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Koach La-Ovdim - Eine Gewerkschaft von unten

Der Aufstand der Putzfrauen von Beerschewa

Am 22. Mai 2011 ereignete sich an der Ben-Gurion-Universität im Negev eine wahre Revolution. Zum ersten Mal organisierten sich von Auftragsfirmen[1] beschäftigte Reinigungskräfte innerhalb der Gewerkschaft Koach La-Ovdim – Irgun Ovdim Demokrati (Macht den Arbeitern – Demokratische Arbeiterorganisation), und ihr „Betriebsrat“[2] organisierte den ersten Generalstreik, nachdem lange Kollektivverhandlungen ergebnislos geblieben waren. Unter der Führung von sieben älteren Putzfrauen, die aus Russland, Marokko, Georgien und dem Kaukasus nach Israel eingewandert und für ihre Arbeit auf dem Universitätsgelände von sekundären Auftragsfirmen angestellt sind, gelang es dem „Betriebsrat“, auch viele Student*innen und Dozent*innen für ihre zahlreichen lautstarken Aufklärungs- und Protestaktionen zu mobilisieren. Die Streikenden verlangten von der Universitätsleitung, die bestehende ausbeuterische Praxis der Anstellung über Auftragsfirmen zu beenden und die Putzfrauen, die meist seit Jahrzehnten auf dem Campus der Universität arbeiten, direkt einzustellen und ihre Gehälter zu erhöhen.

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Demonstraion von Lehrer*innen, Tel Aviv, 2011. (Foto: Activestills)

Bereits nach dem ersten Streiktag, an dem alle Einrichtungen und Gebäude der Universität ungereinigt blieben, erzielte der „Betriebsrat“ einen ersten Sieg: Die privaten Auftragsfirmen, bei denen die Putzfrauen angestellt sind, schlossen mit dem „Betriebsrat“ einen speziellen Kollektivvertrag[3] ab – ein Präzedenzfall in der israelischen Geschichte. Die Medien widmeten den Putzfrauen und ihrem „Betriebsrat“ an der Negev-Universität große Aufmerksamkeit. Sie waren Thema in den Hauptnachrichtensendungen aller Fernsehkanäle, gaben Interviews im Rundfunk, und in den Tageszeitungen und deren Wochenendbeilagen erschienen längere Reportagen und Berichte über ihren erfolgreichen Arbeitskampf. Die 200 Putzfrauen der Universität, so hieß es, hätten mit ihrer Skandalisierung der ausbeuterischen Anstellungspraxis über Auftragsfirmen (die heute in ganz Israel sehr weit verbreitet ist) und ihrem Widerstand dagegen ein wahres Erdbeben ausgelöst.

Die gewerkschaftliche Organisierung von Reinigungspersonal auf Betriebsebene – eine der ersten Abteilungen von Koach La-Ovdim – ist ein gutes Beispiel, um die Geschichte der organisierten Arbeiter*innen in Israel zu untersuchen und insbesondere die faszinierenden Veränderungen der letzten Jahre und das Wiederaufleben des Themas im öffentlichen Diskurs. Im Folgenden wird zunächst auf den politischen Kontext der Geschichte der organisierten Arbeiterschaft in Israel eingegangen und dann auf die Entwicklungen, die den dramatischen Veränderungen in den letzten Jahren zugrunde liegen. Vor allem werden die Ursachen – sowohl im öffentlichen Diskurs als auch am Arbeitsplatz – für die erneute Zunahme gewerkschaftlicher Organisierung untersucht sowie die wesentlichen politischen Veränderungen, die dieses Phänomen begleiten.

Gewerkschaftliche Organisierung in Israel: Die historisch bedingte Vormachtstellung der Histadrut

Israel ist ein Land, dessen politische Grundlagen während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts von einer kleinen Gruppe von Juden und Jüdinnen gelegt wurden, die angesichts der Ausgrenzung und des Antisemitismus die nationale Befreiung durch „Sammlung aller im Exil Verstreuten“ anstrebten. Die größte und bedeutendste Arbeiterorganisation, die Histadrut (die „Allgemeine Organisation der Arbeiter im Land Israel [Palästina]“) schuf die politischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Grundlagen für die Errichtung des Staats. Sie wurde 1920 mit Unterstützung der Zionistischen Organisation von Juden und Jüdinnen gegründet, die sowohl vom Zionismus als auch von der Arbeiterbewegung in Osteuropa und den revolutionären Entwicklungen in Russland beeinflusst waren. Die meisten waren aus Osteuropa nach Palästina gekommen, um hier einen sozialistischen jüdischen Staat zu errichten.

Da sich die Histadrut als zionistische Organisation verstand, blieben ihre gewerkschaftlichen Ziele und sozialistischen Werte stets dem nationalen Projekt untergeordnet. Die Histadrut wurde als private quasi-staatliche Organisation gegründet, die den jüdischen Bewohner*innen Palästinas als politischer Rahmen diente (durch ihre direkte persönliche Mitgliedschaft in der Organisation und durch die parteipolitische Identität der Leitung) und ihnen medizinische Versorgung (durch die „Allgemeine Krankenkasse“) ebenso zur Verfügung stellte wie Bildungseinrichtungen, Dienste im Finanzsektor (durch die Bank Hapoalim[4]) und auch im Sicherheitsbereich. Parallel dazu diente die Histadrut der gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeiterschaft nach Berufen und in den Fabriken und entwickelte sich mit ihren zahlreichen eigenen Betrieben und Unternehmen (Chevrat HaOvdim[5]) selbst zum wichtigen Arbeitgeber.

