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Plakat mit der Aufschrift «Ende des Ayatollah-Regimes im Iran», 20. Mai 2024. Foto: Chaim Goldberg/Flash90

Iran und Israel: Die Konstruktion einer existenziellen Bedrohung

Iran und Israel pflegten in den ersten Jahrzehnten nach der israelischen Staatsgründung enge Beziehungen. Doch seit mehreren Jahrzehnten und insbesondere in den letzten 15 Jahren sind beide Länder zu Erzfeinden geworden. Wie kam es zu diesem Wandel? Ein Erklärungsversuch

Während ich hier sitze und diesen Beitrag schreibe, erfahren die israelisch-iranischen Beziehungen eine weitere radikale Wendung. Am frühen Morgen des 31. Juli 2024 wurde der Leiter des Politbüros der Hamas, Ismail Haniyya, in Teheran getötet, aller Wahrscheinlichkeit nach auf Geheiß Israels. Haniyya hatte nur wenige Stunden zuvor an der Amtseinführung des neuen iranischen Präsidenten Massoud Pezeshkian teilgenommen. Er wurde offenbar durch einen von iranischem Sicherheitspersonal in sein Zimmer geschmuggelten Sprengsatz getötet, obwohl es zunächst hieß, er sei Opfer einer Rakete geworden, die von einer israelischen Drohne oder einer Rakete innerhalb oder außerhalb des iranischen Luftraums abgeschossen wurde. Iran hat bereits einen harten Vergeltungsschlag angekündigt, und die Israelis bereiten sich seit Tagen auf einen solchen vor. Erschwerend kommt hinzu, dass Israel in der letzten Juliwoche sowohl strategische Ziele im Libanon als auch im Jemen bombardiert hat, wobei in beiden Fällen schwere Schäden an Zielen der Hisbollah bzw. der Houthi-Milizen entstanden sind. Beide Organisationen sind Verbündete von Iran, die gemeinhin als deren «Stellvertreter» bezeichnet werden. Im Zuge seiner nicht enden wollenden genozidalen militärischen Kampagne im Gazastreifen haben israelische Regierungsvertreter wiederholt behauptet, dass das von der Hamas verübte Massaker vom 7. Oktober von Iran geplant und orchestriert wurde und dass Iran hinter der ständigen Eskalation der Feindseligkeiten im Nahen Osten stehe, aus Vernichtungswut gegenüber Israel.

Die aktuellen Entwicklungen bieten einen geeigneten Ausgangspunkt für einen kurzen historischen Überblick über die Beziehung zwischen den beiden Ländern. Das Muster der anhaltenden verdeckten Feindseligkeiten, die von offenen Eskalationsschüben begleitet werden, scheint zur Gewohnheit zu werden, ja schier unabwendbar zu sein. Dabei waren Iran und Israel früher enge Verbündete, insbesondere unter der Herrschaft von Muhammad Reza Shah Pahlavi zwischen 1951-1979. Beide Länder unterhielten eine besondere Beziehung zu den Vereinigten Staaten. Zehntausende Israelis lebten und arbeiteten in den 1960er und 1970er Jahren im Iran. Beide Länder sahen sich als natürliche Verbündete, als aufstrebende Regionalmächte und als Träger besonderer Identitäten in einem ansonsten feindseligen arabisch geprägten Nahen Osten. Doch seit viereinhalb Jahrzehnten und insbesondere in den letzten 15 Jahren sind beide Länder zu Erzfeinden geworden. Wie kam es zu diesem Wandel?

Die Antwort ist, wie so oft, eine Kombination aus historischen Ereignissen, politischem Kontext und unterschiedlichen Interpretationen. Die Gründung der Islamischen Republik Iran im Anschluss an die Revolution von 1979 spielte eine wichtige Rolle in diesem Prozess. Die Islamische Republik entstand in krasser, direkter Opposition zur pro-westlichen Monarchie des Schahs. Zu Beginn der Revolution war sie nicht islamisch. Tatsächlich gingen die Führer der revolutionären Koalition 1979 davon aus, dass die Kleriker zunächst einen einigenden Faktor im revolutionären Kampf darstellen würden und sich nach der Absetzung des Schahs würdevoll in ihre klerikalen Stuben zurückziehen würden. Sie waren ziemlich überrascht, als Ayatollah Ruhollah Khomeini nach Monaten des politischen Vakuums die Exekutivgewalt an sich riss und ein Volksbegehren zur Gründung einer islamischen Republik ausrief.

