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Netanjahu oder Nicht – Israel vor den Wahlen zur 23. Knesset

Israel wählt zum dritten Mal innerhalb eines Jahrs. Erneut geht es um die Person Netanjahu – und ums Überleben des Rechtstaats. Konkrete Pläne für Frieden und soziale Gerechtigkeit – Fehlanzeige. Einziger Lichtblick: eine erstarkte Gemeinsame Liste.

Die Fronten sind verhärtet, links und rechts von der politischen Mitte haben sich die kleineren Parteien in Bündnissen zusammengeschlossen, und alle bereiten sich auf das dritte Rennen innerhalb eines Jahres vor. Ob es das letzte sein wird? Erschöpfte Journalist*innen witzeln schon über eine mögliche vierte Wahl im Spätsommer 2020, falls die jetzigen Umfragen stimmen und es wieder zu keinem eindeutigen Ergebnis kommt, das eine Regierungsbildung ermöglicht.

Für Netanjahu, aber auch für den israelischen Rechtsstaat geht es bei dieser Wahl um das reine Überleben: Wird Oppositionsführer Benny Gantz eine Regierung bilden können, landet der amtierende Premierminister womöglich im Gefängnis; gewinnt das rechte Lager um Benjamin Netanjahu, wird nicht nur die israelische Justiz, die Netanjahu und seine Gefolgschaft zum Feind erklärten, dran glauben. Ein dramatischer Showdown, der aber mit den gesamtpolitischen Herausforderungen des Landes nur wenig zu tun hat. In den Medien wird die Rivalität ausschließlich auf das Persönliche reduziert: Ja oder Nein zu Netanjahu.

Dramatischer wurde es durch die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, deren Leiter selbst von Netanjahu ernannt wurde, den Premierminister nicht nur wegen Veruntreuung, sondern auch wegen der schwerwiegenden Anschuldigung der Bestechlichkeit anzuklagen. Die Anklageschrift wurde im November inmitten der Gespräche über eine etwaige Regierungsbildung veröffentlicht. Seit diesem Moment geht es Netanjahu um nichts anderes als die Rettung der eigenen Haut. Eine wie auch immer geartete Form der Immunität für sich zu arrangieren, war auch das Hauptziel der gescheiterten Verhandlungen über eine mögliche Einheitsregierung – über ökonomische oder politische Fragen wurde hingegen kaum mehr diskutiert.

Da weder die größte Oppositionspartei Blau-Weiß noch die säkular-nationalistische Partei Unser Zuhause Israel bereit waren, ihm den Prozess zu ersparen, entschied sich Netanjahu, inspiriert von seinem Freund und Unterstützer im Weißen Haus, die israelische Justiz verschärft mit Hasstiraden und Verschwörungstheorien anzugreifen und einen dritten Wahlgang innerhalb eines Jahres anzustreben. Denn, solange er amtierender Premier bleibt und das Justizministerium von seinem treuen Gefolgsmann, Rechtsaußen-Likud-Politiker Amir Ohana geführt wird, hofft er die Staatsanwaltschaft in Schach halten zu können. Falls Netanjahu doch gewinnen sollte, wird es sicherlich zu radikalen Reformen in der Judikative kommen, bis die „rechtsstaatliche Bande“, wie rechte Scharfmacher*innen die führenden Richter*innen und Staatsanwälte im Lande zu nennen pflegen, aufgelöst wird. Es ist kein Wunder, dass auch ein eingeschüchterter Oberster Gerichtshof verschlungene Umwege ging, um nicht entscheiden zu müssen, ob eine Person, gegen den ein Strafverfahren läuft, vom Präsidenten die Aufgabe einer Regierungsbildung bekommen darf.

Die Sackgasse bleibt

Auch wenn sich Netanjahus Rhetorik in den letzten Monaten noch zugespitzt hat, änderte sich indessen nichts Wesentliches an der Machtkonstellation der zur Wahl antretenden Bündnisse. Neben dem Likud, der mit etwa einem Viertel der Stimmen rechnen kann und dessen Wähler zumeist aus der von Mizrachim geprägten Mittelschicht stammen, gehören zum rechten, Netanjahu treuen Lager außerdem die drei religiösen Parteien, die jeweils mit etwa sechs oder sieben Prozent der Stimmen rechnen können: zum einen die Parteien Schas und Vereintes Thora-Judentum, deren Wähler*innen sich aus den Reihen der verarmten Ultraorthodoxen rekrutieren; zum anderen die Liste Nach Rechts, eine Vereinigung mehrerer rechtsradikaler Parteien, die vor allem in den jüdischen Siedlungen in der besetzten Westbank populär ist. Laut allen Umfragen wird auch in dieser Wahl das Netanjahu-Lager die notwendige Mehrheit von 61 Knesset-Abgeordneten deutlich verfehlen.

