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Leid teilen, Hoffnung spenden

Der Gedenktag für die Gefallenen der Kriege Israels und die Opfer des Terrorismus, Yom HaZikaron, findet eine Woche nach dem Holocaust-Gedenktag statt. Vor einigen Jahren haben Friedensaktivist:innen eine israelisch-palästinesische Gedenkzeremonie als Alternative zum nationalen Erinnern ins Leben gerufen.

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Ich bin jüdische Israelin von aschkenasischer Herkunft. Ich bin in Tel Aviv geboren und aufgewachsen und stamme aus einer Mittelschichtsfamilie. Seit zwanzig Jahren bin ich als Linke politisch aktiv. Aus dieser Perspektive und von diesem Ausgangspunkt schreibe ich diesen Text.

Die israelisch-palästinensische Gedenktagszeremonie wurde von dem jüdischen Israeli Buma Inbar ins Leben gerufen, einem humanitären Aktivisten, wie er sich selbst nennt, und Vater von Yotam Inbar, der 1995 während seines Militärdienstes im Libanon getötet wurde. Die Zeremonie fand zum ersten Mal 2006 im Saal eines kleinen Vorstadttheaters in Tel Aviv statt. Seit 2007 wird sie von zwei Organisationen veranstaltet: den von ehemaligen israelischen und palästinensischen Kombattant*innen gegründeten Combatants for Peace (CFP), die sich im gemeinsamen gewaltlosen Widerstand gegen die Besatzung sowie im Aufbau von Netzwerken palästinensischer und israelischer Aktivist*innen engagieren; und dem Parents Circle – Families Forum (PCFF), einer israelisch-palästinensischen Organisation von Familien, die enge Familienmitglieder im Konflikt verloren haben. Der 1995 gegründete PCFF betreibt Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Seine Mitglieder lehnen die Besatzung ab und sind überzeugt, dass ein zukünftiger Friedensvertrag sich nur auf Grundlage einer Versöhnung zwischen den Menschen beider Nationen zu einem dauerhaften Frieden entwickeln kann.

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Bei der ersten Zeremonie am Abend des Gedenktags 2006 sammelten sich wenige Dutzend Israelis und Palästinenser*innen in jenem düsteren kleinen Theatersaal, um gemeinsam den offiziellen Feierlichkeiten etwas entgegenzusetzen und an einer anderen Art von Zeremonie teilzunehmen, in der Israelis und Palästinenser*innen den Verlust, den Schmerz, die Trauer und auch die Einsicht teilen, dass Krieg kein Schicksal, sondern eine politische Wahl ist und wir die Pflicht haben, gewaltfrei für eine gerechte und gleichberechtigte Zukunft zu kämpfen. Auch ich war damals im Publikum, dankbar dafür, dass andere Menschen dieses Ereignis vorgedacht hatten und Wirklichkeit werden ließen. Es war einer der seltenen Momente in meinem Leben, in denen ich das Gefühl hatte, mit genau den richtigen Menschen am richtigen Ort zu sein, Grenzen zu überschreiten, die Normen, mit denen ich aufgewachsen war, zu durchbrechen und an der Gestaltung einer neuen Lebensweise teilzuhaben, die zugleich sehr persönlich und zutiefst politisch ist.

Seither wurde die Zeremonie jedes Jahr abgehalten. Sie hat zunehmend mehr Menschen angezogen, ist in immer größere Veranstaltungsorte umgezogen und wird auch per Livestream ausgestrahlt, wodurch sie ein immer größeres Publikum in Israel, Palästina und auf der ganzen Welt erreicht. 2009 nahmen rund 9.000 Menschen vor Ort teil und 30.000 sahen online zu. Aufgrund der Covid-19-Beschränkungen fand die Zeremonie 2020 online statt und wurde von rund 200.000 Zuschauer*innen verfolgt (viele davon außerhalb Israels und Palästinas).

In ihrem Ablauf ähnelt die Zeremonie mit ihren Reden und musikalischen Darbietungen vielen anderen, die am israelischen Gedenktag auf nationaler oder lokaler Ebene oder im privaten Rahmen abgehalten werden. Trotzdem unterscheidet sie sich in grundsätzlicher Weise: Sie wird von einer jüdischen und einer palästinensischen Person gemeinsam moderiert, und die Redner*innen sind größtenteils jüdische Israelis oder Palästinenser*innen aus den besetzten palästinensischen Gebieten, die Familienangehörige verloren haben. Die Zeremonie wird auf Hebräisch und Arabisch mit Übersetzung abgehalten, die Redner*innen sprechen über ihren Verlust und ihre Trauer, aber auch über ihren Weg von alles beherrschender Wut, Hass und Rachegefühlen, hin zu gemeinsamem jüdisch-palästinensischen gewaltfreien Aktivismus; und sie äußern politische Kritik.