Als Organisation, die sich primär für die Verwirklichung des zionistischen Projekts einsetzte, suchte die Histadrut ausschließlich für Juden und Jüdinnen Vollbeschäftigung zu garantieren und den Aufbau einer autonomen jüdischen nationalen Wirtschaft voranzutreiben. Der skizzierte politische Kontext der Gründung der Histadrut und ihrer zentralen Rolle beim Staatsaufbau sind wichtig, um ihre Entwicklung in ein Herrschaftsinstrument zu verstehen, das Arbeiter*innen kontrolliert und ihre Forderungen in Grenzen hält, anstatt ihre sozialen und ökonomischen Interessen zu vertreten.

Die Herrschaftsstruktur der Histadrut war die eines Staats und gründete sich – ähnlich wie bei der Staatsbürgerschaft – auf einer direkten Mitgliedschaft (als Voraussetzung für die Bereitstellung sozialer Dienste und von Arbeitsplätzen) und einer parteipolitischen Führung, die alle vier Jahre gewählt wurde und den gesamten Apparat der Histadrut und ihre Institutionen einschließlich ihrer Wirtschaftsunternehmen kontrollierte.

Diese durch politische Parteien geprägten Strukturen der Histadrut sind bis heute durch einen Mangel an interner Demokratie im Verhältnis zwischen gewählten und ernannten Funktionären gekennzeichnet, insbesondere in Bezug auf ihre Verpflichtung gegenüber den Gruppen von Arbeiter*innen, die in der Histadrut organisiert sind. Wahlen zu den führenden Organen werden relativ selten abgehalten. Die gewählten Funktionäre können ihre Vorgesetzten nicht absetzen. Die Wahlen zu den Arbeiterräten finden stets auf lokaler Grundlage statt, das heißt nach Wohnort und nicht nach Arbeitsplatz. Die örtlichen Arbeiterräte unterzeichnen die Tarifverträge mit Arbeitgebern in ihrem Wohngebiet, das heißt, sie tun dies im Namen von Arbeiter*innen, die sie nicht unbedingt gewählt haben. Dies verweist auf erhebliche Demokratiedefizite bei der Histadrut. Damit wird eine wirkliche Einflussnahme der einfachen Arbeiter*innen auf die Organisation und deren Orientierung verhindert.

Im Zuge der fundamentalen politischen Veränderungen nach der Gründung Israels am 14. Mai 1948 begann die Histadrut schrittweise wichtige staatliche Aufgaben an die sich aus ihren Strukturen herausgebildeten Institutionen des neuen Staates abzugeben. So überließ sie dem Staat die Verteidigung, was zum Aufbau der israelischen Armee im Jahr 1948 führte. Die Bildungseinrichtungen der Histadrut wurden 1953 ins staatliche Bildungssystem integriert und 1959 übernahm eine staatliche Behörde die Arbeitsvermittlung. Trotz der weitgehenden Verstaatlichung von sozialen und wirtschaftlichen Funktionen war der Staat nach seiner Gründung nicht autonom. In der Regierungspartei Mapai, die auch die Histadrut kontrollierte, gab es Strömungen und Personen, die daran interessiert waren, die soziale und wirtschaftlichen Rolle der Histadrut aufrechtzuerhalten und damit auch ihre Autorität und Macht im Land.

Somit blieben zentrale wirtschaftliche und soziale Funktionen über Jahrzehnte in den Händen der Histadrut, zum Beispiel die Chevrat Ovdim, Einzelhandels- und Lebensmittelketten, die genossenschaftlich organisierten öffentlichen Verkehrsbetriebe (Egged und Dan), die Gesundheitsversorgung (die „Allgemeine Krankenkasse“), die Pensionsfonds und viele andere Institutionen. Ihre Kontrolle der öffentlichen Dienstleistungen erlaubte es der Histadrut, ihre beachtliche sozioökonomische Macht zu erhalten. Ihre Monopolstellung im Gesundheitswesen und der Pensionsfonds stellten sicher, dass bis zu Beginn der 1990er Jahre etwa 80 Prozent der israelischen Bevölkerung Mitglied in der Histadrut waren. Mit Chevrat Ovdim herrschte die Histadrut über ein riesiges Wirtschaftsimperium und als zweitgrößter Arbeitgeber in Israel hatte sie auch Einfluss auf die Arbeitsbeziehungen in der Privatwirtschaft. Über ihre Bildungs- und Kultureinrichtungen beeinflusste sie den öffentlichen Diskurs im Land über viele Jahre hinweg.

Da Staat und Histadrut durch dieselbe Partei beherrscht wurden und die Histadrut zudem als wichtiger Arbeitgeber fungierte, entstand ein System institutioneller und Abhängigkeiten zwischen Staat, Histadrut und privaten Arbeitgebern, was die wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht der Histadrut weiter stärkte. Das Resultat davon war, dass die Histadrut nicht mit der vor 1948 ausgeübten und institutionalisierten Rolle als Kontrollinstanz der Arbeiter*innen brach, sondern auch nach der Staatsgründung klassische Gewerkschaftsaufgaben wie die Stärkung und Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten vernachlässigte und sich auch nicht weiter um eine Partizipation und Mitbestimmung ihrer Mitglieder bemühte.