Auf der anderen Seite steht die von Benny Gantz geführte und aus drei Parteien bestehende Wahlliste Blau-Weiß (Kachol-Lawan, die Farben der Nationalfahne), die erneut ein wenig größer als Likud und damit größte Partei werden könnte. Mit drei ehemaligen Generalsstabschefs sowie mehreren gewichtigen Vertreter*innen aus Verwaltung und Medien repräsentiert die Liste das israelische Establishment, das sich als rechtsstaatliches Gegengewicht zur wachsenden Macht der Populist*innen und der religiösen Parteien versteht. In anderen Bereichen unterscheidet sich Blau-Weiß indes unwesentlich vom Likud. Auch sie sprechen nicht von einer Zweistaatenlösung und befürworten die herrschende neoliberale Wirtschaftspolitik. Wie in den letzten Wahlen deutlich zu erkennen war, mobilisiert Blau-Weiß ihre Wähler*innen zumeist aus den wohlhabenden und europastämmigen Schichten.

Auch die israelischen Sozialdemokraten und Linksliberalen, die sich in letzter Minute für ein Wahlbündnis der drei Parteien Gescher, Arbeitspartei und Meretz entschieden haben, stehen trotz deutlicher politischer Differenzen hinter der Kandidatur von Gantz als Premierminister. Dieser Zusammenschluss links von der Mitte ist kaum eine Liebes-, sondern eher eine Zwangsheirat: Nachdem die linksliberale bis sozialistische Meretz und die Arbeitspartei im September nur knapp über die 3,25-Prozenthürde kamen, haben führende Persönlichkeiten im linken Lager verantwortungsbewusst dafür plädiert, beide Wahllisten zu vereinen. Ihre jeweiligen, eher mäßig erfolgreichen Profilierungsversuche – die Arbeitspartei (in Verbund mit der von Mizrachi- und feministischen Aktivist*innen gegründeten Gescher) als sozialdemokratische Kraft, die die unteren, vor allem aus der arabischen Welt stammenden Jüdinnen und Juden in den ärmeren Peripherien des Landes glaubhaft vertritt; Meretz als linksliberale Friedenspartei der bildungsbürgerlichen, aus Europa stammenden Wähler*innen - stehen tatsächlich in einem Verhältnis voller Gegensätze zueinander und es ist wohl möglich, dass dieses Bündnis gemeinsam mit sieben bis acht Prozent noch weniger Stimmen bekommt, als die Einzelparteien in zwei getrennten Listen bei den letzten Wahlen erhielten.

Deutlich kampfeslustiger und mit Aussicht auf eine Vergrößerung ihres Stimmanteils kandidiert auf der progressiven Seite des Parteienspektrums die Gemeinsame Liste, ein Zusammenschluss von vier Parteien, die die Interessen der palästinensischen Minderheit in Israel, die etwa 20 Prozent der israelischen Staatsbürger*innen ausmacht, repräsentieren. Die Liste versammelt sehr unterschiedliche politische Positionen, von sozialistischen über liberale bis zu islamisch-konservativen. In der gesamten arabischen Welt, gar weltweit wird die Liste aufmerksam, mitunter begeistert wahrgenommen, schließlich stellt sie einen Gegenpol zu den mitunter kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen ebendiesen Gruppen in anderen Ländern der Region dar. Unter ihren Kandidat*innen gibt es Muslime, Christen, Drusen, Beduinen sowie einen jüdischen Sozialisten. Vor allem die sozialistische Demokratische Front für Frieden und Gleichheit, Chadasch/al-Dschabha, sorgte innerhalb des Bündnisses dafür, dass die Gemeinsame Liste ein Programm hat, das nicht nur die Interessen der palästinensischen Minderheit in Israel berücksichtigt, sondern eine progressive Vision – ein Ende der Besatzung, eine Demokratie, die mehr ist als die Willensbekundung der Mehrheit, und mehr soziale Gerechtigkeit – für Israel insgesamt beinhaltet. Damit konnte sie bei den letzten Wahlen Zehntausende jüdische Israelis für sich gewinnen, ein Novum. Nach den letzten Wahlen erklärte sich die Gemeinsame Liste, die mit 13 von 120 Abgeordneten drittgrößte politische Kraft geworden war, mehrheitlich bereit eine Regierung unter der Führung von Blau-Weiß zu unterstützen und forderte im Gegenzug eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde, Maßnahmen zur Verringerung der strukturellen Benachteiligung der palästinensischen Staatsbürger*innen Israelis, etwa im Bereich der staatlichen und kommunalen Raumplanung, sowie eine strengere Regulierung der Kleinwaffenlizensierung und eine Kampagne gegen häusliche und bandenmäßige Gewalt, unter der vor allem arabische Gemeinden leiden. Dieses historische Angebot zur Unterstützung der Regierung kam letztendlich nicht zustande, etablierte dennoch die Gemeinsame Liste als eine ernstzunehmende politische Macht: Auch das ein Novum für eine politische Kraft, die die palästinensischen Staatsbürger*innen Israels repräsentiert. Doch selbst mit ihrer Unterstützung, verfehlte das Lager um Gantz die parlamentarische Mehrheit.

