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Demonstration gegen die geplante Justizreform, Februar 2023. Foto: Wikicommons

Yariv Levins Revolution - Ausverkauf der Demokratie

Einführung

Der israelische Justizminister Yariv Levin hat den Beginn eines Regimewechsels eingeläutet. Er beabsichtigt, das israelische Rechtssystem umzugestalten: Die Gewaltenteilung soll geschwächt, die richterliche Unabhängigkeit abgeschafft und die Macht der Regierung von ihren Beschränkungen befreit werden. Das aktuelle, an fachlichen Kriterien ausgerichtete Auswahlverfahren für Richter*innen soll einem von der Politik bestimmten Verfahren weichen. Das derzeit gültige Rechtssystem, in dem die Regierung ihr Handeln rechtfertigen muss, soll zudem nicht mehr bindend sein, sodass sie willkürlich und je nach tagespolitischen Interessen agieren könnte.

All dies wird fälschlicherweise unter dem Begriff «Governance» zusammengefasst. Doch diesen Umwälzungen wird nicht nur das gesamte demokratische System zum Opfer fallen, sondern auch die Menschenrechte aller, die in Israel und in den besetzten palästinensischen Gebieten leben. Im Folgenden werden die acht wichtigsten geplanten Änderungen und die Positionen der Vereinigung für Bürgerrechte in Israel dazu dargestellt.

01 DIE ÜBERSTIMMUNGSKLAUSEL

Aktuell:

Das Oberste Gerichtshof kann Gesetze oder Teile eines Gesetzes für ungültig erklären, wenn sie im Widerspruch zu den Grundgesetzen Israels stehen, insbesondere zum Grundgesetz zu Menschenwürde und Freiheit. Mit anderen Worten: Das Gericht kann Gesetze aufheben, die Menschenrechte in unverhältnismäßiger Weise verletzen.

Levins Vorschlag:

Einführung einer Überstimmungsklausel, die es der Knesset ermöglichen würde, ein vom Obersten Gerichtshof für ungültig erklärtes Gesetz mit einer Mehrheit von 61 Abgeordneten wieder in Kraft zu setzen.

Bedeutung des Vorschlags und damit verbundene Gefahren für Demokratie und Menschenrechte:

Der Oberste Gerichtshof soll die Möglichkeit verlieren, Gesetze für ungültig zu erklären, die gegen die Menschenrechte verstoßen. Mit der Zustimmung von nur 61 Knesset-Abgeordneten könnte die Regierungskoalition jedes vom Obersten Gericht aufgehobene Gesetz wieder in Kraft setzen und die ohnehin nicht besonders weitreichenden Schutzbestimmungen, die im Grundgesetz zu Menschenwürde und Freiheit festgelegt sind, noch weiter schwächen.

Schaden:

•    Beschädigung der Gewaltenteilung, fast unbegrenzte Macht der Knesset und der Regierung (Tyrannei der Mehrheit).

•    Minderheiten und benachteiligte Gruppen hätten keinen rechtlichen Schutz mehr.

02 ABSCHAFFUNG DER NORMENKONTROLLE BEI GRUNDGESETZEN

Aktuell:

Der allgemeinen Wahrnehmung zufolge haben die Grundgesetze in Israel einen höheren normativen Status als andere Gesetze. Das Gesetzgebungsverfahren unterscheidet sich aber faktisch kaum von dem für andere Gesetze. Grundgesetze können also recht einfach erlassen oder geändert werden. Derartige Änderungen sind keine Seltenheit. Der Oberste Gerichtshof befand in der Vergangenheit mehrfach über die Zulässigkeit von Grundgesetzen. Er versteht sich in Bezug auf die Grundgesetze als „Verfassungsgericht“ und kennt zwei Gründe für ein Eingreifen. Zum einen überprüft er, ob eine «verfassungswidrige Verfassungsänderung» vorliegt, das heißt, ob ein Grundgesetz oder eine Änderung daran gegen das Grundverständnis des jüdischen und demokratischen Staats Israel verstößt. Dies geschah bislang aber nur in wenigen Fällen. Zum anderen kann der Oberste Gerichtshof tätig werden, wenn aus seiner Sicht eine missbräuchliche Ausübung der verfassungsgebenden Gewalt vorliegt. Dies ist der Fall, wenn ein einfaches Gesetz als Grundgesetz erlassen wird oder ein Grundgesetz nicht einem allgemeinen Erfordernis entspricht, sondern lediglich den Interessen einer bestimmten Regierung.