Die junge islamische Republik sprach sich daraufhin vehement gegen den «westlichen Imperialismus» aus und sah in Israel den Inbegriff dieser Zuschreibung. Zweifellos gibt es in den höheren Rängen der Islamischen Republik durchaus Antisemitismus, doch war er in diesen Jahren weder die Norm noch war er handlungsleitend für offizielle (oder inoffizielle) Politik des Staates. Der Westen wiederum betrachtete Iran in den darauffolgenden Jahren als die Inkarnation all seiner Ängste. Die Kombination aus religiösem Fanatismus und politischer Revolution gefiel niemandem, auch nicht den US-Amerikanern und der damaligen Sowjetunion. Als die neue Islamische Republik 1980 einen Krieg gegen Irak von Saddam Hussein begann, unterstützten die meisten Länder der Welt zunächst Irak in einer seltenen Demonstration der Einigkeit.

Am 4. November 1979 wurde die US-amerikanische Botschaft in Teheran von einer Gruppe iranischer Universitätsstudenten besetzt. 53 Diplomat*innen und Zivilist*innen wurden 444 Tage lang als Geiseln gehalten, bis sie am 20. Januar 1981 freigelassen wurden. Die USA fühlte sich von der Islamischen Republik gedemütigt, und die von der Carter-Regierung initiierte und fehlgeschlagene Rettungsaktion, «Eagle Claw», vergrößerte die Demütigung nur noch. Die Feindschaft zwischen der Islamischen Republik und den USA war damit in Stein gemeißelt, und Israel wurde sofort integraler Teil dieses Feindbildes. Die USA wurden zum «großen Satan» und Israel zum «kleinen Satan», der im Herzen des muslimischen Nahen Ostens nach der US-Pfeife tanzte. Israel wurde zu einem beliebten rhetorischen Feindbild für die Führung der Islamischen Republik.

Die israelische Invasion im Libanon im Jahr 1982 spielte ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Veränderung der Beziehungen zwischen Iran und Israel. Die Islamische Republik wurde zum wichtigsten Förderer der Hisbollah, einer bewaffneten, religiösen schiitischen Gruppe, die als Alternative zur Amal auftrat, der langjährigen schiitischen Miliz, die im libanesischen Bürgerkrieg (1975-1990) gegen Sunniten und Christen gekämpft hatte. Am 18. April 1983 verübte die Hisbollah einen der verheerendsten Terroranschläge der Geschichte auf die US-amerikanische Botschaft in Beirut. Die Unterstützung Irans für die Organisation, die sich zu Khomeini, dem Obersten Führer der Islamischen Republik, bekennt, brachte die Rivalität zwischen dem Iran und Israel aus israelischer Sicht sehr viel näher an das eigene Territorium.

Doch die vielleicht größte Veränderung hat in den letzten 15 Jahren stattgefunden. In dieser Zeit wurde Israel fast ausschließlich von verschiedenen Rechtskoalitionen unter Benjamin Netanyahu regiert. Sein wichtigstes Projekt besteht bis heute darin, den politischen Prozess zwischen Israelis und Palästinenser*innen, der mit den Osloer Abkommen 1993 begonnen hatte, zunichte zu machen. Unter Ministerpräsident Yitzchak Rabin (1992-1995) hatte sich Israel dem Versuch einer friedlichen Lösung zugewandt, nachdem es seine militärische Überlegenheit gegenüber seinen arabischen Nachbarstaaten effektiv gesichert und eine Bedrohung aus der Ferne in Form des ersten Golfkriegs, überstanden hatte.

Netanjahu, der 1996 zum ersten Mal an die Macht kam, gründete sein politisches Überleben auf der Frustration in der israelischen Bevölkerung über diese Friedensbemühungen. Die größte Herausforderung bestand für ihn darin, eine neue «existenzielle Bedrohung» zu erkennen und zu popularisieren. Iran war aus seiner Perspektive dafür der geeignete Kandidat. Da beide als «Außenseiter» in einer überwiegend arabischen Region gelten und beide über wirtschaftliche Potenz im Vergleich zu den meisten arabischen Ländern (mit Ausnahme der Ölstaaten am Persischen Golf) verfügen, konkurrieren sie um Status und Einfluss im Nahen Osten. Und obwohl mit der Gründung der Islamischen Republik tatsächlich aus einer ehemaligen Partnerschaft eine erbitterte Feindschaft wurde und auch rhetorisch seitdem anderes zu hören ist: Die islamische Republik hat ihre Rivalität mit Israel strategisch gesehen nicht Sinne eines aktiven Strebens für die völlige Zerstörung Israels verstanden. Die Vorstellung, der Iran sei eine «existenzielle Bedrohung» für Israel, ist ein politisches Projekt der Ära Netanjahu.

