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Die andauernde Nakba

Für die Palästinenser*innen war die Gründung des Staates Israel vor 70 Jahren eine Katastrophe. Während bei Protesten in Gaza mehr als 50 Palästinenser*innen starben, feierte die Ablehnungsfront gegen die palästinensische Selbstbestimmung in Jerusalem die Eröffnung der US-Botschaft – Ein Kommentar

in dieser Woche gedenken über zehn Millionen Palästinenser*innen der Nakba, der massenhaften Flucht und Vertreibung in der Folge der Staatsgründung Israels 1948. Doch die Nakba endete damals nicht, sondern ist Teil eines fortwährenden Enteignungsprozesses.

Die Welt scheint sich damit zu arrangieren, dass es die Zweistaatenlösung höchstens dem Namen nach geben wird. Den Palästinenser*innen verbleiben nicht einmal jene 22 Prozent des historischen Palästinas, auf dem ihr Staat entstehen sollte, denn sie werden im Westjordanland Schritt für Schritt in dichtbevölkerte Enklaven verdrängt. Wie es dort künftig aussieht, verrät ein Blick in den Gazastreifen: Hier leben zwei Millionen Menschen in freiluftgefängnisähnlichen Verhältnissen auf einem Gebiet der Größe Westberlins – keine Aussicht auf Besserung. In der Folge zerrinnt jedes emanzipatorische Potenzial der palästinensischen Gesellschaft, während Israel seine demokratischen Züge immer weiter verliert.

Die Zementierung solcher Verhältnisse wird anlässlich der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem gefeiert. Dort versammelte sich gestern die Ablehnungsfront gegen die palästinensische Selbstbestimmung: die Großmacht USA, vertreten durch Ivanka Trump und deren Mann Jared Kushner, die Fundamentalisten des Westens, vertreten durch den evangelikalen Priester Robert Jeffress – und europäische Rechtsaußenregierungen in Ungarn und Österreich, die einen geschlossenen europäischen Boykott der Feier durch demonstrative Anwesenheit ihrer Botschafter verhindern. Dazu kommen jauchzende israelische Nationalist*innen, angeführt von einem am Zenit seiner Macht stehenden Premier Netanjahu.

Alldem sieht das Friedenslager tatenlos zu, und nicht einmal die Dutzenden Toten im Gazastreifen vermögen es, sie aus ihrer Lethargie zu befreien. Es bleiben keine Akteure, die sich gegen die Verdrängungsprozesse stellen und damit beiden Gesellschaften die Möglichkeit eröffnen, ihre emanzipatorischen Potentiale zu entdecken.

Zuerst am 15. Mai 2018 in der tageszeitung (www.taz.de) erschienen

Tsafrir Cohen leitet das Israel-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv.

Weiterführende Links:

Israel zum Siebzigsten: /artikel/israel-zum-siebzigsten/.

Dossier: 50 Jahre Besatzung: /artikel/dossier-50-jahre-besatzung/.

Tsafrir Cohen, Lösungsmöglichkeiten aus heutiger Sicht: /artikel/losungsmoglichkeiten-aus-heutiger-sicht/.

Autor:in

Tsafrir Cohen leitete das Israel-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv zwischen 2015-2020.