Levins Vorschlag:

Der Oberste Gerichtshof soll sich nicht länger mit den Grundgesetzen und Änderungen daran befassen dürfen.

Bedeutung des Vorschlags und damit verbundene Gefahren für Demokratie und Menschenrechte:

Die Regierung wäre in der Lage, Veränderungen an Grundgesetzen vorzunehmen oder neue Grundgesetze zu erlassen, die gegen die Menschenrechte verstoßen oder auf eine andere (nicht-demokratische) Regierungsform abzielen, ohne dass der Oberste Gerichtshof dagegen einschreiten könnte. Unter einer ebenfalls von Netanjahu angeführten Vorgängerregierung wurde zum Beispiel ein Grundgesetz (bekannt als das Nationalstaatsgesetz) verabschiedet, das eine Klausel enthält, die Araber*innen im Wohnungssektor benachteiligt. Der Oberste Gerichtshof erklärte diese Klausel nicht für ungültig, legte sie allerdings so aus, dass eine diskriminierende Anwendung ausgeschlossen ist. Würde Levins Vorschlag umgesetzt, wäre eine solche Intervention nicht mehr möglich. Ein weiteres Beispiel ist der in vielerlei Hinsicht menschenrechtswidrige Entwurf der neuen Regierung für ein Grundgesetz zu Einwanderung. Sollte Levins Vorschlag durchkommen, würde der Oberste Gerichtshof hier keine Normenkontrolle mehr durchführen und so auch nicht länger die Menschenrechte von Asylsuchenden und Migrant*innen schützen können.

03 ABSCHAFFUNG DER ANGEMESSENHEITSPRÜFUNG

Aktuell:

Gerichte können die Maßnahmen und Entscheidungen von Behörden (eines Ministeriums, einer Regierungsstelle, eines Beamten oder einer lokalen Verwaltung) aufheben, wenn sie diese als unangemessen einstufen. Die Angemessenheitsprüfung ist der letzte Schutz der Bürger*innen vor staatlicher Machtwillkür und staatlichen Diskriminierungen.

In der Praxis entschieden die Gerichte, dass sie damit nicht in das behördliche Ermessen eingreifen, sondern nur bei unangemessenen Maßnahmen intervenieren. Damit sind Maßnahmen gemeint, die laut Gericht in der Regel nicht von Beamten vorgenommen worden wären.

Levins Vorschlag:

Abschaffung der Angemessenheitsprüfung, was bedeutet, dass Gerichte einen Verwaltungsakt nicht mehr für unangemessen erklären können.

Bedeutung des Vorschlags und die damit verbundenen Gefahren für Demokratie und Menschenrechte:

Politische Entscheidungsträger*innen und Beamte könnten in Zukunft unkontrolliert willkürliche Entscheidungen treffen und diskriminierende Maßnahmen ergreifen, die ihren persönlichen oder politischen Interessen entsprechen, aber andere wichtige Belange unberücksichtigt lassen. Die Bürger*innen hätten nicht länger die Möglichkeit, die Justiz anrufen, um solche Maßnahmen anzufechten.

Schaden: Verletzung der Menschenrechte, insbesondere des Rechts auf eine rechtliche Gleichbehandlung, auf ein ordnungsgemäßes Verfahren und auf den Zugang zur Justiz.

04 ERNENNUNG VON RECHTSBERATER*INNEN DER MINISTERIEN

Aktuell:

Bei der Ernennung der Rechtsberater*innen spielen vor allem fachliche Qualifikationen und weniger politische Motive eine Rolle. Die Rechtsberater*innen sind dem Generalstaatsanwalt gegenüber rechenschaftspflichtig und sollen das Gesetz objektiv anwenden.

Levins Vorschlag:

In Zukunft sollen die Rechtsberater*innen direkt von den Minister*innen ernannt werden. Ihrer Ernennung würden also vor allem politische Überlegungen zugrunde liegen und sie selbst wären viel stärker an die Entscheidungen der jeweiligen Minister*innen gebunden.