Haupthindernis auf dem Weg zu einer von Netanjahu oder aber Gantz geführter Koalition war und blieb Avigdor Lieberman, Vorsitzender der säkular-nationalistischen Partei Unser Zuhause Israel. Obzwar im rechten Lager fest verankert, weigert sich Lieberman weiterhin, in eine von Netanjahu geführte Regierung einzutreten mit der Begründung, in einer Koalition mit knapper Mehrheit würden die ultraorthodoxen Parteien eine zu gewichtige Rolle spielen. Lieberman forderte stattdessen eine Große Koalition aus Likud und der wichtigsten Oppositionsliste. Doch Blau-Weiß weigerte sich – ebenso wie alle anderen Oppositionsparteien –, mit dem Likud zu koalieren, solange der angeklagte Netanjahu die Partei führt. Gleichzeitig weigert sich Lieberman jegliche Zusammenarbeit mit einer Regierung, die sich von der Gemeinsamen Liste ins Amt wählen lässt. Nach wie vor beschimpft er mit rassistischen Untertönen die Vertreter*innen der palästinensischen Minderheit als Staatsfeinde und fünfte Kolonne.

Bleiben die jeweiligen Parteien auch nach der Wahl bei ihren Positionen, wird es auch nach den kommenden Wahlen kaum zu einer Regierungsbildung kommen können.

Wahlhilfe aus dem Ausland

Die andauernde Regierungskrise und die daraus resultierende allgemeine Politikverdrossenheit könnte vor allem Netanjahu schaden. Bereits bei den letzten Wahlen im September 2019 verlor das rechte Lager, im Vergleich zur Wahl im April 2019, etwa zehn Prozent seiner Wähler*innen. In den aktuellen Umfragen scheint sich diese Tendenz fortzusetzen. Angesichts der Wahlmüdigkeit seiner Stammwähler*innen, greift Netanjahu, der aufgrund seiner machiavellistischen Ränkespiele seit langem die Bezeichnung „Der Zauberer“ trägt, zu besonderen Tricks, vor allem im Bereich der Auslandspolitik. Gegenüber der israelischen Öffentlichkeit stellt seine erfolgreiche Verteidigung der israelischen Besatzung der Palästinensergebiete in der internationalen Arena einen Haupttrumpf dar. Seinen Erfolg verdankt er nicht zuletzt der weltweiten Erstarkung rechtspopulistischer Kräfte. Seine engen Beziehungen zu Trump, Putin, Modi oder Bolsonaro spielten bereits in den vorherigen Wahlen eine wichtige Rolle.

Dennoch, so unverfroren intervenierte noch kein vorheriges ausländisches Staatsoberhaupt in den israelischen Wahlen wie zuletzt. Und so wurde der 28. Januar zum besten und zum schlechtesten Tag im politischen Leben des israelischen Premierministers. Während in Jerusalem das Gerichtsverfahren gegen Netanjahu offiziell eingeleitet wurde, nachdem er seinen Immunitätsantrag zurückgenommen hatte, landete er in Washington, um der feierlichen Bekanntmachung des Friedensplans von Trump und dessen Schwiegersohn Jared Kushner beizuwohnen. Mehr Eingeständnisse seitens der US-Regierung für die israelische Siedlungspolitik hätte sich niemand erträumen können: Demnach soll keine einzige jüdische Siedlung geräumt werden, Ost-Jerusalem unter voller israelischer Kontrolle bleiben und 30 Prozent der Westbank sollen annektiert werden. Der Plan beinhaltet auch die radikal rechten Forderungen nach jüdischen Gebeten auf dem Gelände der Al-Aqsa-Moschee und die Möglichkeit, Ortschaften, in denen bis zu 300.000 palästinensischen Staatsbürger*innen Israels leben, an den zukünftigen palästinensischen „Staat“ zu übergeben und damit ein Viertel der palästinensischen Staatsbürger*innen Israels faktisch auszubürgern.

Dass keine palästinensischen Politiker*innen diesen Plan auch nur teilweise akzeptieren können, war den Verfassern wohl bekannt und auch in Israel machte sich niemand Illusionen, dass dieser „Deal des Jahrhunderts“ tatsächlich zu produktiven Verhandlungen führen könnte. Vielmehr diente das Ganze als ein großzügiges Wahlgeschenk an das rechte Lager. Damit erfüllte der Plan schon jetzt eines seiner Ziele: Anstatt über Korruption, steigende Armut und religiöse Intoleranz wird jetzt vor allem über diesen vorgeblichen diplomatischen Erfolg Netanjahus diskutiert. Die Oppositionspartei Blau-Weiß, die selbst nach Wähler*innen im rechten Lager fischt, war sichtlich von diesem Schachzug genervt, erklärte aber auch ihre Unterstützung für die Annexion des Jordantals und wollte der Annahme des Plans im Parlament zustimmen.

