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Eine Frau sammelt ihre Habseligkeiten aus den Ruinen der zerstörten Häuser im Beduinendorf Umm al-Hiran im Süden Israels, 18. Januar 2017. Foto: Hadas Parush/Flash90
Die Zerstörung von Umm al-Hiran macht eines deutlich: Niederlassen dürfen sich dort nur Juden*Jüdinnen
Mit perfiden Mitteln macht der israelische Staat die Bewohner*innen Umm al-Hirans (Negev) zu Gesetzesbrecher*innen. Dabei hatten sie eine Erlaubnis für die Gründung ihres Dorfes erhalten. Nun hat man es zerstört, und zwar mit der Behauptung, dass das Stück Land für die jüdische Gemeinde von „Hiran“ benötigt werde. Das ist jedoch ein fadenscheiniger Vorwand. Dieser Akt der Zerstörung gilt allein der Abschaffung der Rechte von Araber*innen, seien diese auch noch so aufrichtige und gesetzestreue Bürger*innen oder mutige Soldat*innen.
Nach Jahren des Kampfes wurden im November 2024 noch die letzten Gebäude in Umm al-Hiran plattgewalzt. Diese Verwüstung kommt nicht von Ungefähr. Der israelische Staat hat sie vielmehr zu seinem Prinzip gemacht: Während es Juden*Jüdinnen erlaubt ist, sich niederzulassen, Siedlungen zu errichten, ja sogar illegale Außenposten und ungeplante Kleinsiedlungen, die unter Militärschutz stehen, müssen sich die Beduin*innen mit dem abfinden, was man ihnen gibt. Und wenn sie dies nicht tun, so werden sie so lange unterdrückt, bis sie Staub fressen.
Erinnern wir uns daran: Im Jahre 1947 lebten im Negev ungefähr einhunderttausend Beduin*innen. Während und in Folge des ersten arabisch-israelischen Krieges von 1948 mussten die meisten von ihnen fliehen oder wurden vertrieben, sodass 1949 nur etwa zehntausend von ihnen übriggeblieben sind. Nach einiger Zeit wurde wenigen tausenden die Rückkehr gestattet. Die Militärregierung konzentrierte sie unter Einsatz von Zwangsmitteln im Tal von Beer Sheva. So wurden die Bewohner*innen Umm al-Hirans aus der Region Shovals entwurzelt, um ihnen späterhin zu befehlen, sich auf einem felsigen Hügel niederzulassen, der zu ihrem Zuhause geworden ist.
Während zweier Jahrzehnte hat der Staat keinen Finger für die Ansiedlung der Beduin*innen gerührt. Er kümmerte sich nicht um ihr Wohlergehen, ja interessierte sich schlichtweg nicht für ihr Schicksal. Die Militärregierung schränkte ihre Bewegungsfreiheit ein, raubte allmählich ihre Grundstücke und erklärte diese entweder zu sogenanntem „Militärübungsgelände“ oder angeblichen Naturschutzgebieten. Erst 1968 kam es mit Tel Sheva zur Gründung einer ersten Beduinensiedlung.
Zwar begann der Staat jetzt ein Stück Verantwortung für die Ansiedlung der Beduin*innen zu übernehmen, doch pferchte er diese in einer kleinen Anzahl an Siedlungen ein, nämlich den sogenannten „sieben Städtchen“. Das Prinzip der Bevölkerungskonzentrierung wurde mit Hilfe des Planungs- und Baurechts durchgesetzt. So wurde, von einem Tag auf den anderen, ein Großteil der Beduin*innen von Wahrer*innen zu Brecher*innen des Gesetzes gemacht.
Die Politik der Konzentrierung
Niemandem ist es in den Sinn gekommen, die landwirtschaftlichen jüdischen Ortschaften (Kibbuzim und Moschawim) zu räumen und die Bevölkerung nach den extra für Juden*Jüdinnen errichteten Städten Ofakim und Arad umzusiedeln. Ganz im Gegenteil: Der Staat investierte eine enorme Summe in die Entwicklung der umliegenden Dörfer.
Die Logik, der man bei der Ansiedlung der Beduin*innen folgte, war eine ganz andere. Mit der Intention, die verstreute beduinische Bevölkerung zu konzentrieren, wurden sieben Städte errichtet. Dementsprechend erhielten die umliegenden Beduinendörfer keinerlei Bebauungsmöglichkeiten oder Konzessionen seitens des Staates. Alles andere als das: Ihnen wurde der Zugang zu Wasser verwehrt und Weideflächen genommen.