Bedeutung des Vorschlags und die damit verbundenen Gefahren für Demokratie und Menschenrechte:

Mit dieser Änderung würde sich die Funktion der Rechtsberater*innen verschieben: Sie stünden nicht länger im Dienst der Öffentlichkeit, sondern im Dienst der Regierungspolitik. Ihre Loyalität gälte in erster Linie den Minister*innen, die sie ernannt haben. Da sie vermutlich damit ihren Arbeitsplatz riskieren würden, ist es unwahrscheinlich, dass sie sich gegen Menschenrechtsverstöße oder Korruption in den Ministerien aussprechen werden. Politische Interessen bekämen so Vorrang vor dem Allgemeinwohl und der Rechtsstaatlichkeit.

05 ERNENNUNG VON RICHTER*INNEN

Aktuell:

Der Ausschuss, der derzeit über die Ernennung von Richter*innen entscheidet, setzt sich aus Vertreter*innen der Justiz und der Politik zusammen. Richter*innen und Anwält*innen der israelischen Anwaltskammer stellen die Mehrheit im Ausschuss. Damit ist sichergestellt, dass die Ausgewählten sowohl fachlichen als auch politischen Kriterien genügen und alle Bevölkerungsgruppen vertreten. Für die Ernennung von Richter*innen des Obersten Gerichtshofs sind die Stimmen von mindestens sieben der neun Ausschussmitglieder erforderlich. Ohne die Zustimmung der Volksvertreter*innen können sie also nicht ernannt werden.

Levins Vorschlag:

Regierungsmitglieder und Knesset-Abgeordnete sollen im Auswahlausschuss die Vertreter*innen der Anwaltskammer ersetzen, womit die Regierungspolitiker*innen zukünftig eine Mehrheit hätten.

Bedeutung des Vorschlags und der damit verbundenen Gefahren für Demokratie und Menschenrechte:

Diese Änderung würde die Professionalität und die Unabhängigkeit der Richter*innen ernsthaft beeinträchtigen. Richter*innen, die im System aufsteigen wollen, stünden unter dem Druck, sich bei ihren Urteilen nicht nur an juristischen und rechtsstaatlichen Maßstäben zu orientieren, sondern auch an der aktuellen Regierungspolitik. Es steht zu befürchten, dass das Prinzip der Gleichbehandlung vor dem Gesetz geopfert wird und die Richter*innen verstärkt die Gunst der Mächtigen suchen. Anstatt der fähigsten und professionellsten Richter*innen würden diejenigen bevorzugt, deren Urteile Im Sinne der jeweiligen Regierung ausfallen. Persönliche Beziehungen wären wichtiger als fachliche Qualifikationen. Gerichte, deren Vorsitzende nach politischen Opportunitäten ausgewählt werden und die nicht länger von der Exekutive unabhängig sind, können weder die Menschenrechte schützen noch Korruption in der Regierung bekämpfen.

06 ÖFFENTLICHE ANHÖRUNG DER RICHTERKANDIDAT*INNEN FÜR DEN OBERSTEN GERICHTSHOF

Aktuell:

Auswahl, Anhörung und Ernennung von Richter*innen des Obersten Gerichtshofs erfolgen in einem Ausschuss, in dem Vertreter*innen der Justiz in der Mehrheit sind (siehe Punkt 05).

Levins Vorschlag:

Die Kandidat*innen für den Obersten Gerichtshof sollen sich zukünftig im Verfassungsausschuss der Knesset einer öffentlichen Anhörung stellen.

Bedeutung des Vorschlags und damit verbundene Gefahren für Demokratie und Menschenrechte:

Gegen eine möglichst hohe Transparenz bei der personellen Besetzung des Obersten Gerichtshofs ist nichts einzuwenden, wenn die Kriterien klar sind, nach der diese erfolgen soll. Bereits in der Vergangenheit gab es Initiativen, das Auswahlverfahren mit einer öffentlichen Ausschussanhörung zu verknüpfen. Die Verlagerung dieser Anhörung in die Knesset bedeutet jedoch, dass die Kandidat*innen dazu gedrängt werden, ihre politischen Ansichten zu kontroversen Themen offenzulegen. Das könnte darauf hinauslaufen, dass die Richter*innen nicht länger aufgrund ihres juristischen Fachwissens und ihrer Professionalität ausgewählt werden, sondern vielmehr ihre politischen Haltungen entscheidend sind.