Das politische Bündnis zwischen Staat, privaten Arbeitgebern und Histadrut führte dazu, dass die Histadrut eine Monopolstellung bei der gewerkschaftlichen Interessenvertretung erlangte. Sie war lange Zeit die einzig anerkannte Vertretung der Arbeiterschaft in Israel. Das spiegelte sich auch im Arbeitsrecht wider. Die von politischen Parteien geprägte Struktur der Histadrut, ihre Stellung als bedeutender Arbeitgeber und ihre zionistisch nationale Ideologie führten zu einer sehr ungleichen Interessenvertretung der in der Histadrut organisierten Arbeiter*innen – Vorrang in der Interessenvertretung und eine bevorzugte Behandlung erhielten diejenigen, die zur vorherrschenden ethnischen nationalen Bevölkerungsgruppe gehörten und der Regierungspartei Mapai ideologisch nahestanden oder im öffentlichen Dienst angestellt waren.[6] Im Gegensatz dazu waren Arbeiter*innen, die zu marginalisierten Bevölkerungsgruppen gehörten (Mizrachim, Frauen und palästinensische Israelis) oder in der Privatwirtschaft beschäftigt waren, gewerkschaftlich eindeutig unterrepräsentiert und litten unter relativ schlechten Arbeitsbedingungen. Eine starke Segmentierung des Arbeitsmarktes nach Geschlecht sowie nationaler bzw. ethnischer Zugehörigkeit war die Folge.

Das Erstarken einiger Gruppen von Arbeiter*innen im Zuge von Vollbeschäftigung und allgemeinem wirtschaftlichen Wachstum führte mitunter zur Auflehnung gegen das Kontrollregime der Histadrut (vor allem in den frühen 1960er und späten 1970er Jahren). Ein Beispiel hierfür sind „wilde“ (das heißt von der Histadrut nicht genehmigte) Streiks, mit denen sich Arbeiter*innen der Lohnbegrenzungspolitik der Histadrut widersetzten. Die soziale Segmentierung (zwischen ethnischen Gruppen und zwischen Männern und Frauen) und die strukturelle Segmentierung (zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor) ermöglichten es, die bestehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herrschaftsstrukturen aufrechtzuerhalten, die wiederum die Segmentierung der Arbeiterschaft weiter vorantrieben. Dies wurde besonders deutlich, als Hunderttausende palästinensische Arbeiter*innen aus der Westbank und dem Gazastreifen nach deren Eroberung im Krieg von 1967 auf dem israelischen Arbeitsmarkt erschienen. Dies vertiefte die Diskrepanz zwischen jüdischen und palästinensischen Arbeiter*innen und schwächte die Stellung der Arbeiter*innen allgemein auf dem Arbeitsmarkt (vgl. Grinberg 1996).

Obwohl etwa 80 Prozent aller Arbeiter*innen in der Histadrut organisiert waren, führten strukturelle Benachteiligungen und offene Diskriminierungen wegen Geschlecht und/oder nationaler und ethnischer Zugehörigkeit zunehmend zu Spannungen. Immer größere Gruppen von Arbeiter*innen fühlten sich durch die Herrschaftsmechanismen der Histadrut und des Staates benachteiligt. Als die wiederholten Forderungen nach besserer Vertretung und nach Veränderung in der Politik sowohl in der Histadrut als auch im Staat auf taube Ohren stießen, verstärkte sich das Gefühl der Benachteiligung und Diskriminierung und führte 1977 zur politischen Wende, in der der Likud die Regierung übernahm (nachdem fast 30 Jahre lang eine sozialdemokratische Partei, Mapai/Arbeitspartei die Herrschaft innehatte). Die politische Wende bedeutete auch das Ende der Allianz zwischen Staat und Histadrut.

Dies förderte eine tief greifende Veränderung des politisch-ökonomischen Systems in Israel und die Einführung einer ausgesprochen neoliberalen Ideologie und Praxis, die besonders in den Wirtschaftsreformen der 1980er und 1990er Jahre zum Ausdruck kam. Diese Reformen führten zur Privatisierung großer Teile des öffentlichen Wirtschaftssektors und der Histadrut-eigenen Chevrat Ovdim sowie zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für viele Gruppen von Arbeiter*innen und zu zunehmender Ungleichheit. Wie erwähnt, herrschte in der Histadrut eine sehr ungleiche Interessenvertretung der in ihr organisierten Arbeiter*innen vor und in vieler Hinsicht stützte sich die Macht der Histadrut auf die im öffentlichen Dienst Beschäftigten. Die massive Privatisierung sowie die Umstrukturierung des Gesundheitswesens (die „Allgemeine Krankenkasse“ wurde von der Histadrut getrennt) hatten zur Folge, dass der gewerkschaftliche Organisierungsgrad von seinem Spitzenwert von 80 auf 25 Prozent aller Arbeiter*innen zurückging. Das bedeutete für die Histadrut einen einschneidenden Verlust an Ressourcen und Legitimität. Zugleich verwandelte sich die Histadrut von einer in einem breiten Spektrum von Dienstleistungen involvierten Organisation in eine, die sich nunmehr vorrangig auf gewerkschaftliche Arbeit konzentriert. Diese Transformationsprozesse kamen besonders deutlich in den Histadrut-Wahlen im Jahr 1994 zum Ausdruck.

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Protest von Ärzt*innen, Tel Aviv, Israel, 2011. (Foto: Activestills)

Koach La-Ovdim: Die organisierte Arbeiterschaft geht neue Wege

Zurück zum Arbeitskampf der Putzfrauen in Beerschewa und ihrer Gewerkschaft Koach La-Ovdim. Heute, wie schon während der ersten Jahrzehnte der staatlichen Existenz Israels, sind Reinigungskräfte zumeist neu zugewanderte Immigrant*innen. Da sie zu einer sozialen Randgruppe gehören, finden sie sich meist in den untersten Schichten des israelischen Arbeitsmarkts wieder. Die mangelnde gewerkschaftliche Interessenvertretung für diese untersten Arbeiterschichten führt dazu, dass sich ihre extrem schlechte wirtschaftliche Situation nicht verbessert. Mit der Ausbreitung der indirekten Beschäftigung – durch sekundäre Auftragsfirmen – im Reinigungssektor hat sich die Situation dieser Arbeiter*innen noch weiter verschlechtert, weil es in dieser Art von Beschäftigung keine gewerkschaftliche Vertretung gibt und auch keine Kontrolle der Einhaltung der Rechte der Arbeiter*innen.