Video der Zeremonie 2020 (auf Hebräisch und Arabisch, mit englischen Untertiteln):

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Da ich in Israel geboren und aufgewachsen bin, waren der Gedenktag und die Gedenktagsfeierlichkeiten immer fester Bestandteil meines jährlichen Kalenders. Nach jüdischer Tradition erstreckt sich ein Tag von einem Abend zum nächsten. Entsprechend beginnt der «Gedenktag für die Gefallenen der Kriege Israels und die Opfer von Terroranschlägen», wie Jom haSikaron offiziell heißt, am Abend mit der Schließung von Geschäften und Entertainment (Restaurants, Cafés, Kinos usw.), Radiosender spielen melancholische Musik, lokale Fernsehsender bringen Dokumentarfilme über gefallene Soldaten und Geschichten über Heldentum und Trauer. Um 20 Uhr ist eine Minute lang eine Sirene zu hören und das ganze Land (zumindest an den jüdischen Orten) hält inne – die Menschen pausieren bei dem, was sie gerade tun, sie stehen auf, Autos und öffentlicher Verkehr kommen zum Stillstand, und eine Minute lang setzen wir mit dem schrillen Klang der Sirene im Ohr unsere alltägliche Routine aus. Am folgenden Morgen ertönt die Sirene ein weiteres Mal und für längere Zeit. Gedenktagszeremonien werden auf Militär- und Zivilfriedhöfen, in Schulen und sogar Kindergärten, in öffentlichen und privaten Einrichtungen und auf Plätzen abgehalten. Am Abend endet der Gedenktag, und der Unabhängigkeitstag beginnt. Diese zeitliche Nähe und die nationale Zeremonie, die unter Verbindung militärischer und ziviler Elemente den Übergang von der Trauer zur Freude markiert, symbolisiert und nährt das Ethos, das eigene Leben für das Land zu opfern.

Erst mit Ende zwanzig fing ich an, diese Geschichte infrage zu stellen, die mir immer wieder, an jedem Gedenktag, erzählt worden war. Ich begann, die traditionellen Gedenktagsveranstaltungen als mächtigen Mechanismus zur Formung einer Nationalerzählung zu sehen, die die Gefallenen (ausschließlich die «unseren») ehrt, während sie die Gesellschaft auf künftige Opfer vorbereitet und die militaristische Weltsicht in der israelischen Kultur stärkt. Als ich politisch bewusster und aktiver wurde, konnte ich nicht länger an solchen Zeremonien teilnehmen. Es dauerte weitere zwanzig Jahre, bis die erste israelisch-palästinensische Gedenktagszeremonie abgehalten wurde, und seither habe ich fast jedes Jahr daran teilgenommen.

Ich glaube, es gibt keinen Aspekt der israelisch-palästinensischen Gedenktagszeremonie, der unter CFP- und PCFF-Mitgliedern und im öffentlichen Diskurs nicht schon moniert, infrage gestellt, debattiert und kritisiert worden wäre. Sollte diese Veranstaltung am nationalen (jüdisch israelischen) Gedenktag oder einem anderen Tag stattfinden? Welcher Ort ist für die Zeremonie angemessen? Warum überhaupt eine Zeremonie abhalten, und dann noch im Format der staatlich choreografierten Zeremonien? Suggeriert die gemeinsame Zeremonie nicht fälschlich eine Symmetrie zwischen Besatzer*innen (jüdischen Israelis) und Unterworfenen (Palästinenser*innen aus den Autonomiegebieten)? Sollten Palästinenser*innen teilnehmen oder sollte es eine rein jüdisch-israelische Veranstaltung sein?

Das sind alles wirkliche Dilemmata, auf die es nicht unbedingt klare Antworten gibt. Doch im Rahmen einer andauernden Grundlagendiskussion lassen sich doch einige Argumente festhalten.

Wenn diese Veranstaltung die staatlich choreografierten Zeremonien und ihre Botschaft infrage stellen und eine alternative Form des Gedenkens bieten will, dann sollte sie in der Tat am Abend des Gedenktags in einer gut erreichbaren großen Stadt wie Tel Aviv stattfinden, um auch den Mainstream des (weitgehend jüdischen) israelischen Publikums zu erreichen.