Und als ob der Trump-Plan nicht genug wäre, landete Netanjahu auf dem Weg nach Hause einen weiteren Coup. Eine junge israelische Frau, die wegen Cannabis-Besitzes für mehrere Monate in russischer Haft saß und für die eine medienwirksame Kampagne in Israel lief, wurde durch einen Gnadenerlass Putins und als persönlicher Gefallen für Netanjahu freigelassen und konnte so im Flugzeug des Premierministers nach Israel fliegen. Wenige Tage danach konnte Netanjahu sogar damit prahlen, sich als erster israelischer Premier mit dem Staatsoberhaupt von Sudan getroffen zu haben. Ob noch weitere Überraschungen in seinem Ärmel stecken, bleibt abzuwarten.

Fazit

Israel befindet sich zurzeit in der längsten und tiefsten Regierungskrise seiner Geschichte. Gleichzeitig waren die politischen Differenzen zwischen den führenden Kräften, was die Wirtschaftspolitik oder die Besatzung betrifft, kaum je so klein. In diesen Bereichen scheint die rechte Hegemonie die Oberhand behalten zu können – egal wer am 2. März die Wahlen gewinnt. Die Parteien links von der Mitte waren noch nie so schwach, auch wenn die Erfolge der Gemeinsamen Liste dieser Tendenz etwas entgegensetzen.

Ein gewichtiger Grund für die desolate Situation des progressiven Israel ist klar erkennbar. Das Hauptnarrativ des israelischen Friedenslagers war stets, dass die Besatzung der Palästinensergebiete und die Entrechtung der dort lebenden Bevölkerung beendet werden muss, damit Israel nicht als Paria-Staat wahrgenommen wird. Der Konflikt mit den Palästinenser*innen wurde stets als Hindernis für wirtschaftliches Wachstum und internationale Beziehungen dargestellt: Um nicht isoliert zu werden, müsse Israel die Besatzung aufgeben. Die Entwicklungen der letzten Jahre, insbesondere seit dem Amtsantritt Trumps, zeigen, dass dies mitnichten nicht der Fall ist. Die globale Erstarkung des Rechtspopulismus, der rasante Aufstieg von messianisch-evangelikalen Bewegungen und der aggressive Anti-Iran-Kurs der ölreichen Diktaturen auf der arabischen Halbinsel führen alle dazu, dass Israels Politik seit dem siegreichen Krieg von 1967 noch nie so viel Unterstützung erfahren hat wie gegenwärtig – und das nicht trotz, sondern womöglich aufgrund der Entrechtung der Palästinenser*innen in den besetzten Gebieten. Unter Netanjahu wurde Israel zum Symbol für christliche Endzeitfanatiker*innen, anti-muslimische Demagog*innen und repressive Diktaturen. Es ist ja die liberale Weltordnung, die sich heute isoliert fühlt – nichts andersrum.

An der Speerspitze dieser globalen Entwicklung und als einer ihrer Hauptprotagonisten sieht sich – zu Recht oder auch nicht – Netanjahu. Und er führt aus, dass diese Entwicklung auch gut für Israel sei: Der Tourismus blüht und auch die Waffenindustrie, während die Arbeitslosigkeit niedrig bleibt. Zwar ist die Kluft zwischen Arm und Reich noch immer eine der extremsten unter den Industrieländern und die Zahl der prekär Beschäftigten bleibt enorm hoch, doch daran scheint auch Blau-Weiß kaum rütteln zu wollen. Das gleiche gilt auch für die Besatzung der Palästinensergebiete: Von internationalem Druck kann keine Rede mehr sein, und Netanjahu sieht keine Notwendigkeit diese je zu beenden. Mit den sporadischen Gewaltausbrüchen aus dem Gaza-Streifen oder der Westbank weiß man sich zu arrangieren.

Das kann sich noch alles ändern: Die Palästinenser*innen könnten erneut den Aufstand probieren, in den USA könnte ein jüdischer Sozialist Präsident werden und demokratische Bewegungen in der arabischen Welt können wiedererstarken und strategische Wahlbündnisse auflösen. Von den Knesset-Wahlen am 2. März ist hingegen mit keinen geostrategischen Umbrüchen zu rechnen. Es geht lediglich darum, ob Netanjahu bleibt oder geht. Das ist wichtig genug.

Tsafrir Cohen leitet das Israel-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Hintergrund

DIE KNESSET

Israels Parlament, die Knesset (hebräisch für: Versammlung; nimmt Bezug auf die Große Versammlung, das heißt dem nach Überlieferung aus 120 Mitgliedern bestehenden Obersten Rat der jüdischen Gemeinden nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil) ist das Einkammerparlament des Staates Israel und hat folglich die gesamte gesetzgebende Staatsgewalt inne. Die Knesset verabschiedet alle Gesetze, wählt die/den Präsidenten*in und die/den Premierminister*in (obwohl letztere/r von der /vom Präsidenten*in feierlich ernannt wird), genehmigt das Kabinett und überwacht die Arbeit der Regierung. Sie hat auch die Befugnis, die Immunität ihrer Mitglieder aufzuheben, die Regierung in einem konstruktiven Misstrauensvotum aufzulösen, sich aufzulösen (Das darf auch die/der Premierminister*in.) und Neuwahlen zu fordern. Sitz der Knesset: Givat Ram, (West)Jerusalem.

