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Mit solidarischem Gruß - Filme über Die Linke in Israel und in Palästina

1997, auf einer Konferenz anlässlich des 35. Jahrestages der Gründung der Israelischen Sozialistischen Organisation (Matzpen) traf der Dokumentarfilmer Eran Torbiner einen der Gründer von Matzpen, Akiva (Aki) Orr. Orrs politischer Radikalismus beeindruckte Torbiner zutiefst. Dieser schien seinem eigenen Lebenslauf unmittelbar entsprungen: In Berlin der 1930er Jahre geboren, emigrierte seine Familie nach Palästina der Mandatszeit, und im neugegründeten Israel wurde Orr zu einer radikalen Stimme für einen föderativen, sozialistischen Staat und zu einem eindringlichen Kritiker des Zionismus. Für Torbiner öffnete sich eine ihm bis dahin unbekannte faszinierende Welt. Er begann unmittelbar mit der Dokumentation radikaler, antifaschistischer, sozialistischer Bewegungen der britischen Mandatszeit und im neugegründeten Israel, die gemeinsam mit ihren Trägern und Trägerinnen, jene radikalen israelischen Linken dieser Ära, aus dem kollektiven Gedächtnis zu verschwinden drohten. Zwei Jahrzehnte später ist Eran Torbiner noch immer dabei, an diesem kaum vollendbaren Projekt zu arbeiten. Mithilfe der Rosa-Luxemburg-Stiftung entsteht ein Archiv, das Hunderte von Interviewstunden beinhaltet. Im Verlauf dieses zwanzigjährigen Projekts sind drei lange Filme entstanden, die ein jeder, der sich für progressive Politik interessiert, interessieren werden, mit all den Widersprüchen, die das grausame 20. Jahrhundert ihren Akteuren aufoktroyiert hatte: „Madrid before Hanita“ (2011), „Matzpen“ (2004) sowie „Bundaim“ (2012).

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„Madrid before Hanita“ handelt von einem bis dahin unbekannten und - in diesem Zusammenhang darf man vielleicht diesen Begriff anwenden - heroischen Kapitel der Linken im Mandatszeit-Palästina: Im August 1936 kamen Tausende von Freiwilligen aus aller Welt nach Spanien, um gegen die putschenden Faschisten zu kämpfen. Nahezu unbekannt geblieben war die Geschichte der etwa 300 jüdischen Freiwilligen, die aus dem britischen Mandatsgebiet Palästina nach Spanien kamen, um in den internationalen Brigaden zu kämpfen. Viele von ihnen waren Kommunist*innen und davon überzeugt, dass der Faschismus nicht nur das größte Übel für die Juden, sondern für die Menschheit überhaupt sei. Allerdings hatten sich die Freiwilligen aus Palästina erst einmal mit dem Widerstand der zionistischen Gemeinschaft gegen ihre Entscheidung auseinandersetzen müssen. Eran Torbiner zu seinem Film: “Zu den Aktionen der zionistischen Bewegung in dieser Zeit gehörte die Gründung der Siedlungen unter dem Motto ‚Mauer und Turm’ mitten in arabischen Regionen – mit dem Ziel, Fakten im Blick auf eine mögliche Teilung des Landes zu schaffen. Chanita im Norden Palästinas war das Symbol für diese Aktion. Als Ja’akov Chasan, einer der Führer der linken Zionisten in Palästina 1938 sah, dass sich einige Zionisten im Lande an den Brigaden in Spanien beteiligten oder beteiligen wollten, anstatt immer mehr Siedlungen aus einer Mauer und einem Turm zu errichten, prägte er das Codewort ‚Chanita vor Madrid’.” Im Film erzählen Zeitzeugen von ihrem Weg zu den Interbrigaden und ihren Erlebnissen im bewaffneten Kampf gegen den Faschismus.

„Bundaim“ (Hebräisch für Bundisten) entstand in einem Zeitraum von sechs Jahren, in denen Eran Torbiner die letzten Parteimitglieder des Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes, kurz Bund, interviewt, jener legendären Organisation, die, 1897 in Vilnius gegründet in den 1930er Jahren zu einer der bedeutendsten jüdischen Parteien im Polen der Zwischenkriegszeit wurde. Hier kommen Bundisten und Bundistinnen zu Wort, die als junge Erwachsene Mitglieder des Bund oder seiner Jugendorganisationen im Polen der Zwischenkriegszeit waren. Nach ihrer Auswanderung nach Israel hielten sie die Ideale ihrer Partei weiterhin hoch, kämpften für eine gerechtere Gesellschaftsordnung und eine Rehabilitierung der jiddischen Kultur in Israel. Torbiner geht in diesem Film der Frage nach, was es heute, angesichts der aktuellen politischen Situation in Israel, bedeutet, für die Ideale des Bunds zu kämpfen und welche Rolle eine Institution wie der Bund für die Kultur des Jiddischen, etwa die Musik spielt. Ein faszinierendes Dokument über die letzten Mitglieder einer Bewegung, die in «Europa vernichtet, in Israel ignoriert wurde, aber deren Ideen dennoch fortleben», so Eran Torbiner.