Chen Alon, einer der Gründer*innen der CFP und seit vielen Jahren Leiter der Veranstaltung, spricht von einer «bewussten Grenzübertretung» und führt dafür an, dass die Gedenktagszeremonien nicht dem Mainstream und der herrschenden Ideologie allein gehören. Moti Fogel sprache sich in seinem Redebeitrag bei der Zeremonie 2011 gegen jegliche Gedenktagszeremonien aus, die israelisch-palästinensische eingeschlossen. Motis Bruder, Frau und drei Kinder wurden im März 2011 in der israelischen Siedlung Itamar im Westjordanland in ihren Betten von Palästinenser*innen getötet. Zwei Monate später bei seiner Rede wandte er sich nicht nur gegen jede Art von Gedenkzeremonie, sondern gegen die Idee eines kollektiven Gedenktags überhaupt. Seine Trauer sei privat. Das Gedenken an die Toten zur Rechtfertigung von Krieg und weiteren Toten zu benutzen, sei nicht weniger verwerflich, als damit für Frieden zu werben, ganz gleich aus welchen politischen Erwägungen heraus. Dieses Verhältnis zur Erinnerung sei zynisch, man mache es sich damit zu leicht, der sprachlosen Trauer über den Tod anderer Menschen zu entfliehen. Der wahrhaftigste Moment am Gedenktag sei die Sirene – das Aussetzen aller Gespräche und Tätigkeiten. Wenn die israelisch-palästinensische Zeremonie den Kreislauf der Trauer und Erinnerung mit Versöhnung und Frieden beenden möchte, so könne das doch aktuell nicht geschehen, es sei einfach nicht möglich, mit gutem Gefühl nach Hause zu gehen.

Chen Alon sagt, dass persönliche Erzählungen von den nationalen, kollektiven Narrativen durchzogen sind und dass die Zeremonie das Bedürfnis anspricht, sich mit der eigenen nationalen Identität in Kontakt zu bringen, allerdings mittels eines menschlichen Universalismus, der dem Narrativ der Aufopferung für das Land und der Vorbereitung der nächsten Generation auf den Krieg entgegengesetzt wird.

Impliziert eine gemeinsame Zeremonie Symmetrie zwischen den jüdischen Besatzer*innen und den unterdrückten Palästinenser*innen? Die Organisator*innen erkennen an, dass die Zeremonie im Rahmen einer eklatant asymmetrischen und ungerechten Realität stattfindet, die durch die Besatzung und zahllose damit verbundene Unterdrückungsmechanismen geprägt ist. Die Zeremonie findet in Tel Aviv statt und richtet sich in erster Linie an eine breite jüdische Öffentlichkeit, gerade weil Israel als die stärkere Seite verstanden wird, die die Macht und Verpflichtung hat, die Situation zu verändern. Palästinensische Mitglieder beider Veranstalterorganisationen werden gebeten, sich ihren jüdischen Mitstreiter*innen anzuschließen und sich daran zu beteiligen, diese Öffentlichkeit zu schaffen.

Naturgemäß sind Zeremonien, da bilden die Gedenktagszeremonien keine Ausnahme, kollektive Ereignisse, die die Frage aufwerfen, wer davon ausgeschlossen bleibt. In diesem Fall und auch im Allgemeinen sind das die palästinensischen Bürger*innen Israels. In den letzten Jahren hat es einige Initiativen gegeben, am Gedenktag gemeinsame Veranstaltungen anderer Art abzuhalten, in denen sich auch palästinensische Bürger*innen Israels wiederfinden können.

Der Gedenktag gilt gewöhnlich als sakrosanktes Ritual, dem man buchstabengetreu zu folgen hat. Alternative Formen des Gedenkens werden daher als Tabubruch wahrgenommen, der im besten Fall als Provokation abgetan, im schlimmsten als Verrat angesehen wird. Im Kontext des andauernden israelisch-palästinensischen Konflikts und der israelischen Besatzung erscheint die israelisch-palästinensische Gedenktagszeremonie als unausdenkbare Kollaboration mit dem Feind.

Palästinenser*innen aus dem Westjordanland, die an der Zeremonie teilnehmen möchten, benötigen wie die meisten Palästinenser*innen, die Israel betreten wollen, eine Einreiseerlaubnis der israelischen Zivilverwaltung (einer Militärbehörde, die die Palästinenser*innen im Westjordanland regiert). Wie ein Ritual innerhalb eines Rituals werden alle Anträge zunächst immer abgelehnt und erst nach der Anrufung des obersten israelischen Gerichtshofs und ein wenig Berichterstattung in den Medien einige davon in letzter Minute genehmigt. Daher werden die Beiträge palästinensischer Redner*innen im Vorfeld aufgezeichnet und im Hauptsaal auf eine Leinwand projiziert, falls sie nicht persönlich auf der Bühne sein können.