WAHLBERECHTIGTE

Von den ca. 8.700.000 Millionen israelischen Staatsbürger*innen sind ca. 6.500.000, die älter als 18 Jahre sind, wahlberechtigt. Das schließt die Erwachsenen unter den ca. 600.000 israelischen Staatsbürger*innen, die in Siedlungen in der besetzten Westbank einschließlich Ostjerusalems leben, mit ein, nicht aber die Erwachsenen unter den ca. 4.800.000 in den besetzen Gebieten, sprich der Westbank und dem Gazastreifen, lebenden Palästinenser*innen. Die Stimmabgabe ist nur im Inland möglich; Ausnahme: Jenseits von Diplomat*innen, Seeleuten und anderen Entsandten, die in israelischen Botschaften ihre Stimme abgeben können, dürfen die Siedler*innen in den Siedlungen der Westbank wählen, obwohl diese – auch nach offizieller israelischer Lesart – nicht Teil Israels sind.

WAHLEN

Das ganze Land bildet einen gemeinsamen Wahlkreis, die Parteien haben also jeweils eine Kandidatenliste, und die Wähler*innen können keine Personen, sondern nur die Partei wählen.

Es gilt das Verhältniswahlrecht mit einer 3,25 Prozenthürde.

Wahlperiode: vier Jahre.

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Chronik der Regierungsbildung:

  • 2015: Aufbau einer Regierungskoalition der rechten beziehungsweise religiösen Parteien mit einer knappen Mehrheit: 61:59.

  • 2016: Unser Zuhause Israel tritt der Koalition bei. Die Koalitionsmehrheit liegt jetzt bei 67:53.

  • 2018: Unser Zuhause Israel tritt aus der Koalition wieder aus. Erneut knappe Mehrheit: 61:59.

  • April 2019: Wahlen. Das rechte beziehungsweise religiöse Lager erringt eine Mehrheit von 65 zu 55 Mandaten.

  • Mai 2019: Unser Zuhause Israel weigert sich, einer rechten Regierungskoalition unter Beteiligung der ultraorthodoxen Parteien beizutreten und fordert eine Große Koalition unter Beteiligung von Likud und Blau-Weiß. Deren Aufbau scheitert jedoch an der Personalie Netanjahu. Ohne Unser Zuhause Israel hätte eine rechte Regierungskoalition unter Netanjahu mit 60 Mandaten knapp die Mehrheit verfehlt (Mehrheit: 61). Damit kann keine Parteienkonstellation eine Mehrheit zusammenbringen. Nachdem alle Versuche, eine Regierung aufzubauen, gescheitert sind, löst sich die Knesset auf und setzt Neuwahlen.

  • September 2019: Wahlen. Das Lager um Netanjahu bekommt lediglich 55 Mandate (Minus fünf), das Lager um Benny Gantz (mit der gemeinsamen Liste, die sich zu einer Tolerierung seiner Regierung bereiterklärt) bekommt 57 Mandate (plus zwei). Unser Zuhause Israel verdoppelt ihr Ergebnis und erhält acht Mandate.

  • Dezember 2019: Unser Zuhause Israel weigert sich erneut, einer rechten Regierungskoalition unter Beteiligung der ultraorthodoxen Parteien oder aber einer von der Gemeinsamen Liste tolerierten Regierung um Blau-Weiß beizutreten und fordert wie zuvor eine Große Koalition unter Beteiligung von Likud und Blau-Weiß. Eine solche Koalition scheitert jedoch erneut an der Personalie Netanjahu. Damit kann keine Parteienkonstellation eine Mehrheit zusammenbringen. Folglich löst sich die Knesset auf und setzt Neuwahlen für den 2. März 2020.

Übersicht der wichtigsten Parteien

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Likud

Der Likud (hebräisch für: Vereinigung, voller Name: der Likud - eine liberale nationale Bewegung) wurde 1973 als gemeinsame Wahlliste der von Menachem Begin geführten rechtsnationalistischen Cherut-Partei und einer Reihe von rechten und liberalen Bewegungen/Parteien etabliert. Die Wahlliste wurde 1988 zu einer Partei. Der Likud setzte sich an die Spitze des Protests der Mizrachim gegen die Arbeitspartei und gewann so die Wahlen 1977, womit die Vorherrschaft der Arbeitspartei zu Ende ging, und hat seitdem häufig die Regierungskoalitionen geführt. Seit 2009 stellt der Likud mit Benjamin Netanjahu durchgehend den Premierminister. Im Verlauf des letzten Jahrzehnts wurden die liberal-demokratischen Stimmen im Likud völlig marginalisiert, sodass die Partei gegenwärtig nicht nur tradierte rechtsnationalistische Positionen vertritt, sondern auch zunehmend rechtsstaatliche Grundsätze infrage stellt. Da die Partei in den letzten Jahren zunehmend zu einer Wahlliste von Premier Netanjahu geworden ist, hat sie seit 2009 kein neues Parteiprogramm mehr und wirbt lediglich mit den Vorzügen ihres Vorsitzenden und ihrer Führungsriege.