Nach einiger Zeit wurden die Dörfer zum Ziel regelmäßiger Schikane und Unterdrückung gemacht. Man behauptete, sie seien rechtswidrig. Auch wenn sie vor 1948, das heißt bevor das israelische Gesetz überhaupt erst in Kraft getreten ist, gegründet worden sind. Ebenfalls wurde ignoriert, wenn nach 1948 der Militärgouverneur die Gründung eines Dorfes zugelassen, ja sogar, wenn er sie selbst beauftragt hatte. Die Beduin*innen kämpften jedoch öffentlichkeitswirksam für ihre Sache. Und sie waren erfolgreich, denn Anfang der 2000er wurden elf ihrer Dörfer anerkannt. Das bedeutete natürlich nicht, dass ihre Dörfer die gleiche Unterstützung seitens des Staates erhalten hätten wie die jüdischen Dörfer. Aber zumindest wurde ihnen Raum zur eigenständigen Entwicklung gelassen.
Demgegenüber sind allerdings noch ungefähr 30 Dörfer nicht anerkannt wurden und leiden weiterhin unter Schikane und Unterdrückung. Für Juden*Jüdinnen ist das Siedeln in Dörfern ein Recht, welches sogar vom Ministerium für Landwirtschaft gefördert wird. Dieses bietet jedem*jeder, der*die sich hier niederlassen will, eine Fläche von 80 Dunam (80.000 Quadratmeter) an. Während die Gründung einer jüdischen Siedlung also als eine wertvolle Tat angesehen wird – nun, den Beduin*innen ist es untersagt, „die Wüste fruchtbar zu machen“, wie es Ben-Gurion nannte. Sie sind nicht vorgesehen im zionistischen Narrativ.
Eine Chronologie von Lügen
Wenngleich die Regierung sich endlich dazu entschied, einen Teil der Beduinendörfer anzuerkennen, so war ihr diese Entscheidung offensichtlich schwergefallen: Zwar wurde das Dorf Bir Hadaj anerkannt. Doch jegliche Förderung seiner Entwicklung blieb aus. Zwar hatte die Regierung das Dorf Al-Fura’a, in dem mehr als 10.000 Menschen wohnen, zuerst in ihren Planungen berücksichtigt. Im Jahre 2010 fror sie alle etwaigen Unternehmungen jedoch wieder ein, und zwar zugunsten einer zu errichtenden Phosphatmine (Sde Barir), welches Projekt damals vom Geschäftsmann Idan Ofer geleitet wurde. Zwar initiierte die Bennett-Regierung (2021-2022) den Aufbau dreier Dörfer. Doch blockierte sie seine Planung sogleich wieder, indem sie die Umsiedlung der Beduin*innen des umliegenden Gebietes zur Bedingung machte, und das, obwohl diese sich weigerten, in jenen Dörfern zu leben.
Ihre bösartigste Form nahm die israelische Politik der Bevölkerungskonzentrierung im Abriss des Dorfes von Umm al-Hiran an. Das Ganze begann mit einer Lüge: Vor Gericht behauptete der Staat, dass die Bewohner*innen des Dorfes in sein Territorium eingedrungen seien. Das tat er so lange, bis Dokumente entdeckt wurden, die beweisen, dass der damalige Militärgouverneur ihnen das Stück Land selbst zugewiesen hatte. Danach wurde behauptet, dass das Land für die Ansiedlung der jüdischen Gemeinde von „Hiran“ benötigt werde. Nun genügt allerdings ein flüchtiger Blick auf die Karte, um zu sehen, dass diese Gemeinde ohne Probleme auch in der Nähe hätte angesiedelt werden können. Die ganze Gegend besteht nämlich aus freien Flächen. Es geht hier also gar nicht um eigentlich jüdische Belange. Der einzige Zweck des Abrisses von Umm al-Hiran ist die Abschaffung der Rechte von Araber*innen.