Einen geeigneten Veranstaltungsort für das stetig wachsende Publikum sowie Musiker*innen für die Zeremonie zu finden, ist eine wirkliche Herausforderung. Auch Redner*innen und Moderator*innen sehen sich Kritik ausgesetzt und werden manchmal gewarnt, dass ihnen durch ihre Teilnahme ein bestimmter Stempel (als was?) aufgedrückt werden kann. Jedes Jahr findet vor dem Veranstaltungsort eine Gegendemonstration statt. Kritik an der Zeremonie und Protest dagegen ist natürlich legitim, doch in den letzten Jahren haben nicht nur die Teilnehmerzahlen bei diesen Demonstrationen, sondern auch das Ausmaß verbaler und physischer Angriffe zugenommen: Anschreien, Beleidigen, Anspucken, manchmal auch Würfe mit Gegenständen und sogar physische Attacken auf Teilnehmer*innen. Die Polizei ist vor Ort, um strenge Sicherheitsauflagen durchzusetzen, mit denen es ihr partiell gelingt, solche Gewaltakte seitens der Gegendemonstrant*innen zu verhindern. Noch heftiger ist die Hetze in den sozialen Medien während der Wochen vor der Veranstaltung. Dort wird den Redner*innen und dem Publikum der Tod in allen möglichen Varianten gewünscht und ihnen in einer sexuell beleidigenden und äußerst aggressiven Sprache gedroht, die ich hier nicht wiedergeben möchte.

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Rechtsradikale protestieren gegen die alternative Gedenkveranstaltung, Tel Aviv 2018. Foto: Activestills

Rechte israelische Politiker*innen tragen ihren Teil zur Delegitimierung der Zeremonie bei. Beispielsweise kündigte 2018 der damalige Verteidigungsminister Avigdor Lieberman an, dass er 110 Palästinenser*innen, deren Einreiseerlaubnis durch die israelischen Sicherheitsbehörden bereits erteilt worden war, von der Teilnahme an der Zeremonie ausschließen werde. Zur Rechtfertigung seiner Entscheidung twitterte er, dass es sich nicht um eine Gedenkzeremonie handele, sondern um die Zurschaustellung schlechten Geschmacks und mangelnder Sensibilität, die den trauernden Familien schade, die uns am meisten am Herzen liegen. Dieser Kommentar wurde von trauernden Angehörigen kritisiert, die Anstoß an Liebermans Anmaßung nahmen, über die richtige und falsche Art des Gedenkens zu entscheiden. Einer von ihnen war Hagai Yoel, dessen Bruder während seines Reservediensts im Westjordanland getötet wurde. Hagai fand sich in der Zeremonie zunächst gar nicht wieder, bis er davon hörte, dass Teilnehmer*innen von Gegendemonstrant*innen angegriffen wurden. Vier Jahre später wandte er sich als einer der Redner*innen bei der Zeremonie von 2020 gegen die Annahme des Verteidigungsministers, er könne ihm vorschreiben, wie er seines Bruders zu gedenken habe, und wies auch den Gedanken von sich, er sei ein Verräter, nur weil er die Besatzung ablehnt.

All diesen Hürden und Angriffen zum Trotz und unter ständiger Thematisierung und Bearbeitung der wirklichen Widersprüche dieser Veranstaltung findet die israelisch-palästinensische Gedenktagszeremonie seit 15 Jahren statt und zieht kontinuierlich mehr Menschen an. Jahr für Jahr stehen israelische und palästinensische Hinterbliebene auf der Bühne und erzählen die Geschichte ihrer eigenen Transformation.

Ben Kfir, ein jüdischer Israeli, dessen Tochter bei einem Terroranschlag ums Leben kam, beschrieb bei der Zeremonie 2013 eindringlich die Wut, die ihn damals überwältigte: Er war auf die ganze Welt wütend, sagte er, auf die Palästinenser*innen, die israelische Armee und die Sicherheitskräfte, auf die Politiker*innen, Gott und auf sich selbst, weil er sein Kind nicht hatte beschützen können. Er lag nachts wach und plante seine Rache. Als er begriff, dass es seine Tochter nicht zurückbringen würde, gleich wie viele Palästinenser*innen er auch tötete, da verlor er seinen Lebenswillen, zog sich zurück und dacht darüber nach, sich selbst das Leben zu nehmen. Der Wendepunkt kam, als er fast widerwillig an einem PCFF-Treffen teilnahm. Mit trauernden palästinensischen Familien in Kontakt zu treten und gemeinsam zu handeln gab seinem Leben einen neuen Sinn.