Vorsitzender: Benjamin Netanjahu

Knesset-Sitze: 32

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Schas

Die 1984 gegründete und seit 1988 in der Knesset vertretene jüdisch-orthodoxe Schas (hebräisch: Akronym für Sephardische Thora-Wächter) versteht sich in sozialen und religiösen Fragen als Interessenvertreterin der Mizrachim und als Bewahrerin von deren religiös-kultureller Identität. Sie entwickelte sich relativ schnell zu einer beachtlichen politischen Kraft. 1999 erreichte sie mit 17 Knesset-Sitzen ihr bislang bestes Ergebnis. Ihr Parteiführer Arje Deri wurde 2000 wegen Bestechung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Er galt (und gilt) bei den Anhänger*innen als unschuldig verurteilt beziehungsweise als politisch durch das aus Europa stammende Establishment verfolgt. Zurzeit laufen gegen ihn wieder Ermittlungen wegen Korruption. Die Trennung von Staat und Religion in familienrechtlichen Angelegenheiten lehnt Schas strikt ab. Nicht zuletzt aus finanzpolitischen Erwägungen - staatliche Finanzierung des ultraorthodoxen Schulwesens und sozialer Einrichtungen - beteiligt sich die Partei mehrfach an Regierungskoalitionen, zuletzt vorzugsweise mit dem Likud. Die Partei stellt grundsätzlich keine Frauen zur Wahl.

Vorsitzender: Arje Deri

Knesset-Sitze: 9

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Vereintes Thora-Judentum

Eine ultraorthodox-religiöse Allianz von zwei Parteien, Agudat Jisra‘el (hebräisch: Der Verein Israels, die Partei der Chassidim) und Degel HaTora (hebräisch: Fahne der Thora. Diese repräsentiert den nicht-chassidischen Teil des ultraorthodoxen Judentums, steht also in der Tradition der litauischen Mitnagdim). Ihre feste Klientel sind die streng religiösen aschkenasischen aus (Ost- und Mittel-)Europa stammenden Jüdinnen und Juden, konzentriert insbesondere in mehreren Wohnbezirken Jerusalems, in Bnei Brak (Großraum Tel Aviv) und in einigen Siedlungen der Westbank. Sie strebt eine Ausweitung der religiösen Gesetzgebung auf alle Bereiche des täglichen Lebens an, plädiert für die Zurücknahme säkularer Elemente in Staat und Gesellschaft und lehnt westliche Kultureinflüsse bzw. Gesellschaftsmodelle, etwa die Einberufung ultraorthodoxer junger Männer zum Wehrdienst, ab. Nicht zuletzt aus finanzpolitischen Erwägungen - staatliche Finanzierung des ultraorthodoxen Schulwesens und sozialer Einrichtungen - beteiligt sich die Partei mehrfach an Regierungskoalitionen, zuletzt vorzugsweise mit dem Likud, bemühen sich jedoch aus religiösen Gründen keine Ministerposten zu übernehmen, sondern höchstens Vizeministerposten, um sich wenigstens symbolisch von der säkularen Gewaltausübung des Staates zu distanzieren. Gegen den Listenvorsitzender, Yaakov Litzman, der seit Jahren das Gesundheitsministerium als Vizeminister führt, laufen derzeit Ermittlungen wegen Korruption. Die Partei stellt grundsätzlich keine Frauen zur Wahl.

Vorsitzende: Yaakov Litzman (Agudat Israel) und Mosche Gafni (Degel HaTora)

Knesset-Sitze: 7

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Nach Rechts

Ein vor den Wahlen geschlossenes politisches Bündnis der rechtsnationalistischen, nationalreligiösen und rechtsextremen Parteien in Israel. Sie besteht aus den Parteien Die Neue Rechte, Jüdisches Heim und die Nationale Union - Tkuma (Deutsch: Wiedergeburt). Die Partei steht für einen neoliberalen Wirtschaftskurs, „höchste Transparenz“ bei den Gewerkschaften, für die Annexion großer Teile der Westbank und eine beschränkte Autonomie für die Palästinenser*innen in dichtgedrängten, miteinander geografisch nicht verbundenen Enklaven, für die Beschneidung der Befugnisse der Gerichte und für die Stärkung der jüdischen Identität, unter anderem durch die Abschaffung des Bleiberechts für nicht-jüdische Migrant*innen und Geflüchtete.