Die Histadrut, die lange Zeit die einzig anerkannte Gewerkschaftsorganisation In Israel war, bemühte sich darum, diese Art von Beschäftigung in Tarifverträgen, die sie mit Auftragsfirmen und Leiharbeiterfirmen schloss, zu verankern. Dies geschah mit Unterstützung der (zunehmend neoliberal ausgerichteten) staatlichen Politik. Diese Verträge legitimierten die indirekte Beschäftigung von Reinigungskräften, ohne ihnen eine gewerkschaftliche Vertretung auf Betriebsebene zu gewähren, und zugleich erlaubt es, die Mitgliedsbeiträge für die Histadrut von ihren Gehältern abzuziehen. So wurde in den 1970er Jahren von der Histadrut ein Abkommen mit der Vereinigung der Auftragsfirmen im Reinigungsgewerbe geschlossen, ohne Organisierung oder Konsultierung der betroffenen Arbeiter*innen. Dieses Abkommen wurde einige Jahre später auf alle Wirtschaftszweige in Israel ausgeweitet. Seit den 1970er Jahren existiert diese Art der indirekten Beschäftigung in der israelischen Wirtschaft und wurde zu einer wenn auch missbräuchlichen und diskriminierenden, so doch akzeptierten und normativen Form der Beschäftigung, und das mit der vollen Unterstützung der größten Gewerkschaftsorganisation im Land, während sich die Arbeiter*innen nicht anders organisieren konnten, um ihre Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Die Verschlechterung der Situation der arbeitenden Bevölkerung und die rasante Ausbreitung vieler missbräuchlicher Beschäftigungsformen führten zur öffentlichen Debatte über mögliche Lösungsansätze für die Notstände am Arbeitsmarkt und die wachsende soziale Kluft in der israelischen Gesellschaft. So begann Anfang 2000 eine Gruppe von sozial engagierte Aktivist*innen mit benachteiligten und schutzlosen Arbeiter*innen zusammenzuarbeiten und ihnen dabei zu helfen, sich selbst gewerkschaftlich zu organisieren, um ihre Situation zu verbessern. Zwei junge Regisseure begleiteten beispielsweise die Arbeiter*innen des Unternehmens Haifa Chemicals Süd[8] in ihrem mutigen Kampf um ihr Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren – zum ersten Mal in der Firmengeschichte.[9] Dieser Kampf endete für die Arbeiter*innen mit einer bitteren Niederlage: Die Histadrut war nicht bereit, die Streikenden, die sich im Werk verbarrikadiert hatten, zu unterstützen. Die Unternehmensleitung ließ das Fabrikgelände mit großer Gewalt räumen, mit Rückendeckung von der Polizei und der Regierung.

Im Jahr 2007 begleitete Liat Yakir, eine sozial engagierte Aktivistin und Wissenschaftlerin am Weizmann-Institut in Rehovot, den Streik der Zeitarbeiter*innen bei der israelischen Post. Dieser richtete sich gegen ihre im Vergleich zu den Festangestellten deutlich schlechteren Beschäftigungs- und Arbeitskonditionen. Die Forderungen und Demonstrationen der streikenden Postler*innen erhielten in den Medien ausgesprochen viel Aufmerksamkeit, obwohl die Histadrut auch in diesem Fall ihre Unterstützung verweigerte. Der Kampf der Postler*innen bestärkte auch die Arbeiter*innen im Lager der Bekleidungsfirma Castro in ihren Bemühungen, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Mit Diego Sirata an der Spitze, einem aus Lateinamerika stammenden Aktivisten, wandte sich die Belegschaft gegen die Entlassung langjähriger Mitarbeiter*innen – auch hier ohne Beistand der Histadrut.[10] Der wohl bedeutendste Arbeitskampf jener Zeit war der Streik von Zeitarbeiter*innen am Ben-Gurion-Flughafen, angeführt von Ami Veturi, Ökonom und Historiker an der Universität Haifa. Den annähernd 200 temporär für die Gepäckabfertigung eingestellten Arbeitskräften gelang es, den Flughafen vier Tage lang lahmzulegen und auf diese Weise die geplante Kündigung von zahlreichen Kolleg*innen zu verhindern.

Diese und ähnliche Arbeitskämpfe machten einer wachsende Gruppe von Aktivist*innen und benachteiligten Arbeiter*innen deutlich, dass es notwendig ist, eine politische Alternative zu der in Israel existierenden Gewerkschaftsstruktur zu schaffen. Angesichts der Weigerung der Histadrut, sich für die Rechte und Forderungen von Geringverdienenden und derjenigen Beschäftigten einzusetzen, die nicht vom Tarifsystem erfasst sind, war klar, dass eine neue Form der organisierten gewerkschaftlichen Interessenvertretung dringend benötigt wurde. Diese sollte es lange vernachlässigten Gruppen von Erwerbstätigen ermöglichen, über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen mitzubestimmen. So kam es im Jahr 2007 zur Gründung von Koach la-Ovdim – Irgun Ovdim Demokrati, einer Organisation, die in ihrer Struktur und inhaltlichen Ausrichtung den Wunsch der Gründer*innen widerspiegelt, die politische Realität in Israel durch eine radikale Demokratisierung der Arbeitsbeziehungen nachhaltig zu verändern.

