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Zynismus und Gleichgültigkeit - Die palästinensischen Staatbürger*innen Israels vor den Knesset-Wahlen

Die Parteien, die die palästinensische Minderheit in Israel repräsentieren, treten erneut als Gemeinsame Liste zu den Knesset-Wahlen an. Können sie verlorenes Vertrauen wiedergewinnen und wieder ein progressives, ja linkes Projekt verkörpern?

Die israelischen Staatsbürger*innen werden Mitte September 2019 wieder zu den Wahlurnen gehen, um ihre Abgeordneten im israelischen Parlament, der Knesset, zu wählen. Dies wird das zweite Mal sein in sechs Monaten. Durch die erneuten Wahlen erhalten die palästinensischen Staatsbürger*innen Israels eine zweite Chance. In den letzten Wahlen, im April 2019, war ihre politische Vertretung in der Knesset drastisch geschrumpft: von 13 Abgeordneten, vereint in einer, der Gemeinsamen Liste (die die drittgrößte Fraktion in der vorhergehenden Legislaturperiode war), auf zehn Abgeordnete, die sich auf zwei Listen verteilten. Die größere der beiden, der al-Dschabha/Chadash und al-Haraka al-Arabija leTaghjir/Ta’al angehörten, erhielt sechs Sitze, während die von der Vereinigten Arabischen Liste (die Islamische Bewegung) und al-Tadschamu’/Balad geformte Liste vier Sitze erlangte.

Vor den Knesset-Wahlen im April 2019 waren sich alle vier Parteien und ihre Wähler*innen eigentlich darüber im Klaren, dass es nach dem großen Erfolg der Gemeinsamen Liste völlig unmöglich sein würde, nun wieder als vier ideologisch voneinander getrennte Parteien zur Wahl anzutreten. Der Hauptgrund war die berechtigte Angst jeder dieser Parteien, an der 3,25-Prozent-Hürde zu scheitern. Trotz langwieriger Verhandlungen gelang es den Parteien nicht, sich auf eine Fortsetzung der Gemeinsamen Liste zu einigen, und so kam es zu zwei Listen, die „gegeneinander“ antraten, wobei jede von ihnen versuchte, die Wähler*innen davon zu überzeugen, dass sie völlig anders sei als ihre Konkurrentin. Dies ist ihnen komplett misslungen. Die Wahlbeteiligung der palästinensischen Staatsbürger*innen Israels sank drastisch von 64 Prozent in den Wahlen 2015 auf 49 Prozent in den Wahlen im April 2019, was den Verlust eines Viertels ihrer zuvor errungenen Knesset-Sitze zur Folge hatte. Dies war ein deutliches Signal der palästinensischen Staatsbürger*innen an ihre politische Führung: Einigkeit und Konzentration auf ihre Anliegen werden mit öffentlichem Vertrauen belohnt, während parteiliche Rivalitäten und karrieristische Egotrips auf Ablehnung stoßen und dazu führen, dass die Bereitschaft sinkt, sich am demokratischen Prozess zu beteiligen. Die enorme Diskrepanz zwischen den Sonntagsreden in den letzten vier Jahren über die Wichtigkeit der politischen Einheit der palästinensischen Minderheit und der Unfähigkeit der vier Parteien, sich auf eine Fortführung der Liste zu einigen, wurde als scheinheilig und als typisches Beispiel des Unvermögens der politischen Führung empfunden.

Nicht nur die palästinensischen Wähler*innen waren enttäuscht – auch ihre Abgeordneten haben nach den Wahlen öffentlich bedauert, dass es ihnen nicht gelungen ist, die Gemeinsame Liste fortzuführen. Ayman Odeh, Fraktionsvorsitzender der al-Dschabha/Chadasch, sagte Ende April in einem Interview: „Wir können der Öffentlichkeit keine Vorwürfe machen; wir sind dafür verantwortlich und müssen uns selbst fragen, warum wir die Menschen für die Wahlen nicht mobilisieren konnten. […] Wir müssen einen Weg finden, um näher an unseren Menschen zu sein und um ihr Vertrauen in politische Arbeit wiederherzustellen.“ In einem anderen Interview ging Mtanis Schehade, Vorsitzender von al-Tadschamu’/Balad sogar so weit, das Wahlergebnis als „Naksa“ (wörtlich: Rückschlag; der Begriff wird in der Regel für die negativen Folgen des Kriegs von 1967 verwendet) zu bezeichnen und beklagte die fortwährenden Bemühungen israelischer Behörden, palästinensische Staatsbürger*innen nicht nur im parlamentarischen Bereich zu behindern, sondern von jedweder politischen Arbeit abzuhalten.