Der Abriss des Dorfes setzte sich fort in der Verleugnung der Wahrheit: Im Verlauf des Gerichtsprozesses brachten die Bewohner*innen Umm al-Hirans ihre Bereitschaft zum Ausdruck, als ein Stadtteil in die geplante Siedlung „Hiran“ integriert zu werden. Das verantwortliche Gericht, dessen eigentliches Ziel eben in der Beseitigung der Rechte der Beduin*innen bestand, fand jedoch eine billige Ausrede, um eben dieses Ziel zu rechtfertigen. Wenn sie wollten, so stünde es ihnen theoretisch frei, sich zukünftig auf einen Wohnsitz in Hiran zu bewerben. Das ist in der Tat eine theoretische Option, eine vollkommen theoretische nämlich. Denn wie groß werden bitteschön die Chancen für eine muslimische Familie sein, dass deren Antrag auf einen Wohnsitz vom Aufnahmekomitee einer orthodoxen Siedlung, deren Gründer*innen überdies Settler*innen sind, bewilligt werden wird.
Mit dem brutalen Angriff der Polizei auf die Bewohner*innen Umm al-Hirans und der Tötung von Yaqub Abu Al-Qian, der in dem Dorf wohnte und Lehrer an einer weiterführenden Schule gewesen ist, erreichte die Zerstörung ihren Höhepunkt. Hieran schloss sich der unfassbare Versuch an, den getöteten Yaqub als einen Terroristen darzustellen. Später hat sich Netanjahu hierfür vor der Familie entschuldigt.
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Die Zerstörung von Umm al-Hiran macht eines deutlich: Die Planung von Siedlungen ist eine allein jüdische Angelegenheit. Für die Beduin*innen stehen nur jene Orte offen, die wir für sie im Rahmen unserer Politik der Bevölkerungsverdichtung vorgesehen haben. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie, so wie Yaqub, loyale Bürger*innen sind oder sogar, so wie ein Teil der Familie Yaqubs, mutige Soldat*innen bei den israelischen Streitkräften.[1]
Es mag zwar sein, dass ihr einen Pass bekommen habt, der euch als israelische Staatsangehörige dokumentiert, doch gelten für euch nichtsdestotrotz andere Regeln. Wir sind diejenigen, die darüber entscheiden, wo ihr wohnen dürft. Wir sind auch diejenigen, die eure Siedlungen planen, und zwar auf so geringer Fläche wie möglich, so, dass sie gedrungen, mittellos und ärmlich sind. Auf ein Dorf habt ihr kein Anrecht. Und wenn ihr es wagt, euch den Regeln zu widersetzen, die euch als Bürger*innen zweiter Klasse definieren, so werden wir gewaltsam eure Häuser niederreißen. Wir werden gegen euch mit aller Kraft vorgehen, so als wäret ihr unsere Feinde.
Die Bulldozer zerstören nicht nur ein Dorf, sondern versuchen unter seinem Schutt die Möglichkeit einer gemeinsamen Gesellschaft zu begraben. Zerstörung kann nur Hass gebären. Doch sie werden hiermit scheitern müssen, denn wir, die seit zwei Jahrzehnten mit den Menschen aus Umm al-Hiran zusammenarbeiten, wissen, dass die entscheidende Mehrheit der Bewohner*innen des Negev, Juden*Jüdinnen und Araber*innen, sich der Zerstörung und dem Hass widersetzt und sich nicht unterkriegen lässt. Wir wissen, dass sie auch weiterhin auf ihr Recht bestehen und für eine gemeinsame und egalitäre Gesellschaft im Negev kämpfen werden, einer Gesellschaft, die im Zeichen des Wohles aller Bewohner*innen steht.
Übersetzung aus dem Hebräischen von Christoph Hopp
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Umm al-Hiran ist ein dokumentarischer Kurzfilm aus dem Jahr 2022, gedreht von den Beduininnen Āʾishah Abu al-Qi'an und Ruqayyah Abu al-Qi'an. Sie erzählen von ihrem Leben in dem nicht anerkannten Dorf Umm al-Hiran, das von einer gewaltsamen Räumung bedroht ist. Der Film wurde im Dezember 2022 beim Solidarity Film Festival in Tel Aviv mit dem ersten Preis in der Kategorie Kurzfilm ausgezeichnet.
Aishah und Ruqayyah sind langjährige Teilnehmerinnen des Projekts „YUṢAWIRUNA – Fotografieren für Menschenrechte“, das vom Negev Coexistence Forum for Civil Equality durchgeführt und vom RLS Israel Office unterstützt wird.
Anmerkungen
[1] Aus Vertrauen in den neuen Staat, hat seit den 1950er Jahren ein Teil der Beduin*innen sowie anderer Minoritäten, etwa der Drusen und Tscherkessen, freiwillig in der israelischen Armee gedient.
Autor:in
Haya Noach leitete das Negev Coexistence Forum for Civil Equality bis 2025.