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Israelische Soldaten nahe der Grenze zu Gaza, Mai 2024. Foto: Chaim Goldberg/Flash90

Ein Militärhaushalt für den permanenten Krieg

Die höchste Priorität, die Israel ans Militärbudget einräumt, steht seit dem Krieg von 1967, als Israel die Sinai Wüste, den Gazastreifen, die Golanhöhen und die palästinensische Westbank eroberte, fest. Die Benachteiligten sind die schwachen Schichten der israelischen Gesellschaft.

Israel versteht sich als westliche Nation. Und vieles spricht dafür: Israel verfügt über ein solides – wenngleich turbulentes – politisches Regime, eine fortschrittliche Wirtschaft, eine entwickelte Infrastruktur, einen relativ hohen Bildungsstand, ein modernes öffentliches Gesundheitssystem sowie ein umfassendes Sozialsystem.

Dennoch hinkt Israel in den meisten dieser Bereiche dem Westen hinterher: So stellt Israels Sozialsystem zwar einen Großteil der Sozialdienstleistungen zur Verfügung, die von einem westlichen Sozialstaat erwartet werden können, die dafür bereitgestellten Mittel sind jedoch so begrenzt, dass die meisten Leistungsempfänger*innen unter oder nur knapp über der Armutsgrenze leben müssen.

Dass das Sozialbudget vergleichsweise bescheiden ausfällt, liegt vor allem an seinem größten Konkurrenten um öffentliche Gelder: dem Militärbudget, dem die höchste Priorität eingeräumt wird. Dieser Vorrang rührt wiederum daher, dass Israel sich bis auf wenige Ausnahmen (etwa dem Jahrzehnt nach dem Sinai Krieg 1956 und dem Jahrzehnt nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973) in einem ununterbrochenen Konflikt mit unterschiedlichen Zusammenschlüssen arabischer Staaten (1948, 1956, 1967 und 1973) und mit Palästina (1948, 1987, 2000-2005, und 2023-2024) befindet. Hinzu kommen zahlreiche Konfrontationen niedriger Intensität, wie die zwei Intifadas und die beiden Invasionen im Libanon (1982-2000 und 2006) sowie der derzeitige (2023-2024) Stellvertreterkrieg höherer Intensität, den Israel – gegen die Hamas – mit Iran führt.

Der Verteidigungshaushalt stand nicht immer an erster Stelle: Bis 1967 war Israel vorrangig mit der Aufnahme riesiger Einwanderungswellen beschäftigt, die mit Nahrungsmitteln, Unterkunft und Arbeitsplätzen versorgt werden mussten. Die israelische Politik hatte damit an erster Stelle eine zivile Agenda. Man sagt, dass Jigal Jadin, der damalige Generalstabschef der israelischen Streitkräfte (IDF), sich schon bald nach Ende des Krieges 1948 an Ben Gurion wandte, um im Hinblick auf eine mögliche «zweite Runde» gegen die arabischen Armeen einen größeren Verteidigungsetat zu fordern. Ben Gurion wies das Gesuch mit der Begründung zurück, dass das Geld für die Aufnahme neuer Immigrant*innen benötigt werde. Damals trat Jadin zurück und Ben Gurion setzte die zivile Agenda fort.

Der Krieg von 1967 sollte zum Wendepunkt werden: Israel eroberte die Sinai Wüste und den Gazastreifen von Ägypten, die Golanhöhen von Syrien und die palästinensische Westbank von Jordanien. Ursprünglich wollte Israel an den Territorien festhalten, um sie bei Verhandlungen als Druckmittel einzusetzen: eine Entscheidung, die das Land zu einem großen Akteur im Nahen Osten machen sollte. Mit seinem größeren stehenden Heer und seiner schlagkräftigen, von den USA unterstützten Luftwaffe wurde Israel ein anderes Land: Der bekannte Soziologe Erik Hobsbawm scherzte, der Zionismus habe die Jüd*innen von einem Schtetl zu einem Statel gebracht, – nun hat sich der jüdische Staat, obwohl er nicht größer als ein Statel ist, zu einer regionalen Macht etabliert.