Yasmin Ishtaye, eine stark sehbehinderte junge Palästinenserin, die ich seit vielen Jahren kenne, erzählte ihre Geschichte bei der Zeremonie 2015. Ihr Vater wurde von einem israelischen Siedler erschossen, als sie 16 Jahre alt war. Der Siedler wurde verurteilt, floh aber vor Antritt seiner Gefängnisstrafe. Als sie sah, dass der Gerechtigkeit nicht genüge getan wurde, weckte das in ihr Wut und Hass auf Jüdinnen und Juden. In der Trauerzeit kam eine kleine Gruppe von Israelis, um dem Toten die Ehre zu erweisen und ihr Beileid auszudrücken. Das war das erste Mal, dass Yasmin Israelis traf, die nicht Soldat*innen oder Siedler*innen waren. Sie wollte zuerst nichts mit ihnen zu tun haben, doch die Israelis hakten sachte nach, und allmählich entstand eine tiefe und dauerhafte Beziehung zwischen diesen Aktivist*innen (denen ich mich viel später anschloss) und der ganzen Familie. Das war ein Wendepunkt auf Yasmins Weg, der sie von dort geradewegs auf die Bühne, wo sie im Alter von 27 Jahren ihre Geschichte erzählte, und später auch zum Beitritt in die PCFF führte.

Bassam Aramin ist einer der palästinensischen Gründer der CFP. Seine Tochter wurde im Alter von 10 Jahren von einem israelischen Grenzpolizisten direkt vor ihrer Schule erschossen. Rami Alhanan ist eine wichtige Figur im PCFF. Seine Tochter starb bei einem Selbstmordanschlag im Zentrum Jerusalems, als sie 14 Jahre alt war. Rami formuliert eine scharfe und klare Kritik an Israels Regime und Gesellschaft. Bassam sagt, es gehe nicht um einen Wettbewerb darin, wessen Leid größer sei, sondern um einen gemeinsamen Kampf darum, weiteres Leid zu vermeiden. Die Geschichte ihrer besonderen Freundschaft wird in der Dokumentation «Within the Eye of the Storm» erzählt, und beide waren voller Stolz auf ihre Söhne Arab und Yigal, als diese bei der Zeremonie 2016 auf der Bühne standen.

Das sind nur einige wenige Beispiele für die zahlreichen Geschichten, die die Redner*innen im Laufe der Jahre erzählt haben: Geschichten von ihrem Weg fort von Wut, Hass und Rachegefühlen hin zu Kontaktaufnahme und Kommunikation über die nationalen Gräben hinweg, ihrem Weg von Trauer und oft auch vom Verlust des Lebenswillens hin zu gemeinsamem Aktivismus, der ihrem Leben einen Sinn gibt, und auch ihrem Weg von der verbreiteten Zustimmung zu Israels Politiken und Praktiken hin zu einer kritischen Position.

Trotz der Dilemmata und Kritiken, die dieser Zeremonie anhängen und die ich teilweise auch teile, bin ich überzeugt, dass diese Veranstaltung in einem tiefen Sinne eine Alternative darstellt. Alleine die Debatte, die sie anstößt, bricht die monolithische Sicht auf, wie eine Gedenkzeremonie auszusehen hat: Es sollte eine gemeinsame Zeremonie sein, Verlust und Trauer sollten auf derselben Bühne präsent sein, es handelt sich nicht um ein Nullsummenspiel, und das Gespräch über die Besatzung und ihre Ungerechtigkeiten sollte Teil der Gedenkpraxis, der Trauer und des Schmerzes sein. Chen Alon, einer der Gründer der CFP und für viele Jahre Leiter der Zeremonie, sagt, dass zu den Aufgaben dieser Zeremonie gehört, eine Vision, unseren Blick auf die Zukunft, zu verkörpern. Sie bietet eine Alternative zur Verzweiflung und Orientierungslosigkeit und gibt den Menschen das Gefühl, dass Hoffnung in der israelisch-palästinensischen Zusammenarbeit liegt.

Übersetzung von Daniel Fastner & Charlotte Thießen für Gegensatz Translation Collectiv

Tamar Almog ist Projektmanagerin im Israel-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv.

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