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Filmfest "Cinema South": Ein Kulturfestival stellt den Süden Israels in den Mittelpunkt

Das jährlich stattfindende Filmfest „Cinema South“ hat sich zu einem der wichtigsten Kulturereignisse im vernachlässigten Süden Israels entwickelt. Von Anfang an hat es vor allem den Menschen aus der Region eine Stimme gegeben, und sich damit gegen die gesellschaftliche und kulturelle Hegemonie des Zentrums gestellt. Ein besonderer Schwerpunkt war dieses Jahr ein neues Programm für lokales palästinensisches Kino. Kifah Abdul Halim hat sich unter den Macher*innen des Festivals umgehört.

Am 15.Juni endete in Sderot, im Süden Israels, das 16. Filmfest "Cinema South". Hunderte Besucher*innen aus der Region sowie Filmliebhaber*innen und Fachleute aus allen Landesteilen machten das Festival zu einem großen Erfolg. Seit 2001 wird das fünftägige Filmfest jedes Jahr im Juni von der Schule für Audio- und visuelle Kunst des Sapir-Colleges zusammen mit der Sderot Cinematheque organisiert. Ursprünglich als Festival für Filme von Studierenden ins Leben gerufen, entwickelte es sich seitdem zu einem der wichtigsten Kulturereignisse im Süden Israels. Neben den Filmfesten in Jerusalem, Haifa und Tel Aviv, zählt es inzwischen zu den größten im Land, auch wenn es im Vergleich mit diesen weiterhin als alternativ gilt. Die Besonderheit des Festivals besteht in seinem Fokus auf die Film- und Kulturproduktion in den südlichen Randgebieten Israels, von den ehemaligen „Entwicklungsstädten“ Sderot und Netivot über die Beduinenstadt Rahat bis hin zu Ortschaften an der Grenze zum Gazastreifen. Bekanntermaßen steht diese Region nicht im Mittelpunkt des Interesses und verfügt nicht über die gleichen Ressourcen wie das Landeszentrum, wo ein Großteil der wichtigen Kulturveranstaltungen stattfindet.

Somit ist es kein Zufall, dass das Festival gerade in Sderot seinen Anfang nahm: Die Wahl dieser Stadt im Süden ist als ein politisches Statement zu verstehen. Den Süden in den Mittelpunkt zu stellen bedeutet, die gesellschaftliche und kulturelle Hegemonie des Zentrums herauszufordern. Die Regisseurin Meital Abukasis, eine Absolventin des Sapir-Colleges, die seit der ersten Stunde für das Festival arbeitet, formuliert es so: „Von Anfang an war es unser Ziel, ein integraler Bestandteil dieser Region zu sein. Dieses Festival ist das einzige, das im Süden von Menschen organisiert wird, die entweder selbst aus der Region kommen, oder das klare Ziel haben, den Süden zu stärken. Wir möchten die lokale Bevölkerung so gut wie möglich am Festival beteiligen. Darum finden die Veranstaltungen des Festivals an verschiedenen Orten im nördlichen und südlichen Negev statt. Dazu kommen die zentralen Veranstaltungen in der Sderot Cinematheque. Außerdem sind alle Veranstaltungen des Festivals kostenlos und für jeden zugänglich, seien es nun Filme, Workshops oder Konzerte. Das machen wir, um möglichst viele Menschen aus der Region anzuziehen. Diese Präsenz vor Ort und der direkte Kontakt mit den Menschen ist uns sehr wichtig."

Aus ihrer persönlichen Erfahrung erzählt Abukasis: „Die Ausgangslage war, dass es für die Studierenden der Hochschule keine Orte gab, um ihre Filme zu zeigen, sie waren gezwungen nach Tel Aviv zu gehen. Das hat uns dazu bewegt, zweitägige Screenings der Studierendenfilme zu organisieren. Nach und nach zeigten wir israelische und internationale Produktionen, sowohl Spiel- als auch Dokumentarfilme, bis wir uns schließlich zu einem internationalen Festival entwickelten, das die großen Namen anzieht. Heute wollen israelische Regisseurinnen und Regisseure, dass ihre Filme bei uns Premiere haben. Das liegt daran, dass es uns gelungen ist, uns als ein alternatives Festival zu etablieren, das eine andere Seite der Film- und Kulturproduktion zeigt. Wir geben besonderen, mutigen Stimmen Raum, Stimmen die sich auf unbekanntes Terrain wagen und das Dominante herausfordern. Die Filme, die wir hier machen, sind in vielen Fällen sehr ungemütlich. Um mich als Beispiel zu nehmen: Ich komme aus Dimona und habe einen Film über meine aus Casablanca eingewanderte Großmutter gedreht, in dem ich die Identitätskrise der Mizrachim behandele. Vielen geht es so wie mir: Robby Elmaliah aus Sderot, Mekikas Ronen Amar aus Netivot oder Efrat Corem aus Ashkelon. Unsere Arbeiten bringen den vergessenen Hinterhof Israels auf die Leinwand: Armutsviertel, alleinerziehende Mütter und Väter, Proletarier. Wir kommen alle aus einem bestimmten Milieu (wie man auch an unseren Namen erkennen kann) und aus der Peripherie. Natürlich haben nicht alle, die sich am Festival beteiligen, einen orientalischen Ursprung, es gibt noch andere. Aber es ist unsere Stimme, mit der das Festival spricht. Viele unserer Inhalte richten sich an sogenannte soziale Randgruppen, während wir kommerziellen Produktionen nur wenig Raum einräumen. All das macht den Charakter des Festivals aus: Es ist nah am Menschen, warm und nicht elitär. Auch bei der Auswahl des musikalischen und künstlerischen Programms orientieren wir uns am lokalen Publikum. Sei es nun Zehava Ben, mit deren Auftritt das Festival heute Abend enden wird, oder Raymonde Abecassis und Neta Elkayam in vergangenen Jahren."