Der neue geopolitische Status hatte allerdings seinen Preis. Er erforderte enorme Investitionen in militärisches Personal, Waffen und Munition. Wie Amir Oren in Haaretz schrieb,[1]

«Man benötigte nur acht Kompanien – Fallschirmjäger*innen, Golani-Brigaden und Grenzpolizei. Sie sicherten die offenen und fragilen Grenzen Israels … bis zum Mai 1967… Das war die gesamte Bodentruppe, die die israelischen Verteidigungskräfte zur Aufrechterhaltung der Sicherheit entlang der Konfrontationslinien mit Jordanien, Ägypten, Syrien und Libanon einsetzen mussten. Eine durch Zäune und elektronische Überwachung markierte Grenze, die von der Luftwaffe geschützt wurde, gab es nicht …»

Die Situation änderte sich, als Israel beschloss, die neuen Gebiete zu behalten: Wie Amir Oren erläuterte, wuchs die Zahl der Kompanien, die zur Verteidigung der nun längeren Grenzen benötigt wurden, auf 92 an:

«92 ist mehr als elf mal acht – die Armee benötigte nach dem Sechstagekrieg 92 Kompanien, um die neuen Grenzen zu bewachen und in den eroberten Gebieten zu patrouillieren.»[2]

Ein halbes Jahrhundert später, im Jahr 2020, waren die regulären israelischen Streitkräfte deutlich größer. Mit einem Anteil von 4,24 Prozent an der Erwerbsbevölkerung lagen sie auf Platz neun einer Rangliste von 165 Ländern. Kein anderer Mitgliedsstaat der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erreichte einen höheren Rang.[3]

Der Militärhaushalt wurde zum mit Abstand größten Einzelposten im israelischen Jahreshaushalt. Beeindruckt von den militärischen Leistungen Israels im Jahr 1967, machten die USA den jungen Staat zu ihrem wichtigsten Stellvertreter im Nahen Osten. Damit verbunden war ein umfangreiches Hilfspaket – das größte der Welt vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges. Der überwiegende Teil des Hilfspaket wurde in Form von US-Dollar für den Kauf von in den USA hergestellten Rüstungsgütern bereitgestellt. Hinzu kamen aber auch ein Anteil in israelischen Schekels: für Treibstoff, Ausbildung und die Wartung des Geschenks.[4]

Ein Blick auf die Zahlen lohnt sich. Militärhaushalte lassen sich unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten vergleichen: ihr Anteil am Bruttoinlandprodukt oder ihr Anteil am gesamten Staatshaushalt. Israel liegt mit beiden Anteilen vorne: 2022 belief sich der israelische Militärhaushalt auf 4,51 Prozent seiner Wirtschaftsleistung – der höchste Prozentsatz unter den OECD-Ländern.[5] Im selben Jahr belief sich Israels Militärhaushalt auf 12,2 Prozent des gesamten Jahreshaushalts.[6]

Und das ist noch nicht das Ende der Geschichte: Der Wirtschaftswissenschaftler Yossi Zeira weist darauf hin, dass der genannte BIP-Anteil nicht vollständig ist, da er die Tatsache außer Acht lässt, dass eine große Zahl junger Männer nicht am zivilen Arbeitsleben teilnimmt, was sich jährlich in einem Verlust von 5,7 Prozent des BIP niederschlägt.[7]

Sobald das Verteidigungsbudget feststeht, bleibt nicht mehr viel für andere nicht-militärische zivile Haushaltsposten übrig. Während die zivilen öffentlichen Ausgaben der OECD-Länder im Jahr 2023 durchschnittlich 42,2 Prozent des BIP (ohne Zinsen und Militärausgaben) betrugen, waren es in Israel 32,9 Prozent – ein Viertel weniger.[8]

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Trotz all dieser Ressourcen hat Israel Schwierigkeiten, die vollen Kosten für die Aufrechterhaltung seines «imperialen» Militärstatus ohne ausländische Hilfe zu decken.

Heute kommt die finanzielle und nichtfinanzielle Militärhilfe überwiegend aus den USA. In der Vergangenheit waren die Quellen noch vielseitiger: 1956 lieferten Frankreich und England entsprechende Hilfen und seit 1967 dann die USA.

Angaben des amerikanischen Rats für auswärtige Beziehungen (Council on foreign Relations) zufolge macht die US-Hilfe etwa 15 Prozent des israelischen Verteidigungshaushalts aus.[9] (eingesehen am 20.06.2024). Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts haben die USA eine Vereinbarung unterzeichnet, die Israel bis 2028 jährlich fast 4 Milliarden Dollar zusichert.[10]

Was die Kampfhandlungen im gegenwärtigen Krieg mit der Hamas betrifft, so haben die USA Israel mit Panzer- und Artilleriemunition, Bomben, Raketen und Kleinwaffen versorgt und erwägen weitere Lieferungen, darunter fünfzig F-15-Kampfflugzeuge.

