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Brandbrief israelischer Schriftsteller:innen zur Abschiebung von Geflüchteten

Geehrte Knesset-Abgeordnete, geehrte Mitglieder der israelischen Regierung und geehrter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu,

wir fordern Sie dazu auf, die Abschiebung der aus Eritrea und dem Sudan stammenden Asylsuchenden zu stoppen, Männer und Frauen, deren Körper und Seelen die entsetzlichen Narben ihrer Flucht und der Folterlager im Sinai tragen, sowie ihrer Kinder, die in Israel geboren wurden und die uns nur um eines bitten: ihr Leben.

Im Gegensatz zu der enormen Flüchtlingswelle, die den Westen und den afrikanischen Kontinent überschwemmt, handelt es sich bei den in Israel befindlichen Asylsuchenden um weniger als ein Prozent der Bevölkerung des Landes, dessen Tore seit 2012 für Asylsuchende geschlossen sind. Israel hat kein Flüchtlingsproblem und es bereitet keine wirtschaftlichen Probleme die hier lebenden Asylsuchenden zu integrieren und anzusiedeln und sie in Pflegeberufen, der Landwirtschaft und dem Bauwesen zu beschäftigen, wo Arbeitskräfte gebraucht werden. Während circa 100.000 ausländische, zumeist osteuropäische Staatsangehörige, die sich illegal im Land aufhalten, nicht verfolgt und zwangsweise gezielt abgeschoben werden, beabsichtigt die israelische Regierung, ausgerechnet jene 35.000 Asylsuchenden aus Afrika, die vor dem Feuer Geflüchteten und Schutzbedürftigsten zu verfolgen und zwangsweise abzuschieben.

Das nie bewiesene Argument des Staats, dass es sich nämlich gar nicht um Asylsuchende handle, wird durch das staatliche Vorhaben widerlegt sie gegen Bezahlung in ein „Drittland“ abzuschieben und eben nicht in die Länder, aus denen sie geflohen sind. In Bezug auf diese ist nachgewiesen, dass die Asylsuchenden dort aller Wahrscheinlichkeit nach gefoltert und hingerichtet werden. Ruanda und Uganda, die von staatlicher Seite in Israel als „Drittländer“ genannt werden, haben jedoch bekanntgegeben, dass sie keine solchen Abkommen mit Israel haben. Wohin bringen also die Flugzeuge die recht- und schutzlosen Abgeschobenen und an wen verkauft der israelische Staat ihr Leben?

Es wäre möglich gewesen die riesigen Beträge des Staatshaushalts, die in die Internierungsanlagen Cholot und Saharonim investiert wurden, sowie die Gelder, die jetzt zur Finanzierung der Abschiebung bestimmt sind, das heißt Milliarden von Schekel, in die Integration, statt in die Verfolgung, zu investieren und somit einen wirtschaftlichen und moralischen Gewinn zu erzielen.

Leider hat das Gericht die Abschiebung auf der Basis von Garantien genehmigt, die der Staat bezüglich der Sicherheit der Abzuschiebenden geboten hat. Es ist wichtig zu erwähnen, dass das Gericht die Abschiebung von Geflüchteten aus dem Südsudan in ihr Herkunftsland 2012 aufgrund ebensolcher Garantien genehmigte. Viele der Abgeschobenen, insbesondere Babys und Kinder, sind aufgrund dessen unter schrecklichen Umständen ums Leben gekommen und andere sind seitdem in einer Hölle von Kämpfen, Verfolgung, Folter, Vergewaltigung und Sklavenhandel gefangen. Ihr Blut klebt an unseren Händen, aber wir haben die Pflicht die Zehntausenden von Asylsuchenden, die noch unter uns leben, vor einem ähnlichen Schicksal zu retten. Nicht nur um ihretwillen, sondern auch um unsertwillen, um unsere Menschlichkeit als Angehörige einer Nation zu bewahren, die den Vers konzipierte: „Und ihr sollt die Fremden lieben, denn ihr seid Fremde gewesen“ [Deuteronomium 10:19].

Die Geschichte unseres Volkes dreht sich in dem Grab um, das für sie ausgehoben wurde. Juden dürfen Flüchtlinge nicht verfolgen und abschieben; der israelische Staat darf diese humanitäre Katastrophe nicht verursachen, und Sie sind dazu berechtigt, dies zu verhindern.

Nach den Worten des Schulleiters der Bialik-Rogozin-Schule[1] in Tel Aviv sei dies der moralische Standard, dem der israelische Staat und seine Bürger entsprechen und gemäß dem sie leben wollen, ja sogar müssen. Die jüdische und menschliche Moral habe uns eine historische Verpflichtung auferlegt; falls dieser nicht nachgekommen würde, würde dies zu einer generationenlangen Tragödie führen.

Die Abschiebung der Asylsuchenden wird voraussichtlich kurz vor dem Holocaustgedenktag beginnen. Wir rufen Sie dazu auf, moralisch, menschlich und mit dem dem jüdischen Volk würdigen Mitgefühl zu handeln und die Abschiebung der Asylsuchenden in die Hölle, aus der sie geflüchtet sind, rechtzeitig zu stoppen. Andernfalls werden wir jegliche Hoffnung auf ein moralisches Leben verlieren.

    David Grossman

    Amos Oz, Israel-Preisträger

    A.B. Yehoshua, Israel-Preisträger

    Prof. Shimon Sandbank, Israel-Preisträger

    Tuvia Rübner, Israel-Preisträger

    Lea Aini

    Meir Shalev

    Savyon Liebrecht

    Joshua Sobol

    Zeruya Shalev

    Raquel Chalfi

    Prof. Nissim Calderon

    Orly Castel Bloom

    Youval Shimoni

    Etgar Keret

    Dr. Michal Ben-Naftali

    Noa Yadlin

    Prof. Ayelet Shamir

    Alona Kimchi

    Dov Alfon

    Tal Nitzan

    Agi Mishol

    Ilana Hammerman

    Edna Mazya

    Yossi Sucari

    Prof. Avraham Oz

    Nurit Zarchi

    Yishai Sarid

    Shimon Adaf

    Ya’ara Shachori

    Ilana Bernstein

    Shimon Bouzaglo

    Dana Amir

    Iris Eliya-Cohen

    Dory Manor

Übersetzt von Ursula Wokoeck Wollin

Anmerkungen:

[1] In dieser Schule im Süden Tel Avivs lernen viele der Flüchtlingskinder.

Weiterführende Links

Protest gegen Massenabschiebungen - Gegen den Plan der israelischen Regierung alle im Land verbliebenen afrikanischen Geflüchteten abzuschieben regt sich Widerstand. Eine Übersicht

Haggai Matar, Das Das Gelobte Land, aber nicht für Asylsuchende

Reut Michaeli, Hass als Mittel der Politik

Haokets: Wo wart ihr, als man die Geflüchteten abschob?

Theater macht Gesetz, RLS Israel