine Siedlungsrhetorik ist unaufrichtig, zum einen spricht er davon, den Bau weiterer Siedlungen zu stoppen, lässt aber die notwendige Räumung unerwähnt. Und er nennt Jerusalem die vereinte Hauptstadt Israels (obwohl jedes Friedensabkommen deren effektive Teilung in zwei Hauptstädte vorsieht). Im Wesentlichen versucht er, eine politische Alternative zu Netanjahu vorzulegen, die aber keine ideologische Alternative darstellt.
Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt und bedeutet einen Rückschritt für die progressiven Kräfte in Israel. Zunächst einmal wird ihn sein Plan unter den Israelis nicht beliebter machen. Wozu sollten sie eine aufgeweichte Version nehmen, wenn sie das Original haben können? Schwerer jedoch wiegt, dass Herzog durch die Fortführung der rechten Rhetorik sein primäres Ziel verfehlt, nämlich den Aufbau eines ideologischen Gegengewichts zu Netanjahu, das in letzter Instanz eine fortschrittliche Regierung in Israel ermöglichen wird.
Unsere Herausforderung besteht nicht darin, ein neues Rezept einer Zweistaatenlösung zu finden. Dies gibt es bereits seit Jahrzehnten. Unsere Herausforderung besteht vielmehr darin, eine Mehrheit der Israelis davon zu überzeugen, dass ein souveränes Palästina in ihrem Interesse liegt. Dies kann nur durch die Schaffung eines fortschrittlichen und überzeugenden Narrativs gelingen. Herzog ist mit seinem Plan daran gescheitert und hat sich stattdessen entschieden, der Rechten nachzugeben.
Mikhael Manekin ist der israelische Leiter des neugegründeten Bündnisses Alliance for Israel's Future und von Israel Tomorrow, einem Politikberatungsunternehmen. Er ist Senior Fellow bei Molad, einem neuen Think Tank für die Erneuerung israelischer Demokratie, dem er bis Sommer 2016 vorstand. Vor Molad leitete er die Organisation Schovrim Schtika (Breaking the Silence / Das Schweigen brechen), eine Organisation ehemaliger Militärangehöriger, die Zeugenaussagen von Soldat*innen, die in den besetzten palästinensischen Gebieten im Einsatz waren, sammelt und veröffentlicht. Mikhael Manekins Publikationen und Schriften konzentrieren sich auf den Nahostkonflikt und die politischen Strategien der Linken. Er wurde 1979 in New York (USA) geboren, emigrierte 1991 nach Israel und lebt seither in Jerusalem.
(Übersetzung von lingua•trans•fair)
Autor:in
Mikhael Manekin wuchs in Jerusalem auf und studierte an der Ma'ale Gilboa Yeshiva. Derzeit ist er Kodirektor der Forschungsgruppe Nationalismus und Partnerschaft am Van Leer Institute und Direktor des arabisch-jüdischen Stipendienprogramms der Allianz für Israels Zukunft. Sein Buch «Der Anbruch: Ethik und Erlösung in einer Zeit der jüdischen Macht» (auf Hebräisch) wurde 2021 im E-vrit Verlag veröffentlicht.