07 ERNENNUNG DER/DES VORSITZENDEN DES OBERSTEN GERICHTSHOFS

Aktuell:

Das Dienstalter entscheidet. Nach dem Ausscheiden der/des Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs rückt die/der nächste Dienstälteste auf diesen Posten nach. Dabei handelt es sich um ein politisch neutrales Kriterium, zudem ist darüber die erforderliche Berufserfahrung sichergestellt. Die/der Vorsitzende hat zwar gewisse gesetzliche Sonderbefugnisse, ihre/seine Stimme zählt jedoch genauso viel wie die der anderen Richter*innen.

Levins Vorschlag:

Das bisherige Verfahren wird abgeschafft: Die Regierung soll zukünftig die/den Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs ernennen. Sie kann auch eine Person ernennen, die zuvor noch nicht Richter*in am Obersten Gerichtshof war.

Bedeutung des Vorschlags und die damit verbundenen Gefahren für Demokratie und Menschenrechte:

In Verbindung mit dem Plan, die personelle Zusammensetzung des Wahlausschusses zu ändern, würde diese Änderung eine ernsthafte Gefahr für die Unabhängigkeit der Richter*innen bedeuten. Beförderungen würden nicht mehr nach fachlichen Kriterien erfolgen, sondern wären abhängig davon, wie zufrieden die Politiker*innen mit den bisherigen Urteilen der Richter*innen sind. Darin liegt eine Gefahr für die Autorität und Professionalität der/des Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs.

08 ÄNDERUNG VON ARTIKEL 7A DES GRUNDGESETZES ZUR KNESSET

Die Regierung plant, die parlamentarische Vertretung arabischer Staatsbürger*innen Israels zu erschweren oder ganz zu unterbinden.

In den Koalitionsvereinbarungen haben sich die beteiligten Parteien darauf geeinigt, Artikel 7a des Grundgesetzes zur Knesset zu ändern. Anstachelung zum Rassismus soll nicht länger ein Grund sein, Einzelpersonen und Parteien von der Kandidatur bei Parlamentswahlen auszuschließen. Damit soll es für offen rassistisch auftretenden jüdische Parteien und Kandidat*innen einfacher werden, in die Knesset einzuziehen. Umgekehrt müssen immer mehr arabische Parteien und Kandidat*innen fürchten, demnächst von einer parlamentarischen Betätigung ausgeschlossen zu werden. Es ist geplant, den Tatbestand der Unterstützung des bewaffneten Kampfs gegen Israel durch einen feindlichen Staat oder eine Terrororganisation so weit zu fassen, dass er möglichst vielen Vertreter*innen der arabischen Minderheit vorgeworfen werden kann.

In der Vergangenheit gab es bereits ähnlich lautende Gesetzesentwürfe. Nun hat Ofir Katz (Fraktionsvorsitzender des Likud) erneut einen Vorstoß unternommen, eine solche Änderung durchzusetzen.

Aktuell:

Artikel 7a des Grundgesetzes zur Knesset legt fest, aus welchen politischen oder ideologischen Gründen Parteien und natürlichen Personen von einer Kandidatur für die Knesset ausgeschlossen werden können. Demnach kann ein*e Kandidat*in oder ein*e Abgeordnete*r der Knesset nicht zu den Parlamentswahlen zugelassen werden, wenn sie bzw. er die Existenz Israels als jüdischer und demokratischer Staats leugnet, zum Rassismus anstiftet oder den bewaffneten Kampf gegen Israel durch einen feindlichen Staat oder eine Terrororganisation unterstützt.

In den zurückliegenden Jahren gab es eine Reihe von Anträgen, Parteien, Wahllisten oder einzelne Kandidat*innen auf Grundlage der genannten Kriterien nicht zu Knesset-Wahlen zuzulassen. Über diese Anträge entscheidet der Zentrale Wahlausschuss, der sich aus Knesset-Abgeordneten und Delegierten zusammensetzt. Gegen dessen Entscheidungen kann wiederum beim Obersten Gerichtshof Berufung eingelegt werden. Dieser überprüft auf der Grundlage des Grundgesetzes zur Knesset alle gegen Kandidat*innen und Parteien ausgesprochenen Verbote.