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„Matzpen“ handelt von der 1962 gegründeten Israelischen Sozialistischen Organisation, die schnell unter dem Namen ihrer Zeitung „Matzpen“ („Kompass“) bekannt wurde. Der Auslöser für die Gründung war der Ausschluss von vier Mitgliedern der israelischen Kommunistischen Partei (Moshe Machover, Akiva Orr, Oded Pilavski und Irmijahu Kaplan) wegen ihrer Kritik gegen die moskautreue Linie der Partei und gegen die undemokratische Diskussionskultur in der Partei. Ihre Organisation betonte die Kritik am Zionismus, an der israelischen Einheitsgewerkschaft Histadrut, die ihrer Rolle, die Interessen der Arbeiter und Arbeiterinnen zu verteidigen kaum gerecht wurde, und die unbedingte Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf und wurde Zeit ihres Bestehens von sämtlichen staatlichen Institutionen mit allen Mitteln bekämpft.

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Auszug aus einem Interview mit Eran Torbiner. 20.12.2004 Berlin

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Land, Freiheit und Video

Eran Torbiner

Aus der Jubiläumsausgabe der Zeitung des kommunistischen Partei Israels So HaDerech, September 2015

Die Eröffnungsszene des Ken Loach Films "Land and Freedom" ("Land und Freiheit"), der 1995 im Kino in Tel Aviv gezeigt wurde, zerriss mir das Herz: Ein alter Mann liegt in halb sitzender Stellung auf seinem Sofa, neben ihm eine gutherzige Nachbarin und seine besorgte Enkelin. Auf dem Weg zum Krankenhaus stirbt er. Die Enkelin kehrt in die leere Wohnung zurück und findet auf dem Schrank einen Koffer voller Briefe, alten Zeitungssauschnitten mit Schlagzeilen über den Bürgerkrieg in Spanien, das Foto einer jungen Frau und eine Handvoll Erde in einem roten Halstuch.

Zwei Jahre später nahm ich an einer Konferenz anlässlich des 35. Jahrestages der Gründung der sozialistischen Organisation Matzpen in Israel teil. Ich schrieb damals eine Seminararbeit über die ersten Begegnungen zwischen der israelischen und der palästinensischen Linken und brachte zum ersten Mal statt eines kleinen Tonbandgeräts zum Aufzeichnen von Zitaten eine Videokamera mit, die mir zufällig zur Verfügung stand. Akiva (Aki) Orr, einer der Gründer der Matzpen, war der erste Referent. Damals hatte ich bereits an Dutzenden von Konferenzen und politischen Versammlungen teilgenommen. Doch bei diesem Treffen erlebte ich zum ersten Mal eine so starke, eindringliche Stellungnahme gegen den Zionismus, die auch auf eigenen Erlebnissen des Referenten beruhte.

Nach der Konferenz fragte Aki, ob jemand nach Tel Aviv fahre und ihn mitnehmen könne. Ich ergriff die Gelegenheit beim Schopf, um mehr von ihm zu hören und ihn kennen zu lernen. Doch unterwegs erfuhr ich, dass Aki Gesundheitsprobleme hatte. Ich befürchtete, dass dieser Mann, von dem ich gerade so viel Neues über mir bis dahin unbekannte Persönlichkeiten und geschichtliche Entwicklungen gehört hatte, sterben könnte, ohne dass andere Menschen diese Dinge aus seinem Munde hören würden. Von diesem Augenblick an begann ich mit meinem Projekt. Ich filmte Aki noch einmal und in der Folge auch seine Partner und Partnerinnen. Ich dachte, dass nach all den Demonstrationen, Mahnwachen und Petitionen auch Filme einen politisch wirksamen Beitrag leisten und vielleicht sogar einen Broterwerb darstellen könnten.

