„Das schwächste Glied“
Lilach Ben-David hat vor fünf Jahren die erste Trans*–Organisation in Israel mitgegründet. Wie sich die Situation seitdem verbessert hat und wie Trans*-Menschen in Israel weiterhin diskriminiert werden, erklärt sie im Interview.
Lilach Ben-David ist eine Mitgründerin des „Gila-Projekt für Transgender Empowerment“ und Vorstandsmitglied des feministischen Zentrums in Haifa „Isha L’Isha“. Neben ihren Aktivitäten in der Trans*- und LSBTQII-Community schreibt sie für das israelische Nachrichtenportal Sicha Mekomit und studiert Jura an der Universität Haifa. Im Februar sprach sie auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung über „Die Anderen der Anderen –Queere Kämpfe gegen Rassismus“ in Leipzig. Die Veranstaltung ist Teil der Reihe „Beieinander und Miteinander – Linke Gespräche zwischen Deutschland und Israel“.
RLS: Die größte israelische LSBT-Organisation, die Agudah, vertritt offiziell auch die Interessen von Trans*-Menschen. Warum habt ihr euch für eine Arbeit außerhalb dieser Organisation entschieden und das Gila-Projekt als erste Trans*-Organisation in Israel ins Leben gerufen?
Die Agudah vertritt vor allem die Interessen von schwulen Männer aus einer bestimmten Klasse und einer bestimmten ethnischen Zugehörigkeit. Weiße schwule aus der Mittelschicht. Als Trans*-Aktivist*innen wurden wir innerhalb der großen LSBTQII-Organisationen nicht gehört. Mitarbeiter*innen von Agudah sprachen häufig über die schwul-lesbische Community, ohne uns auch nur zu erwähnen. Deswegen wollten wir eine Organisation – aus der Trans*-Community, für die Trans*-Community.
Wie unterstützt ihr Trans*-Menschen konkret?
Wir unterstützen Menschen in extremen Situationen. Mal muss schnell eine Lösung für eine Trans* Frau gefunden werden, die aus ihrer Wohnung geworfen wurde, oder für eine Trans*-Sexarbeiterin, die von der Polizei bedroht wird. Es gab zwar zuvor schon lose Unterstützungsnetzwerke für Trans*. Aber mit dem Gila-Projekt können wir unsere Ressourcen zusammenzubringen und mit der vereinigten Macht der Community agieren.
Ihr habt als ein Unterstützungsprojekt angefangen, macht jetzt aber auch politischen Lobbyarbeit. Wie kam es dazu?
Wir haben gemerkt, dass wir von einer Krise zur anderen rennen, dass es überall brennt, ohne dass wir das Feuer löschen können. Wir sind einen Schritt zurück gegangen, um das größere Bild zu sehen. So kam es dazu, dass wir uns mit institutioneller Politik auseinandersetzten. Als Graswurzelaktivist*innen war uns das fremd, aber wir sahen keine andere Möglichkeit.
Wie ist denn der Umgang der israelischen Sozialstaats mit Trans*Menschen?
Der Staat hat seine Verantwortung gegenüber seinen Bürger*innen radikal privatisiert. Davon sind Trans*-Menschen ganz besonders betroffen.
Warum?
Trans*-Menschen sind viel mehr als andere auf den Sozialstaat angewiesen: Sie werden oft von ihren Familien verstoßen, erleben extreme Gewalt, verlieren häufig ihre Jobs, und brauchen Geld für Operationen. Trotzdem werden sie vom Sozialstaat diskriminiert. Aber auch zivilgesellschaftliche Einrichtungen, die die Verantwortung des Staates teilweise übernommen haben, sind oft unzugänglich für die besonderen Bedürfnisse von Trans*-Menschen.
Was fordert ihr konkret?
Der Staat muss die Verantwortung für Trans* Menschen übernehmen. Wir wollen, dass alle Hilfsangebote, die Trans* diskriminieren, wie Entzugskliniken, Unterstützungsprogramme für Sexarbeiter*innen, Obdachlosen-Unterkünfte und Angebote der Sozialhilfe, für Trans* Menschen insbesondere und für alle LSBTQII zugänglich gemacht werden. Wir fordern, dass das Gesundheitssystem uns Ärzte zur Verfügung stellt, die Trans* Menschen respektieren und gut behandeln, egal ob für eine Erkältung oder für hormonale Behandlungen.
Wie ist die Lage bei der Frage der Geschlechtsangleichung in Israel?
Es gibt ein staatliches Komitee für die Geschlechtsumwandlung, das vom Gesundheitsamt beauftragt wird. Es entscheidet als Gatekeeper, wem eine Operation zur Geschlechtsangleichung erlaubt wird. Wir kämpfen seit Jahren für eine Liberalisierung und haben einige Erfolge gehabt: die Wartezeit wurde auf zwei Jahre reduziert, das Mindestalter für den ersten Antrag wurde von 21 auf 18 gesenkt, außerdem sitzt eines unserer Mitglieder seit kurzem im Komitee. Unsere politische Forderung bleibt jedoch die Abschaffung des Komitees. Wir müssen niemandem beweisen, dass wir das Recht auf eine Operation haben.