Zwei der drei Ausschlussgründe (Anstachelung zum Rassismus und Unterstützung des bewaffneten Kampfs gegen Israel) sind außerdem Straftatbestände. Personen, die zu Rassismus anstacheln oder eine terroristische Organisation unterstützen, können in Israel strafrechtlich verfolgt und verurteilt werden. Bei Personen, auf die dies zutrifft, greifen andere Artikel des Grundgesetzes. Je nach Strafmaß dürfen sie nicht zu Wahlen antreten.

Artikel 7a dagegen findet in der Regel bei Kandidat*innen und Knesset-Abgeordneten Anwendung, die weder strafrechtlich verfolgt noch verurteilt wurden. Meist wird die Forderung, ihre Kandidatur zu verbieten, mit öffentlichen Äußerungen von ihnen begründet, die jedoch recht unterschiedlich interpretiert werden können, oder mit anderen umstrittenen politischen Aktivitäten oder aber auch mit Gesetzesentwürfen, die sie in der Vergangenheit in die Knesset eingebracht haben. Beim Zentralen Wahlausschuss, der immer nur vor den Parlamentswahlen zusammentritt, handelt es sich also um ein Gremium, in dem es um hochgradig sensible Entscheidungen geht, mit denen Politiker*innen über ihre Konkurrent*innen befinden und diese ausbooten können. Um den Schaden abzumildern, der durch die Einschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts entstehen kann, hat der Oberste Gerichtshof die Befugnisse des Zentralen Wahlausschusses begrenzt. Er legte die Tatbestandsmerkmale für einen Ausschluss von der Wahl eng aus und die Beweisgrenze hoch an. Nur äußerst selten stimmte der Oberste Gerichtshof bislang dem Ausschluss von Kandidat*innen oder Wahllisten zu.

Die Vorschläge der Regierung:

Derzeit werden bereits in der Vergangenheit eingebrachte Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes zur Knesset neu diskutiert. Unter anderem ist in den Koalitionsvereinbarungen festgehalten, dass Anstachelung zum Rassismus nicht länger ein Ausschlussgrund sein soll. Fast alle in der Vergangenheit von Wahlen ausgeschlossenen Kandidat*innen gehörten der extremen Rechten an und haben sich offen zu Rassismus bekannt.

Ofir Katz (Likud) schlägt zudem eine Absenkung der Beweislast für den Ausschluss von Kandidat*innen wegen der Unterstützung des bewaffneten Kampfes gegen Israel durch einen feindlichen Staat oder eine Terrororganisation vor. So soll es zukünftig möglich sein, Personen nur auf der Grundlage von wenigen Äußerungen, die als Unterstützung für den Terrorismus verstanden werden können, nicht zu Wahlen zuzulassen. Bedurfte es vorher des Nachweises, dass eine Person einen feindlichen Staat oder einer Terrororganisation unterstützte, soll nun die Unterstützung einer einzelnen dem Staat Israel feindlich gesinnten Person ausreichend sein, um einen Ausschluss zu begründen. Darüber hinaus ist geplant, Listenverbindungen mit Gruppierungen und Parteien zu erschweren, die diesem Verdacht unterliegen. Ein weiterer Vorschlag würde die Kontrollbefugnis des Obersten Gerichtshofs auch in Bezug auf den Zentralen Wahlausschusses beschränken. Berufungen gegen dessen Entscheidungen sollen weiterhin möglich sein, aber es soll die Regelung entfallen, dass der Oberste Gerichtshof jedes Verbot prüfen und diesem zustimmen muss. Dies sind nur einige Beispiele, die veranschaulichen, welches Ziel die aktuelle Regierung mit diesen Änderungen verfolgt: Es ist ein gezielter Schlag gegen diejenigen Kandidat*innen und Wahllisten, die die arabische Minderheit in Israel parlamentarisch repräsentieren.