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1.Mai Demonstration, auf den Schildern steht "Für 30 Shekel Mindestlohn", Tel Aviv, 2014. (Foto: Activestills)

Nach dem Vorbild skandinavischer Gewerkschaften schafft Koach la-Ovdim eine kompromisslos demokratische Grundlage als neue Norm gewerkschaftlicher Organisierung. Mitglieder von Koach la-Ovdim sind entweder am Arbeitsplatz organisiert oder schließen sich der „allgemeinen“ Sektion an, der auch Aktivist*innen angehören, die sich aus ideologischen Gründen angeschlossen haben. Einmal im Jahr wählen die Mitglieder von Koach la-Ovdim ihre Vertreter*innen für die Delegiertenversammlung, in der über die politische Stoßrichtung sowie über zentrale organisatorische Fragen und Aufgaben entschieden wird. Die Versammlung wählt zudem ein „Organisationsteam“,[11] das als Leitungsgremium fungiert, und ernennt die Funktionäre. Alle Funktionäre, gewählten Organe und deren Mitglieder können mit einfacher Mehrheit der Stimmen von der Delegiertenversammlung abgesetzt werden. Diese Organisationsstruktur ermöglicht es den Mitgliedern, Einfluss auf die politische Ausrichtung ihres Gewerkschaftsverbands zu nehmen; zudem stärken sie die Verbindung zwischen den verschiedenen lokalen Gewerkschaftsgruppen und den Arbeiter*innen. Die demokratische Struktur findet auch darin ihren Ausdruck, dass die Gesamtorganisation nicht durch Bürokrat*innen oder Parteikader gesteuert wird, sondern vornehmlich durch ihre Mitglieder. Die einzelnen lokalen Gruppen handeln nach radikaldemokratischem Prinzipien. So benötigt zum Beispiel die Entscheidung über den Abschluss eines Tarifvertrags oder über die Beendigung eines längeren Streiks die Zustimmung aller Mitglieder der lokalen Gewerkschaftsgruppe.

Koach la-Ovdim hat nicht nur hohe ideelle Ansprüche, sondern kann auch durchaus reale Erfolge aufweisen: So erzielte die gewerkschaftliche Organisation der Beschäftigten eines großen Cafés in Tel Aviv den ersten Kollektivvertrag in dieser Branche. Auch die noch in ihren Anfängen befindliche gewerkschaftliche Organisierung von Arbeiter*innen in Reinigungs- und Sicherheitsfirmen führte zu bedeutsamen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen. Koach la-Ovdim begleitete im Jahr 2011 den längsten Streik in der Geschichte Israels, und zwar in der Fabrik Haifa Chemicals im Norden des Landes, der fast sechs Monate dauerte.[12] Erstmals konnten sich indirekt durch Auftragsfirmen beschäftigte Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen und andere Arbeiter*innen, die jahrelang von der Histadrut vernachlässigt worden waren, gewerkschaftlich organisieren.

Im Jahr 2015 zählte Koach la-Ovdim rund 16.000 Mitglieder und vertrat mehr als 20.000 Arbeiter*innen an verschiedenen Arbeitsplätzen. Neben den organisatorischen Leistungen sind auch einige juristische Erfolge zu nennen, insbesondere Gerichtsentscheidungen, die die gewerkschaftliche Arbeit erleichtern und fördern (wie zum Beispiel die Definition des „Betriebs" und der Befugnisse der gewerkschaftlichen Organisation dort), sowie eine allgemeine Belebung des kollektiven Arbeitsrechts.

Wie bereits angedeutet, verfügen diese Arbeiter*innen über Bündnispartner*innen und sind in ihrem Kampf nicht auf sich allein gestellt. Sie erhalten Unterstützung von zahlreichen sozial engagierten Aktivist*innen, von denen die meisten ehrenamtlich arbeiten. Sie sind der Überzeugung, dass eine auf Klassenfragen ausgerichtete Politik und eine gewerkschaftliche Organisierung die israelische Linke, die heute eher unbedeutend ist, stärken und ihren gesellschaftlichen Einfluss vergrößern kann. Die Aktivist*innen – darunter Junge und Alte – sind gleichberechtigte Partner*innen in der neuen Gewerkschaftsorganisation. Sie sind das demokratische Gegenstück zum bürokratischen Aufbau etablierter Gewerkschaften, wo von oben eingesetzte Sekretäre und Funktionäre das Sagen haben. Auf diese Weise – unterstützt und begleitet von vielen Idealist*innen – gelingt es Koach la-Ovdim bislang recht gut, ihrem demokratischen Anspruch gerecht zu werden. Sie hat sich zu einer dynamischen Organisation entwickelt, die von ihren Mitgliedern und deren Kraft getragen wird, und nicht von externen Faktoren.

Ihr gemeinsames Handeln und ihre gemeinsamen Interessen spornen die Arbeiter*innen, die sich in Koach la-Ovdim organisiert haben, um ihre Arbeitsbedingungen an ihrem spezifischen Arbeitsplatz und seiner unmittelbaren Umgebung zu verbessern, dazu an, anderen Arbeiter*innen beizustehen, die sich auch zum ersten Mal gewerkschaftlich organisieren. Dies stärkt die Solidarität zwischen den Mitgliedern – Arbeiter*innen und Aktivist*innen – und bietet eine Basis nicht nur für Aktionen, die auf eine Veränderung des Arbeitsmarkts ausgerichtet sind, sondern auch für neue politische Handlungsformen, die darauf abzielen, einen umfassenden politischen Wandel herbeizuführen.