Genug, um die Kämpfe am Laufen zu halten.

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Quelle: Weltbank, Mai 2024.

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Quelle: Weltbank, Mai 2024.

Permanente Kriege und zunehmende Distanzierung von der OECD

Früher hatten die Kriege in unserer Region einen Anfang und ein Ende. Selbst der Jom-Kippur-Krieg. Und mit Sicherheit der sogenannte Sechstagekrieg. Nun scheint es, als gäbe es Kriege, deren Endpunkt nicht absehbar ist.  

Schon mit Beginn des heutigen Krieges warnte der israelische Premierminister – und fast alle IDF-Generäle taten es ihm gleich – dass der Krieg lange dauern werde. Auch die israelische Zentralbank scheint diese Einschätzung zu teilen. Sie prognostizierte kürzlich, dass sich die Gesamtkosten des gegenwärtigen Konflikts mit der Hamas auf 250 Milliarden Schekel belaufen werden – wenn der Krieg bis 2028 dauern sollte.[11] Dies würde durchgehend hohe Militärausgaben bedeuten sowie kontinuierliche große Hilfspakete aus den USA erfordern. Der Druck auf den israelischen Sozialhaushalt, der ohnehin zunehmend unter den Folgen des andauernden Krieges und den scheinbar nicht enden wollenden Verwerfungen steigt, würde weiter wachsen.[12]

Der dringende Bedarf an umfassenden Investitionen in das israelische Sozialsystem ist bekannt. Bei den meisten sozioökonomischen Indikatoren liegt Israel am unteren Ende der OECD-Skala. Selbst ohne Haushaltskürzungen hat der Sozialdienstleistungssektor mit einem Arbeitskräftemangel zu kämpfen: Immer weniger Fachkräfte sind bereit, für die niedrigen Löhne zu arbeiten, die ihnen der öffentliche Sektor bietet. Dies bedeutet, dass Israels Chancen in die höheren Ränge der OECD-Sozial- und Wirtschaftsskala aufzusteigen, von Jahr zu Jahr geringer werden, sofern die Kriegshandlungen weitergehen und der Militärhaushalt weiterhin oberste Priorität genießt.

Übersetzung von Gegensatz Translation Collective

Anmerkungen

[1] Oren, Amir: Dem Terror nachgeben. Zurück zur Resolution 242, in Haaretz, 13.04.2004 (auf Hebräisch).

[2]  Ebd.

[3]  Siehe Anteil der Streitkräfte an Erwerbsbevölkerung, Länder Rangliste. Unter: https://www.theglobaleconomy.com/rankings/armed_forces_percent_labor_force/https:/data.worldbank.org/indicator/MS.MIL.XPND.GD.ZS/?end=2022&most_recent_value_desc=true&start=2022&view=map (eingesehen am 20.06.2024).  

[4]  Siehe Fenster unten zur US-Hilfe für Israel.

[5] Siehe Weltbank, Mai 2024 (eingesehen am 20.06.2026).  

[6]  In den Ausgaben sind die Kosten für innere Sicherheit und öffentliche Ordnung nicht inbegriffen.

[7]  Zeira, Yossi: Die israelische Wirtschaft (2018), S. 126. (Hebräisch). Reservist*innen nicht inbegriffen.  

[8]   Siehe Zentralbank Israel: Jahresbericht 2023.  

[9]  Siehe amerikanischer Rat für auswärtige Beziehungen: US Aid to Israel in Four Charts. Unter: https://www.cfr.org/article/us-aid-israel-four-charts (eingesehen am 20.06.2024).

[10]  Ebd.

[11]  Siehe Zentralbank Israel (30.05.2024). Die israelische Wirtschaft: Eine Wirtschaft im Schatten des Krieges.   

[12]  Siehe darüber hinaus die Veröffentlichungen des Adva Center.  

Autor:innen

Etty Konor-Attias ist Doktorandin in der Abteilung für öffentliche Politik der Universität Tel Aviv und die Forschungskoordinatorin am Adva Center.

Shlomo Swirski ist Soziologe und akademischer Leiter des Adva Centers.