Diese Vorschläge und Gesetzesinitiativen – von der Neuzusammensetzung des Ausschusses zur Ernennung von Richter*innen, dem veränderten Status der Rechtsberater*innen bis hin zur Kompetenzbeschneidung des Obersten Gerichtshofs – sind Teil eines weitreichenden Umbauplans, der das gesamte Staatswesen betrifft. Sollte dieser erfolgreich sein, wäre die Judikative kaum mehr dazu in der Lage, die Macht der Exekutive zu kontrollieren und zu begrenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte wäre bedroht, Richter*innen, die eine Karriere machen wollen, wären gezwungen, ihre professionellen Ansprüche politischem Opportunitätsdenken unterzuordnen.

Es sollte nicht vergessen werden, dass Rechtsstaatlichkeit vor allem dem Schutz von politischen Minderheiten dient, deren Standpunkte in der Regel nicht im Parlament verhandelt werden. Der Premierminister kann Änderungen des Regierungssystems vorantreiben, die dem demokratischen Charakter Israels zuwiderlaufen. Theoretisch würde dies rechtfertigen, ihn aufgrund der Leugnung der Existenz Israels als jüdischer und demokratischer Staat von der Kandidatur bei den nächsten Wahlen auszuschließen. Der Zentrale Wahlausschuss würde in seiner aktuellen politischen Zusammensetzung jedoch niemals die Politik und das Handeln des Premierministers einer solchen Prüfung unterziehen. Dagegen sind Knesset-Abgeordnete an den politischen Rändern, insbesondere arabische Abgeordnete, die meist ohnehin von jeder Regierungsbildung ausgeschlossen sind, immer wieder gezwungen, um ihr passives Wahlrecht zu kämpfen. Jede ihrer Äußerungen wird von ihren politischen Konkurrent*innen aufgegriffen, entkontextualisiert und gemäß dem Narrativ der politischen Mehrheit interpretiert.

Bedeutung des Vorschlags und die damit verbundenen Gefahren für Demokratie und Menschenrechte:

Sollte die politische Mehrheit in die Lage versetzt werden, in Zukunft die Kandidatur von Listen und Personen, die 20 Prozent der Staatsbürger*innen Israels vertreten, ohne großen Aufwand zu verbieten, so würde dies das Ende des Repräsentationsprinzips bedeuten. Damit würde nicht nur das passive, sondern auch das aktive Wahlrecht der arabischen Minderheit in Israel massiv eingeschränkt. Jetzt schon wird mit den Gesetzesinitiativen und Debatten Angst geschürt. Sie sollen eine abschreckende Wirkung auf die arabischen Abgeordneten haben, die ihre Positionen nicht mehr offen äußern und ihre Wähler*innen damit nicht mehr richtig vertreten können. Wird das Grundgesetz zur Knesset nach den Vorstellungen der Regierung reformiert, so kann jede Bemerkung und jeder Widerspruch zur israelischen Besatzung demnächst als Unterstützung für den bewaffneten Kampf gegen den Staat interpretiert werden und zum Ausschluss aus dem Parlament führen, auch wenn die Äußerung für sich genommen nicht strafbar ist.

Das drohende Verbot der Kandidatur von Einzelpersonen und Wahllisten ist für die Mehrheit auch ein Instrument, um die arabische Minderheit vom politischen System zu entfremden und ihre Wahlbeteiligung zu senken. Was daraus folgen würde, wäre die Verschärfung einer bereits heute bestehenden massiven Unterrepräsentation dieses Teils der israelischen Bevölkerung. Sollte die derzeitige Regierungskoalition erfolgreich sein mit ihrem Plan, arabische Parteien noch stärker bei Wahlen zu benachteiligen, und sollte damit der Trend der fehlenden politischen Repräsentation fortgesetzt werden, dann wäre dies ein eindeutiger Bruch mit dem uns bis dato bekannten Regierungssystem, das beansprucht, ein demokratisches zu sein. Zudem wäre damit die Dominanz der rechten Kräfte auf lange Sicht gesichert und jede Möglichkeit eines substanziellen politischen Wandels in weite Ferne gerückt. Wahlen wären dann nur noch Veranstaltungen zur Wahrung des schönen Scheins.

Anmerkung: Dieser Beitrag wurde am 08.03.2023 ursprünglich in englischer Fassung von der Association for Civil Rights in Israel (ACRI) veröffentlicht. Die englischsprachige Version wird laufend aktualisiert.           

                                                        Übersetzung von Gegensatz Translation Collective

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