Vorsitzender: Naftali Bennet (Die Neue Rechte)

Knesset-Sitze: 7

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Unser Zuhause Israel

Jisra‘el Beitenu ist eine 1999 vom ehemaligen Generalsekretär des Likud und Büroleiter Netanjahus, Avigdor Lieberman gegründete säkular-nationalistische israelische Partei, die sich als Partei der Einwanderer*innen aus der ehemaligen Sowjetunion versteht und vor allem eine harte Linie gegenüber Israels palästinensischer Minderheit fährt. Ihren bisherigen Höhepunkt erreichte sie mit 15 Knesset-Sitzen 2009. Ihr Vorsitzender Lieberman amtierte als Außen- und Verteidigungsminister. Sowohl nach den Wahlen im April, als auch im September 2019 weigerte sich Lieberman in eine vom Likud geführte, rechte Koalition einzutreten, wenn an dieser Koalition die orthodoxen Parteien beteiligt sein sollten. Diese Gegnerschaft zu den orthodoxen Parteien hat ihm zu neuer Popularität bei säkularen Nationalist*innen verholfen, auch jenseits seiner angestammten Wählerschaft der Einwanderer*innen aus der ehemaligen Sowjetunion. Gleichzeitig weigerte sich Lieberman auch in eine von Blau-Weiß geführte Mitte-Rechts-Koalition einzutreten, da diese durch die mehrheitlich palästinensische Gemeinsame Liste hätte toleriert werden müssen. Er forderte stattdessen eine große Koalition von Likud und Blau-Weiß - ohne Beteiligung der orthodoxen Parteien. Daraufhin konnten weder Likud, noch Blau-Weiß eine Mehrheit hinter sich bringen, was Neuwahlen notwendig machte.

Vorsitzender: Avigdor Lieberman

Knesset-Sitze: 8

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Blau-Weiß

Kachol-Lawan (Die Farben der israelischen Fahne), das kurz vor den Wahlen im April 2019 gegründete Bündnis ist eine Zusammenführung dreier Parteien, die jeweils um eine öffentliche Person zentriert sind: der liberalen Jesch Atid des TV-Stars Jair Lapid (2013-14 Finanzminister unter Netanjahu. Während dieser Zeit setzte er trotz seines Versprechens, auf eine sozial gerechtere Gesellschaft hinzuwirken, Kürzungen in diversen Bereichen sowie Steuererhöhungen, die besonders die Mittelschicht und Menschen mit niedrigerem Einkommen betrafen, durch) und zweier Parteineugründungen um die ehemaligen Generalstabschefs der israelischen Armee Benny Gantz (Chosen LeJisra‘el, zu Deutsch: Widerstandskraft für Israel) und Mosche „Bogie“ Jaalon (Telem; Jaalon war bis zu einem Zerwürfnis mit Netanjahu Likud-Mitglied und 2013-16 Verteidigungsminister). Mit in der Führungsspitze ist ein dritter ehemaliger Generalstabschef, Gabi Aschkenasi sowie der bisherige Vorsitzende des Dachverbands der Gewerkschaften Israels Histadrut, Avi Nissenkorn.

Vorsitzende: Benny Gantz

Knesset-Sitze: 33

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Die Arbeitspartei, Gescher und Meretz

Angesichts der mageren Wahlergebnisse von Meretz (fünf Abgeordnete) und der Arbeiterpartei (sechs Abgeordnete im Bündnis mit Gesher) und aus Angst an der 3,25-Prozenthürde zu scheiten, haben sich diese zu einem technischen Wahlbündnis zusammengeschlossen, das nach den Wahlen aufgelöst, wird, damit die Partner ihre jeweils eigene politische Ausrichtung und Strukturen behalten.

Gegründet 1968, steht die Arbeitspartei in der Nachfolge der zionistischen Arbeiterbewegung. Diese gründete in den 1920ern die Histadrut (wörtlich: Organisation; allgemeine hebräische Gewerkschaft), welche die hebräische Siedlungswirtschaft und Infrastruktur dominierte und später die Mapai (hebräisch: Akronym für Partei der Arbeiter in Eretz Israel) zur herrschenden Kraft in der zionistischen Bewegung machte. Mapai und ihre Nachfolgerin, die Arbeitspartei, waren bis 1977 die führende politische Kraft in Israel und stellten durchgehend den/die Premierminister*in. Danach wurde sie zur wichtigsten Oppositionspartei, konnte zudem mehrfach erneut den Ministerpräsidenten stellen, etwa von 1992 bis 1996 unter Jitzchak Rabin und Schimon Peres (Osloer-Abkommen) und von 1999 bis Anfang 2001 unter Ehud Barak. Die Arbeitspartei ist Mitglied der Progressiven Allianz und der Sozialistischen Internationale.

