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Demonstration für Palästina, Paris, 11.1.2024. Foto: ActiveStills

Die Klage am Internationalen Gerichtshof in Den Haag: Drei Gründe für vorsichtigen Optimismus

Es ist heutzutage schwer, Gründe für Optimismus zu finden, und ich bin im Allgemeinen kein besonders optimistischer Mensch. Auch wenn ich nicht viel Hoffnung in die Fähigkeit des Internationalen Gerichtshofs setze, den Krieg im Gazastreifen zu beenden und dem endlosen Leid, das seit mehr als hundert Tagen auf unseren Seelen brennt, ein Ende zu bereiten, finde ich in der Diskussion, die in Südafrikas Klage gegen Israel in Den Haag stattgefunden hat, einige Gründe für vorsichtigen Optimismus.

Ein Grund ist, dass mit der Eröffnung der Verhandlung ein langes Kapitel in der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts endete; ein Kapitel, während dessen Israel eine demonstrative Missachtung des internationalen Rechtssystems zur Schau gestellt hat, aufgrund seines Gefühls der Immunität und Überlegenheit gegenüber dem Recht; ein Gefühl, das über die Jahre immer stärker geworden ist.

In vielen Fällen erreichte diese Missachtung den Punkt der völligen Absage an die rechtlichen und moralischen Verpflichtungen, die das Völkerrecht Staaten im Allgemeinen und Besatzungsmächten im Besonderen auferlegt. Dazu gehören unter anderem die Untergrabung der Legitimität internationaler Gerichte, dadurch, dass Israel sie der Heuchelei, Doppelmoral und sogar des Antisemitismus beschuldigt; sowie die Verfolgung von Menschenrechtsorganisationen in Israel und den besetzten Gebieten.

Dieses Gefühl der Immunität wurde durch den weltweiten Aufstieg der populistischen Rechten noch verstärkt, deren Vertreter*innen nicht zögerten, Israel auf seinem Weg zur Institutionalisierung des Apartheidregimes zur Seite zu stehen. Im Gegenzug verschließt Israel die Augen vor dem Aufstieg des nationalistischen Diskurses mit antisemitischen Unterklängen, der an den Rändern dieser Gesellschaften wuchs, und hat sie in vielen Fällen sogar beschönigt.

Im Israel selbst hat die israelische Politik das Völkerrecht in eine Handvoll hohler Slogans verwandelt, die von einigen Linken und Leuten, die Israel angeblich ins Verderben stürzen wollen, genutzt werden, weswegen der Bevölkerung nichts anderes übrig bleibe, als an die Richtigkeit des Weges zu glauben und zu wissen, dass die Welt gegen uns ist, egal was Israel tut.

Es gibt jedoch Grund zur Annahme, dass all dies in den Anhörungen im Gerichtssaal in Den Haag in die Brüche ging, als das südafrikanische Team die gesamte Faktenlage darstellte, die darauf hindeutet, dass ein systematisches Handeln vorliegt, um jegliche Möglichkeit eines Lebens im Gazastreifen nach dem Krieg zu eliminieren und das Territorium in die Hölle auf Erden zu verwandeln, in einen „Friedhof für Kinder“, wie hochrangige UNO-Mitarbeiter*innen es nannten.

Plötzlich kann man sehen, dass Diplomat*innen, Politiker*innen und Medienleute „desillusioniert“ sind und erkennen, dass die Welt hinschaut, und sogar Hebräisch versteht, und Israel nicht mehr als das arme schutzbedürftige Kind sieht, sondern als den Gewalttäter in der Region. Sie erkannten auch, dass der israelische Propaganda-Apparat, der darauf ausgelegt ist, die die gesamte Welt mit dem israelischem Narrativ zu versorgen, die Schreckensbilder, die aus dem Gazastreifen kommen, nicht verbergen kann.

Ein zweiter Grund für Optimismus besteht darin, dass die israelische Öffentlichkeit – auf English und auf internationaler Bühne – alles hört, was sie in den letzten drei Monaten auf Hebräisch nicht gesehen und gehört hat, da die israelischen Medien während dieser Zeit ihr Amt niedergelegt und freiwillig als Abteilung des israelischen Armeesprechers fungiert haben. Die undurchdringliche Trennwand, den die israelische Gesellschaft seit jenem verfluchten Shabbat (7.Okt. 2023) um sich herum aufgebaut hat und die sie bis heute nicht überwunden hat, beginnt endlich zu reißen. Dieser Riss erfordert nun, dass die Medien ihre Arbeit tun und der Öffentlichkeit die Realität widerspiegeln, statt der kranken Fantasie der totalen Zerstörung und ethnischen Säuberung – Verzeihung, der „freiwilligen Auswanderung“ – denn man kann die Menschen in Israel nicht für immer im Dunkeln halten.

Ein dritter Grund, nicht weniger wichtig, besteht darin, dass obwohl sich das derzeit laufende Verfahren zwar mit den „angeblichen“ Kriegsverbrechen – wie sehr Israelis das Wort „angeblich“ mögen – befasst, die seit Ausbruch des Krieges im Gazastreifen begangen wurden, die Diskussion auch erhebliche Konsequenzen dafür haben könnte, wie Israel sein Verhalten in den besetzten Gebieten der Westbank fortsetzt, sowohl kurz- als auch langfristig. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass in dieser Angelegenheit beim Internationalen Strafgerichtshof ein Verfahren gegen Israel anhängig ist, und mögliche weitere Verfahren in Zukunft folgen werden.

Solche Konsequenzen zeichnen sich bereits heute in den in den Medien anonym zitierten Äußerungen hochrangiger Militärs ab. Diese warnen vor den verheerenden Gefahren, die sich aus dem weiteren Vorgehen der Armee und der Siedlermilizen unter dem Kommando von rechtsradikalen wie Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir, die in dem Gerichtsverfahren in Den Haag zitiert wurden, ergeben können. Es ist anzunehmen, dass sich die damit angesprochenen Gefahren nicht nur auf die Möglichkeit eines großflächigen Gewaltausbruchs beziehen, sondern auch auf die Schwierigkeit, die von diesen messianischen Fantasien diktierten Veränderungen der Situation vor Ort eines Tages in Den Haag zu verteidigen.

Es kann sein, dass ich mich irre und zu optimistisch bin, oder zu viel Hoffnung in das Völkerrecht, die Medien oder die israelische Gesellschaft setze. Aber keiner der Gründe, die ich hier aufgeführt habe, ist eine Rechtfertigung oder Aufforderung, sich zurückzulehnen und darauf zu warten, dass alles gut wird; ganz im Gegenteil. Vor allem weisen sie auf die Dringlichkeit hin, dem universellen moralischen Wertesystem wieder das richtige/angemessene Gewicht zu verleihen und es wieder in den Mittelpunkt des israelischen und palästinensischen Diskurses zu stellen, um eine neue Sprache zu schaffen – eine Sprache, die eine neue Realität beschreibt, in der alle Menschen gleich sind und eine Nation nicht auf den Ruinen einer anderen Nation lebt.

Ich mache mir immer wieder bewusst, dass Optimismus gefährlich sein kann, wenn er nicht mehr ist als ein bloßer Aberglaube, dass alles gut wird.

Aus dem Hebräischen übersetzt von Ursula Wokoeck Wollin

 Der Artikel wurde ursprünglich am 14. Januar 2024 auf dem hebräisch-sprachigen Nachrichtenportal Sicha Mekomit veröffentlicht.

Autor:in

Amal Oraby ist ein Jurist und Menschenrechtsaktivist