Während es dem Festival auch dieses Jahr wieder gelungen zu sein scheint, seinen Grundsätzen und seinem alternativen Ansatz treu zu bleiben, haben die Organisator*innen ein neues Programm für lokales palästinensisches Kino ins Leben gerufen. In diesem Rahmen werden Filme arabischer Regisseurinnen und Regisseure aus dem Land gezeigt, wobei der Schwerpunkt jedes Jahr auf einer bestimmten Stadt oder Region, und den dort produzierten Filmen, liegt. Dieses Jahr präsentierte das Festival die auf den Golanhöhen gelegene drusische Stadt Majdal Shams durch mehrere Kurzfilme der Regisseure Amir Fakhreddin und Ehab Tarabieh. Der Kurator des „Middle-East Now“ Programms des Festivals, Kaid Abulatif erklärt: „Für dieses Jahr haben wir uns vorgenommen, das 'Middle-East Now' Programm auszuweiten, um einen Raum speziell für das lokale arabische Kino zu schaffen. Majdal Shams haben wir wegen der kulturellen Aufbruchsstimmung ausgewählt, die auf den Golanhöhen in den letzten Jahren zu spüren ist, und wegen des neuen Bewusstseins, dass sich dort unter den jungen Leuten verbreitet. Im nächsten Jahr wird der Fokus auf Umm al-Fahm liegen [größte muslimische Stadt, im Norden Israels; Anm.d.Red.], und bereits jetzt arbeiten wir an der Ausschreibung, die sich sowohl an Studierende als auch an professionelle Regisseur*innen richten wird."

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Ehab Tarabieh - Filmausschnitt "The Forgotten"
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Amir Fakhreddin - Filmausschnitt "Voice Mail"

Zu der arabischen Beteiligung am Festival sagt Abulatif: „Jedes Jahr nehmen arabische Schauspieler und Regisseure teil. Alle, die Filme machen, sind hier vertreten. Verglichen mit anderen Festivals ist die arabische Präsenz hier auffällig hoch. Und das liegt nicht daran, dass uns jemand einen Gefallen getan hätte, sondern an unseren Fähigkeiten und an dem, was wir beitragen. An Fähigkeiten mangelt es nicht - weder im Negev, noch im Muthalath [„Dreieck“, Region in Israel mit hohem arabischen Bevölkerungsanteil; Anm.d.Red.] oder in Galiläa, aber Chancen für arabische Kreative gibt es so gut wie nicht. Auch im Publikum sind Araber aus dem Süden vertreten, allerdings weniger zahlreich als in den Vorjahren. Das liegt zum einen am Fastenmonat Ramadan, und zum anderen am Klima der Gewalt, das hier seit einiger Zeit herrscht. So viele Menschen sind getötet worden, dass es keine Familie mehr gibt, die nicht einen ihrer Söhne verloren hätte. Der Araber hat nun Angst vor dem Juden und der Jude Angst vor dem Araber. Auch die allgemeine Atmosphäre im Land treibt die Menschen immer mehr auseinander, wovon dann einige Politiker profitieren. Aber wenn wir Filmstudenten nach Rahat bringen, dann sehen wir, wie sie ihre Vorurteile über Bord werfen und ihre Einstellung ändern. Kultur ist das beste Mittel, um Spaltungen zu überbrücken. Denn wenn wir einander näher kennenlernen, macht das all die populistischen Parolen der Politiker zunichte."

Kifah Abdul Halim ist freischaffende Journalistin, Übersetzerin und Redakteurin von Al Lassaa, der arabischsprachigen Seite des Internet-Magazins HaOkets ("der Stachel")

Übersetzung: lingua•trans•fair

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