Gescher (Deutsch: Brücke) ist eine Partei, die um Orly Levy-Abekasis, Mizrachi-Aktivistin und Tochter eines ehemaligen Likud-Außenministers, zentriert ist und es bei den letzten Wahlen nicht in die Knesset schaffte. Während die Partei in Friedensfragen keine eindeutige Position hat, steht sie für eine klare sozialdemokratische Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Meretz (ein aus Parteinamen geformtes Akronym, das das hebräische Wort für Kraft/Energie bildet) ist eine Wahlliste, zu der sich 1992 die Bürgerrechtspartei Ratz, die linkszionistische Mapam und die liberale Schinui zusammenschlossen. Als solche hatten sie bei den Knesset-Wahlen 1992 ihren größten Erfolg (Sie errangen 12 von 120 Mandaten). Bei der Bildung der von Jitzchak Rabin geführten Regierungskoalition spielte sie eine Schlüsselrolle und ermöglichte somit später die Oslo-Abkommen. 1997 lösten sich die beteiligten Parteien auf und Meretz konstituierte sich als Partei. Meretz gilt als Hort des aus Europa stammenden jüdischen Bildungsbürgertums und ist (links)liberal bis sozialistisch geprägt, steht für eine Zweistaatenlösung auf der Basis der international anerkannten Grenzen Israels, die Abschaffung des Nationalstaatsgesetzes, für eine gerechtere Sozial- und Wirtschaftsordnung sowie die Stärkung von Demokratie und Rechtstaats.

Vorsitzende: Amir Peretz (Arbeitspartei) mit Orly Levy-Abekasis (Gescher) und Nitzan Horowitz (Meretz)

Knesset-Sitze: 11 (Arbeitspartei und Gescher: 6; Meretz/Demokratisches Lager: 5)

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Die Gemeinsame Liste

Eine gemeinsame Wahlliste von Chadasch/al-Dschabha, Balad/al-Tadschamu’, der Vereinigten Arabischen Liste (geführt vom südlichen Flügel der Islamischen Bewegung) und Ta’al, die erstmals zu den Knesset-Wahlen 2015 antrat. Die Gemeinsame Liste gewann 13 Mandate und wurde damit drittgrößte Fraktion in der Knesset.

Die Gemeinsame Liste repräsentiert über den überwiegenden Teil der palästinensischen Minderheit in Israel, ist zugleich Heimat linker, anti- und nicht zionistischer Jüdinnen und Juden, die vor allem an der sozialistischen Chadasch/al-Dschabha angebunden sind. Gleichzeitig ist ihr Programm auf das gesamte israelische Gemeinwesen ausgerichtet, wobei die Forderung nach Beendung der Besatzung aller seit 1967 besetzten Gebiete sowie der Kampf um soziale Gerechtigkeit und Arbeiterrechte die Hauptpfeiler sind. Weitere Informationen hier: Gemeinsam anders – Die Gemeinsame Liste und progressive Politik in Israel.

Die Demokratische Front für Frieden und Gleichheit (Chadasch ist das Akronym des hebräischen Namens; außerdem das hebräische Wort für neu; al-Dschabha bedeutet auf Arabisch die Front) wurde 1977 von der Kommunistischen Partei Israels, der KPI, die nach wie vor dort eine zentrale Rolle spielt, als Bündnis linksgerichteter Kräfte gegründet und beteiligte sich als solches an den Wahlen. Ihr Slogan ist „Frieden und Gleichheit“. Sie steht für einen Rückzug Israels aus allen seit 1967 besetzen Gebieten und für eine Zweistaatenlösung, für die Gleichstellung der Palästinenser*innen in Israel und deren Anerkennung als nationale Minderheit sowie für die Rechte der arbeitenden Bevölkerung. Chadasch/al-Dschabha wird mehrheitlich von palästinensischen Israelis gewählt, doch sie legt großen Wert darauf, ein jüdisch-palästinensisches Bündnis zu sein. Sie war i. d. R. mit drei bis fünf Sitzen (von insgesamt 120) in der Knesset vertreten.

Ta'al (hebräisches Akronym für Arabische Erneuerungsbewegung) wurde von Ahmad Tibi, dem bekanntesten Politiker unter den palästinensischen Staatsbürger*innen Israels und ehemaligen Berater Jassir Arafats, Mitte der 1990er Jahre gegründet.

Die Demokratische Nationale Allianz Balad/al-Tadschamu', 1995 als Abspaltung aus Chadasch/al-Dschabha gegründet, definiert sich als demokratische progressive nationale Partei für die palästinensischen Bürger*innen Israels. Die in sozialen Fragen eher sozialdemokratisch orientierte Partei unterstützt die Zweistaatenlösung, zugleich lehnt sie den ausschließlich jüdischen Charakter Israels ab und möchte Israel in eine Demokratie für alle Bürger*innen, unabhängig von ihrer nationalen und ethnischen Zugehörigkeit, verwandeln. Darüber hinaus setzt sie sich für die nationalen Minderheitsrechte und eine kulturelle Autonomie der palästinensischen Bürger*innen Israels ein.

Die Vereinigte Arabische Liste, eine gemäßigte islamische Partei, wurde 1996 als Zusammenschluss der 1988 gegründeten linken Arabischen Demokratischen Partei und der Islamischen Bewegung Israels gegründet.

Vorsitzender: Ayman Odeh (Chadasch/al-Dschabha)

Knesset-Sitze: 13

Tsafrir Cohen leitet das Israel-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Autor:in

Tsafrir Cohen leitete das Israel-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv zwischen 2015-2020.