In den acht Jahren der Aktivitäten von Koach la-Ovdim – einer Organisation, die sich darum bemüht, das Defizit an gewerkschaftlicher Vertretung der Arbeiter*innen in Israel zu überwinden – zeichnet sich eine schrittweise Verbesserung in der israelischen Gesellschaft ab, einer Gesellschaft, die durch große Zerspaltenheit und starke Segmentierung (in nationaler, ethnischer, politischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht) gekennzeichnet ist. Es ist Koach la-Ovdim gelungen, zur Entstehung einer grundlegenden Solidarität beizutragen und soziale Gruppen, die in der Vergangenheit Gewerkschaftspolitik fernstanden (wie zum Beispiel aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion eingewanderte Menschen, Palästineser*innen, Mizrachim und Frauen), in die Organisation einzubinden und miteinander zu verbinden. So sind in Koach la-Ovdim heute unter anderem Fabrikarbeiter*innen, Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen, Pflege- und Wachpersonal gewerkschaftlich organisiert, palästinensische Israelis organisieren sich gemeinsam mit nationalreligiösen und ultraorthodoxen jüdischen Frauen; und im Pflegebereich beschäftigte Frauen aus nicht anerkannten Beduinendörfern im Negev[13] arbeiten zusammen mit Männern, die als Wächter in Siedlervierteln in Ost-Jerusalem ihren Lebensunterhalt verdienen. Diese neuen Verbindungen zwischen ethnisch und ideologisch sehr unterschiedlichen Teilen der israelischen Gesellschaft führen mitunter auch zu erheblichen Problemen und moralischen Dilemmata. Dies war zum Beispiel der Fall, als es darum ging, eine Gruppe von Wachleuten gewerkschaftlich zu organisieren, die Häuser in Ost-Jerusalem bewachen, aus denen die palästinensischen Bewohner*innen durch Zwangsräumung entfernt worden waren. Solche Konfliktkonstellationen stellen die noch junge Organisation und ihre Mitglieder vor komplizierte Herausforderungen. Aber die demokratischen Entscheidungsstrukturen von Koach la-Ovdim ermöglichen es, diese sehr verschiedenen gegensätzlichen Gruppen in der israelischen Gesellschaft zum ersten Mal auf der Basis ihrer Klassenzugehörigkeit zu integrieren.

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Demontration für Arbeiter*innenrechte, Tel Aviv College, 2014 (Foto: Activestills)

Die neu organisierte Arbeiterschaft – Chance für eine neue linke Politik?

Die beschriebene neue gewerkschaftliche Organisation und ihre politische Ausrichtung haben natürlich die vorherrschenden gewerkschaftlichen und politischen Eliten verärgert, insbesondere die Histadrut, die Koach la-Ovdim als subversive Organisation ansieht, die angeblich die Einheit der Arbeiterklasse untergrabe. Die Histadrut sieht darin vor allem eine Bedrohung ihrer langjährigen unbestrittenen Vormachtstellung als einzig anerkannter Gewerkschaftsverband und des sich daraus ergebenden „Burgfriedens“ mit den Unternehmern. Die Feindseligkeit, mit der die Histadrut-Führung der jungen Organisation begegnet, hat auch praktische Konsequenzen. So ist es in den vergangenen Jahren wiederholt zu erbitterten Konkurrenzkämpfen auf Betriebsebene zwischen beiden Gewerkschaften gekommen. Wo Koach la-Ovdim Erfolge mit Präzedenzcharakter erzielen konnte, versuchte die Histadrut, diese für sich zu verbuchen. Als sich zum Beispiel die Arbeiter*innen eines Betonwerks des Unternehmens Ackerstein mit Koach la-Ovdim gewerkschaftlich organisierten, entstanden „überraschend“ in den anderen beiden Werken von Ackerstein Betriebsräte, womit der gewerkschaftliche Vertretungsanspruch von Koach la-Ovdim für alle Beschäftigten unterlaufen wurde. An der Open University, Israels größter Universität, schlossen sich 100 in der Histadrut organisierte Dozent*innen zusammen, um gegen eine Vereinbarung zu protestieren, die der Betriebsrat der nicht festangestellten akademischen Mitarbeiter*innen und Koach la-Ovdim zuvor im Namen von 1.300 Dozent*innen mit der Universitätsleitung geschlossen hatte. Die kleine Dozentengruppe wollte, dass die Vereinbarung zurückgezogen und die Histadrut an der Universität als einziges gewerkschaftliches Vertretungsorgan anerkannt wird; sie scheiterte jedoch mit diesem Vorhaben.

Die Rivalität, die zutage tritt, wenn Arbeiter*innen es vorziehen, sich in Koach la-Ovdim gewerkschaftlich zu organisieren und nicht in der Histadrut (die häufig als zu kompromissbereit gegenüber Arbeitgebern und zu sehr auf die Förderung der Interessen von starken Arbeitnehmergruppen konzentriert gesehen wird), bringt jedoch insgesamt eine produktive Unruhe in den Arbeitsmarkt. Sie erhöht die Fähigkeit und Freiheit der Arbeitnehmer*innen, sich zu organisieren, und zwingt zugleich den etablierten Gewerkschaftsverband zu Reformen. So hat in der Histadrut, die nach wie vor die größte und bedeutendste israelische Gewerkschaftsorganisation ist, ein Umdenken stattgefunden, das sich unter anderem in der Gründung einer neuen Abteilung ausdrückt, die seit 2009 das Ziel verfolgt, neue Beschäftigtengruppen zu organisieren (und das 90 Jahre nach Gründung der Histadrut). An der Spitze dieser neuen Abteilung stehen junge gewerkschaftliche Aktivist*innen, die aus dem mit der Histadrut verbundenen Jugendverband „Föderation der arbeitenden und studierenden Jugend“ hervorgingen. Seither konnte die Histadrut 45.000 neue Mitglieder verbuchen. Sie stammen beispielsweise aus der Mobiltelefonbranche (hier hat die Histadrut von 2012 bis 2014 eine erfolgreiche Kampagne zur gewerkschaftlichen Organisation durchgeführt), aus dem Kreditkartenwesen oder arbeiten für Rentenversicherungsgesellschaften. Neben diesen neuen Betätigungsfeldern versucht die Histadrut auch die Interessenvertretung und Einbeziehung der schon länger unter ihrem Dach organisierten Beschäftigtengruppen zu verbessern und dadurch weiterreichende soziale Ziele zu verwirklichen, wie zum Beispiel die Forderung nach Anhebung des Mindestlohns, nach Verlängerung des Jahresurlaubs oder nach mehr Arbeitsplätzen für Behinderte.