Werden geschlechtsangleichende Operationen in Israel von der Krankenversicherung bezahlt?
Teils, teils. Nicht-genitale Operationen werden zur Zeit nicht finanziert. Dabei sind sie oft genau so wichtig für Trans* Menschen. Insgesamt fehlt es immer noch an Wissen und Bewusstsein im Gesundheitssystem und das Niveau der Behandlung in Israel liegt im internationalen Vergleich weit hinten.
Und wie ist die rechtliche Situation von Trans*Menschen in Israel?
Aktuell setzt das Innenministerium hohe bürokratische Hürden für die Änderung des Geschlechtseintrages. Wir wollen, dass das schneller und unkomplizierter geht. Aber auch hier hat das Innenministerium eine Gatekeeper-Funktion. Zudem wollen wir, dass das Gleichbehandlungsgesetz geändert wird. Es kennt zwar die Kategorien Geschlecht und sexuelle Orientierung, aber keine Geschlechtsidentität. Eine Gesetzesänderung wurde durch die Netanjahu-Regierung blockiert. Diese Diskriminierung in der Arbeitswelt ist ein Grund dafür, dass so viele Trans* Menschen in Armut leben, Sexarbeit nachgehen oder keine Wohnung finden.
In Gila Projekt arbeiten Trans*-Frauen und -Männer gemeinsam. Schafft das Probleme?
Das Gila-Projekt ist vielfältig: Bei uns sind Trans*-Männer und -Frauen, aber auch Menschen, die keine binäre Geschlechtsidentität haben und dazu auch viele Cis-Gender-Menschen ehrenamtlich tätig. Die meisten unserer Klient*innen sind jedoch Trans* Frauen. Natürlich gibt es viele Unterschiede zwischen den Perspektiven von Trans*-Männern und -Frauen. Obwohl wir von außen oft als ein Block gesehen werden, teilen wir in unseren geschlechtlichen Erfahrungen wenig. Was uns aber vereint ist unser gemeinsames Verständnis, dass unsere Community genau so stark ist wie ihr schwächstes Glied und wir verpflichtet sind, diesen Schwächsten beizustehen.
Wenn du gerade von den Schwächsten sprichst: Wie geht ihr mit der Diskriminierung von Palästinenser*innen, Geflüchteten und Arbeitsmigrant*innen um?
Das Gila-Projekt hat keine offizielle Position zur Besatzung – das ist nicht unser Thema. Wir unterstützen aber viele palästinensischen Trans*-Frauen aus den besetzten Gebieten oder aus der palästinensischen Minderheit in Israel, wie auch Arbeitsmigrant*innen und afrikanische Geflüchtete. Wir unterstützen sie mit allem, was uns zur Verfügung steht, ohne politische Hintergedanken. Leider scheitern wir aber fast immer, für diese Menschen ein Asylrecht in Israel zu erreichen.
Eure Organisation ist jetzt fünf Jahre alt. Hat sich der Umgang mit Trans* Themen in der israelischen Gesellschaft verändert?
Wir habe etwas angestoßen: innerhalb der Community, aber auch in der breiten Gesellschaft. So wurde zum Beispiel das Thema Trans* als Leitthema für mehrere Pride-Paraden ausgewählt. Uns kann keiner mehr ignorieren. Auch die großen LSBTQII-Organisationen arbeiten jetzt gern mit uns zusammen. Wir bringen unser Wissen und unsere Erfahrungen mit, sie stellen ihre Ressourcen zur Verfügung.
Im Ausland wird der Umgang Israels mit seiner LSBTQII-Community als vorbildhaft dargestellt. Wie siehst du das?
Die Lage der Trans*-Community in Israel ist überhaupt nicht zufriedenstellend: Trans*-Menschen werden institutionell diskriminiert, sie verlieren ihre Jobs und haben nur begrenzten Zugang zu den medizinischen Behandlungen, die sie brauchen. Allein im letzten Jahr haben wir vier Mitglieder unserer Community verloren, die sich das Leben genommen haben. Der Staat hat also keinen Grund, stolz zu sein. Ganz im Gegenteil. Ich erwarte von Menschen im Ausland, die sich ernsthaft für die Lage von Trans*-Menschen in Israel interessieren, dass sie uns nicht instrumentalisieren, um die menschenverachtende israelische Regierungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten zu verharmlosen und sich stattdessen für unsere Rechte einzusetzen. Ich hoffe auch, dass sich mehr Stimmen in unseren Communities dieser PR-Kampagne widersetzen und erklären, dass die Besatzung nicht in unserem Namen legitimiert und pink-gefärbt werden darf. Wenn der Staat Israel sein Ansehen zurückgewinnen will, sollte die Regierung nicht nur die LSBTQII-Community stärker unterstützen, sondern vor allem die Besatzung und die Diskriminierung der palästinensische Staatsbürger*innen von Israel beenden.
Vielen Dank, Lilach!