Ich begann mit Recherchen für verschiedene Regisseure, die Filme über den aktuellen Stand der Eroberung der besetzten Gebiete/Besetzung, der Unterdrückung der arabischen Bevölkerung in Israel und ihre wirtschaftliche Diskriminierung drehten. Bei aller Wichtigkeit dieser Filme hatte ich oft das Gefühl, dass mir der Kontext, die historischen Zusammenhänge und die Analyse (ניתוח) fehlten. Das Fehlende versuchte ich, durch die weitere Beschäftigung mit der Geschichte meines politischen Lagers zu ergänzen.

Ich suchte Dutzende von altgedienten Aktivisten und Aktivistinnen auf. Einige von den über Neunzigjährigen waren schon in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts aktiv. Ich traf Hunderte von Menschen und filmte Hunderte von Stunden Videointerviews, in denen auch ihr familiärer Hintergrund und ihre ersten politischen Erfahrungen zur Sprache kamen. Viele dieser Menschen waren anfangs in der sozialistisch-zionistischen Jugendorganisation Hashomer Hazair und in der kommunistischen Partei aktiv. Die meisten setzten ihre Tätigkeit in anderen linken Gruppierungen oder als unabhängige Linksaktivisten fort. Aber alle blieben ausnahmslos der Linken treu, auch als sie nicht mehr in der Lage waren, an Demonstrationen teilzunehmen. In diesen Zeiten, in denen die Linke, die ich kannte und kenne, in mehr als einer Beziehung immer mehr zusammenschrumpft, gab mir die Begegnung mit den Veteranen viel Kraft.

Mein Filmprojekt begann, wie gesagt, im Jahre 1997. Zu Beginn der neunziger Jahre konnte man für kurze Zeit die Hoffnung hegen, dass die Dynamik der Oslo-Abkommen sich durchsetzen und Israel eine andere Richtung einschlagen würde, wie es Haim Hanegbi, einer der führenden Linken, in einem meiner Interviews mit ihm formulierte. Doch in den letzten zwanzig Jahren hat sich Israel in einen Staat verwandelt, dessen Bild zunehmend von Verzweiflung, Angst, Rassismus und Gewalt geprägt ist. Auch die Fernsehprogramme, für die meine Filme bestimmt waren, haben sich geändert. Das liegt einerseits am Vordringen der Internet- und Mobilfunkkultur, doch vor allem an dem Wandel, der sich in Israel vollzogen hat. Die führenden Fernsehsender reflektieren getreulich die gegenwärtige Stimmung in Israel: Realitätsflucht, Opfermentalität und Selbstzensur. Eine perfekte Symbiose, nicht nur vonseiten der Fernsehsender, sondern auch vonseiten der Stiftungen, die sich an der Finanzierung von Fernsehproduktionen und Festivals beteiligen.

Der Film "Über Naivität und Freiheit" (der Regisseur, Ken Loach, hatte ihn "Land and Freedom" genannt, doch die israelischen Kinos lehnten den Titel ab, weil er zu links klang) endet mit der Beerdigung des Großvaters David. Ein paar alte Freunde stehen am offenen Grab. Die Enkelin liest einen Abschnitt aus einem Gedicht von William Morris vor: "Schließt euch dem einzigen Kampf an, den niemand verlieren kann, auch wenn er stirbt und schwindet, seine Taten werden immer für ihn sprechen." Sie verstreut die Handvoll Erde, die sie in dem roten Halstuch gefunden hat, auf das Grab, und reckt mit Davids Freunden die geballte Faust zum letzten Gruß.

Zum Andenken an diese Menschen und im Hinblick auf unsere Zukunft wende ich mich heute, nach all den Demonstrationen und Mahnwachen und Petitionen und Filmen, die ich Ende der neunziger Jahre und zu Beginn des 21. Jahrhunderts gemacht habe und die noch den Weg ins Fernsehen und zu den Filmfestivals gefunden haben, nur noch über das Internet an die Öffentlichkeit. Nur dieses Medium gibt mir gegenwärtig noch eine gewisse Chance, den Aktivisten der Linken, die ich gekannt und gefilmt habe, ein Gesicht zu verleihen und Gehör zu verschaffen.

Der Text ist dem Andenken an den Matzpen-Mitglied Akiva Orr (1931-2013), den freiwilligen Kämpfer der Internationalen Brigaden in Spanien David Ostrovsky (1914-2005) und den Bundisten Josef Freund (1923-2011) gewidmet.

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TRAILER: "Matzpen"

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TRAILER : "Bunda'im"

Weiterführende Quellen

Al Tsad Smol (Auf der linken Seite): Die Geschichte der israelischen Linken

Historischer Überblick über die linken außerparlamentarischen Bewegungen und Organisationen in Israel

Links oder zionistisch? Ein Blick auf die Geschichte linker Parteien in Israel