Allerdings wurde die Organisationsstruktur der Histadrut – die weiterhin von politischen Parteien dominiert wird und nicht von auf Betriebsebene gewählten Vertreter*innen – bisher beibehalten, wodurch sie im starken Widerspruch zu den demokratischen Veränderungen in ihrem Umfeld steht.

Im Zentrum der Auseinandersetzungen mit Koach la-Ovdim steht die autoritäre Struktur der Histadrut, die die Möglichkeit, dass Arbeiter*innen die Organisation leiten und ihre allgemeine Politik bestimmen, stark einschränkt. Deshalb üben die demokratischen Strukturen von Koach la-Ovdim eine große Anziehungskraft auf Arbeiter*innen aus, die über ihr Schicksal selbst entscheiden möchten und in ihrer internen gewerkschaftlichen Organisation autonom sein wollen. Durch den wachsenden Einfluss von Koach la-Ovdim auf den Arbeitsmarkt stellen seine demokratischen Strukturen, in denen die Entscheidungen der Arbeiter*innen und ihrer gewählten Vertreter*innen im Mittelpunkt stehen und nicht irgendwelche von politischen Parteien eingegangenen Kompromisse oder Beziehungen zu staatlichen Behörden, eine zentrale Herausforderung für die israelische Arbeiterbewegung dar. Von Arbeiter*innen getroffene Entscheidungen und ihre direkte Einflussnahme auf ihr Schicksal können die israelische Gesellschaft in eine bessere und insbesondere demokratischere Zukunft führen.

Der Überblick über die Entstehung von „Koach la-Ovdim – Irgun Ovdim Demokrati“ zeigt, dass sich dadurch auch neue Horizonte für linke Politik, die derzeit unter bedrohlichem Verfall leidet, eröffnen. Die spannende Geschichte des „Betriebsrats“ der Putzfrauen in Beerschewa stieß in jedem israelischen Haushalt auf Interesse angesichts der Tatsache, dass die starken Proteste im Jahr 2011 bereits die sozioökonomischen Fundamente des Landes mit der Forderung nach „sozialer Gerechtigkeit“ auf dem Arbeitsmarkt erschüttert hatten. Diesen Protesten waren damals keine konkreten Schritte gefolgt und die Ursachen der wachsenden sozialen Ungleichheit blieben unberührt. Durch ihre harte politische Arbeit könnten die Putzfrauen als benachteiligte Gruppe, die sowohl geografisch als auch sozial in der Peripherie des Landes leben und arbeiten, immer mehr Aktivist*innen und Arbeiter*innen ansprechen, die auch indirekt über Auftragsfirmen beschäftigt sind, die die Ungerechtigkeiten des kapitalistischen Systems erleben und sich nun daran machen, sich gewerkschaftlich zu organisieren und anderen bei der gewerkschaftlichen Organisation zu helfen, weil sie darin eine effektive und starke Basis sehen, um soziale und politische Veränderungen zu bewirken. In den politischen Aktivitäten dieser Arbeiter*innen, die tagtäglich die Differenzen, die unter ihnen bestehen, also auch die, die zwischen ihnen und ihrer Umgebung bestehen, überbrücken müssen, zeichnet sich eine neue Strategie für eine demokratische Arbeiterorganisation ab. Diese Strategie fördert einen wirksamen politischen Kampf, geführt von Arbeiter*innen aller Bevölkerungsgruppen, gegen die fortlaufende Neoliberalisierung der israelischen Gesellschaft und Wirtschaft und für eine starke wirklich demokratisch-sozialistische Gesellschaftsordnung.

Assaf Bondi ist Koordinator der Sektion Verkehr in Koach la-Ovdim und Doktorand am Fachbereich Arbeit der Tel Aviv Universität.

(Übersetzt von Ursula Wokoeck Wollin)

Weiterführende Literatur

"Alle Macht den Arbeiter_*innen" - Interview in ak 628 mit Maya Peretz von Koach la-Ovdim

• Grinberg, Lev Luis: Split Corporatism in Israel, Albany 1991.

• Mundlak, Guy: Fading Corporatism in Israel’s Labor Law and Industrial Relations in Transition, Ithaca 2007.

• Kristal, Tali: Slicing the Pie: State Policy, Class Organization, Class Integration, and Labor’s Share of Israeli National Income, in: Social Problems, 60 (2013) 1, S. 100 –127.