Die Vorstellung, der Iran sei eine «existenzielle Bedrohung» für Israel, ist ein politisches Projekt der Ära Netanjahu.

Warum brauchte Netanjahu eine existenzielle Bedrohung durch den Iran? Um die israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete als notwendig und unvermeidlich darzustellen und jeden Plan zur Gründung eines palästinensischen Staates zu verwerfen. Eine existenzielle Bedrohung, die auf der Interpretation des Irans als fanatisch/irrational/messianisch (oder alles zusammen) beruht, ermöglicht es Israel, sich von seiner eigenen jahrzehntelangen totalitären Militärherrschaft zu distanzieren. Wenn die Bedrohung der Sicherheit Israels von Teheran aus orchestriert wird, wenn diese Bedrohung ihren Ursprung in einem unerbittlichen, kompromisslosen Antisemitismus hat, dann sind Israels Handlungen und seine Politik das Ergebnis einer unausweichlichen Notwendigkeit. Die Palästinenser*innen werden in dieser Lesart vom Iran mit einem radikalen Engagement für die Zerstörung Israels manipuliert. Israel könne daher nur mit so viel Gewalt wie möglich reagieren, um die Zerstörungsversuche Irans zu vereiteln.

Diese Rahmensetzung wurde zur grundlegenden Dynamik in den Beziehungen zwischen Israel und Iran. Israel entwickelte eine nationale Sicherheitsdoktrin, die den Iran als seinen Hauptfeind betrachtet. Die Schirmherrschaft Irans über die Hisbollah im Libanon wurde als Beweis für die Versuche Irans gewertet, eine Streitmacht vorzubereiten, die zu gegebener Zeit in Israel einmarschieren und es besetzen würde. Die Unterstützung Irans und seine Verbindungen zu verschiedenen schiitischen Milizen im gesamten Nahen Osten wurden von Israel als «Feuerring» betrachtet, der von Ländern wie Irak und Jemen aus ausschließlich auf Israel gerichtet war. Israel stärkte gleichzeitig seine militärische Fähigkeit, weit entfernt von seinen eigenen Grenzen zu operieren. Im Gegenzug baute auch der Iran seine eigenen militärischen Fähigkeiten aus und intensivierte die Beziehungen zu seinen Verbündeten in der Region.

Beide Länder sind in einem Teufelskreis aus Feindseligkeiten und sich selbst erfüllenden Prophezeiungen gefangen und stehen nun am Rande eines Abgrunds. Trotz der vehementen Rhetorik auf beiden Seiten bleibt ein wesentlicher Unterschied bestehen. Iran betrachtet seine Rivalität mit Israel als eine strategische Herausforderung, einen Wettbewerb um regionalen Einfluss und Macht. Israel betrachtet seine Rivalität mit Iran dagegen als einen Kampf zwischen einem immerwährenden Opfer (Israel) und einem unerbittlichen, fanatischen Aggressor mit messianischem Auftrag (Iran). Wie ich oben andeutete, ist dies das Ergebnis der Notwendigkeit, Israels Besetzung der palästinensischen Gebiete zu rechtfertigen. Die Definition eines existenziellen Feindes ist historisch gesehen auch eine wesentliche Konstante der israelischen Politik. Die Iran-Politik stellt den vielleicht breitesten Konsens in Israel dar. Sie bringt die (zionistische) Linke, die politische Rechte und die politische Mitte zusammen. Uns wird beigebracht, die Welt in dichotomen Begriffen zu sehen, für uns und gegen uns. Wir werden in Israel in der Regel mit der Gewissheit erzogen, dass wir per Definition «Recht haben». Wenn das der Fall ist, müssen wir eine Gegenseite haben, jemanden, der immer «falsch» liegt beziehungsweise niemals Recht hat.

Autor:in

Dr. Ori Goldberg ist Dozent an der Reichman-Universität und hat sich auf das Studium des modernen Iran und der schiitischen revolutionären Bewegungen spezialisiert.