Anmerkungen

[1] In Israel gibt es eine weitverbreitete Form des „outsourcing“, die nach deutschem Recht in zwei Kategorien aufgeteilt werden kann. Zum einen ist dies ein Arrangement mit einer Leiharbeiterfirma, wenn zum Beispiel die Schreibkräfte in einem Ministerium von einer solchen gestellt werden. Im Gegensatz zum ursprünglichen Konzept, wonach Leiharbeiter*innen zur Überbrückung temporärer Engpässe eingesetzt werden, handelt es sich hier um ein permanentes Arrangement, das heißt in dem genannten Beispiel, dass das Ministerium für die regelmäßig anfallende Schreibarbeit kein eigenes Personal anstellt, sondern lediglich Leiharbeiter*innen verwendet. Zum andern gibt es eine Art Werkvertrag, was die in Israel am häufigsten verwendete Variante ist. Hierbei schließt die Institution oder Firma einen Werkvertrag mit einer anderen Firma ab, die sich gegen Bezahlung einer vereinbarten Summe zu einer bestimmten Leistung verpflichtet, wie zum Beispiel eine bestimmte Anzahl von Räumen zu reinigen oder (für Schulen) eine bestimmte Anzahl von Unterrichtseinheiten zu halten. In beiden Varianten bedeutet das für die Arbeiter*innen, dass sie bei der Auftragsfirma angestellt sind, wodurch die Tarifverträge des öffentlichen Diensts zum Beispiel nicht für sie gelten. Und obwohl es sich um Dauerarrangements handelt, sind ihre Arbeitsverträge meist Zeitverträge, und oft werden sie nur für tatsächlich geleistete Arbeit entlohnt (so sind unter anderem Feiertage unbezahlt). Während nach deutscher Rechtsprechung Institutionen oder Unternehmen, die Leiharbeiter*innen einsetzen oder Werkverträge vergeben, zumindest subsidiär für den Lohn und die Sozialabgaben für die Arbeiter*innen haften, gibt es eine solche Haftung nach israelischem Recht nicht. Im Falle der Nichtbezahlung können die Arbeiter*innen nur ihren direkten Arbeitgeber verklagen. Diese Situation wird noch dadurch verschärft, dass die Auftragsfirmen zumeist ihre Aufträge weiterleiten. In der Regel schließen große Auftragsfirmen Leiharbeiterverträge oder Werkverträge mit öffentlichen Institutionen. Dann teilen sie den Auftrag auf und vergeben die Teile an kleinere Firmen, die den Auftrag entweder ausführen oder ihn wiederum aufteilen und an noch kleinere Firmen vergeben. Dadurch sind die Arbeiter*innen oft bei relativ winzigen Firmen angestellt, bei denen eine Klage im Falle der Nichtbezahlung in der Regel praktisch aussichtslos ist, weil diese Firmen dann Bankrott anmelden. (Anm. d. Red.)

[2] Alle Putzfrauen, die auf dem Campus der Universität arbeiten, haben sich organisiert und den „Betriebsrat“ gewählt, der in ihrem Namen ihre Interessen in den Verhandlungen mit den Arbeitgebern vertritt. Da die Reinigung der Universität über Werkverträge an mehrere (sekundäre) Auftragsfirmen vergeben wurde, arbeiten die Frauen zwar alle in derselben Institution (der Universität), sind aber bei verschiedenen Arbeitgebern angestellt. (Anm. d. Red.)

[3] Der Kollektivvertrag war für einen bestimmten Arbeitsort gültig und wurde von der örtlichen Arbeiterorganisation unterschrieben (im Gegensatz zu einem allgemeinen Tarifvertrag, der zwischen einer Gewerkschaft und den Arbeitgebern bzw. dem Staat abgeschlossen wird).

[4] „Arbeiterbank“ – heute einer der größten Banken in Israel. (Anm. d. Red.)

[5] „Arbeiter-Gesellschaft“ – der Unternehmensverband wurde im Jahr 1923 gegründet und existierte bis in die frühen 1990er Jahre. Bis Anfang der 1980er Jahre war er der zweitgrößte Arbeitgeber in Israel.

[6] Wobei die Vorbedingung für die Anstellung im öffentlichen Dienst häufig die ideologische Nähe zu Mapai und die Zugehörigkeit zur dominanten ethnischen Bevölkerungsgruppe war. (Anm. d. Red.)

[7] Nach Ansicht vieler Publizist*innen gehören Reinigungskräfte einer neuen Arbeiterklasse an, in Politik und wissenschaftlicher Literatur nicht selten als Prekariat bezeichnet (abgeleitet von precarious); vgl. Standing, G. 2012. Labor, Work, and The Time Squeeze.

[8] Eine im Besitz eines internationalen Konsortiums befindliche Fabrik im Süden Israels, die vor allem Düngemittel für die Landwirtschaft und Chemikalien für die Lebensmittelindustrie herstellt.

[9] Daraus entstand der Dokumentarfilm «Strike» von Asaf Sudri und Amir Tausinger. Eine kurze Beschreibung des Films findet sich unter www.gilocenter.huji.ac.il/events/current-events-eng.asp?RecNo=13

[10] www.haaretz.com/print-edition/opinion/class-struggle-at-castro-1.229508

[11] Wofür sich alle Mitglieder von Koah la-Ovdim zur Wahl stellen können.

[12] www.haaretz.com/israel-news/business/six-month-haifa-chemicals-strike-ends-with-a-whimper-1.393273

[13] Siehe dazu auch Konfrontation im Negev – Die israelische Landpolitik gegen die Beduinen- von Ahmad Amara / Oren Yiftachel

Weiterführende Literatur

Grinberg, Lev Luis (1991): Split Corporatism in Israel, Albany.

Mundlak, Guy (2007): Fading Corporatism in Israel’s Labor Law and Industrial Relations in Transition, Ithaca.

Kristal, Tali (2013): Slicing the Pie: State Policy, Class Organization, Class Integration, and Labor’s Share of Israeli National Income, in: Social Problems, 60 (1), S. 100 –127.

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