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Kandidat*innen der Gemeinsamen Liste. Foto: Activestills

Der Zusammenschluss zur Gemeinsame Liste und ihr großer Wahlsieg 2015

Seit 2009 bemüht sich Benjamin Netanjahus Regierung verstärkt darum, Parteien, die die palästinensischen Staatsbürger*innen Israels in der Knesset vertreten, und linke Positionen generell als illegitim darzustellen. Es wurden mehrere Gesetze verabschiedet, die Aufrufe zu politisch motivierten Boykotten sowie das Gedenken an die Nakba unter Strafe stellen. Wiederholte Versuche, einige arabische Parteien direkt zu verbieten, konnten nur vom Obersten Gerichtshof gestoppt werden.

Im Jahr 2014 wurde auf Initiative des nationalistischen Politikers Avigdor Lieberman die Sperrklausel für den Einzug ins Parlament von zwei auf 3,25 Prozent angehoben, ganz offensichtlich mit der Absicht, die Parteien daran scheitern zu lassen, die die palästinensische Minderheit im Land repräsentieren. Infolgedessen entschieden sich diese Parteien vor den Knesset-Wahlen im März 2015, zusammen als Gemeinsame Liste bei der Wahl anzutreten. Schon seit Langem war der Ruf nach einer gemeinsamen Wahlliste aller Parteien, die die palästinensischen Staatsbürger*innen Israels vertreten, vernehmbar. Laut Meinungsumfragen befürworteten 85 Prozent der israelisch-arabischen Bevölkerung eine solche gemeinsame Wahlliste und diese Forderung wurde durch die bisherigen parlamentarischen Aktivitäten dieser Parteien untermauert. Sie haben fast immer übereinstimmend votiert, und das nicht nur in Bezug auf die Rechte der palästinensischen Minderheit, sondern auch in sozialen und bürgerrechtlichen Fragen – alles Themen, bei denen seit vielen Jahren die Rechten und die Rechtsaußenparteien den Ton angeben.

Natürlich gab es ernsthafte Bedenken bei der Schaffung der Gemeinsamen Liste, insbesondere unter den Aktivist*innen der Parteien. Die Islamische Bewegung, al-Dschabha/Chadasch und al-Tadschamu’/Balad waren über Jahrzehnte hinweg politische Gegnerinnen. Ein wichtiger Streitpunkt etwa ist das Beharren der sozialistischen Mitglieder von al-Dschabha/Chadasch auf einer gemeinsamen jüdisch-arabischen Bündnisarbeit im Gegensatz zu den separatistischen Tendenzen in al-Tadschamu’/Balad. Auch die Verbitterung zwischen Islamist*innen und säkularen Aktivist*innen ist ein heikles Problem. Die alltäglichen Kontroversen zwischen den progressiven Ansichten von al-Dschabha/Chadasch und al-Tadschamu’/Balad auf der einen und den konservativen Positionen der Islamischen Bewegung betreffen viele Themen: die Teilnahme von Frauen an Politikgestaltung, die Sichtbarkeit einer säkularen oder „promiskuitiven“ Kultur, das Zusammensein von Männern und Frauen im öffentlichen Raum, der Platz, den christliche Praktiken in der palästinensischen Gesellschaft in Israel einnehmen (dürfen) oder die Rechte Homosexueller. Die Spannung zwischen den Parteien speiste sich auch aus der Rivalität auf Kommunalebene, einer Arena, in der um lokale Verwaltung, Budgets und Macht gekämpft wird. In den Kommunen herrscht häufig Vetternwirtschaft, und die ideologisch ausgerichteten politischen Parteien legen ein Verhalten an den Tag, das mitunter nicht zu unterscheiden ist von demjenigen der Listen, die auf (Groß-)Familienzugehörigkeit und –interessen basieren. Die Streitigkeiten zwischen den Parteien in dieser Arena führen zu schweren Zerwürfnissen zwischen den Parteien und deren Aktivist*innen.

Trotz all dieser Schwierigkeiten gelang es den betreffenden Parteien, sich auf ein gemeinsames Programm zu einigen. Die an der Liste beteiligten Linken konnten sich in vielen Punkten durchsetzen. Das gemeinsame Programm enthielt nicht nur die unstrittigen Forderungen nach voller Gleichberechtigung, nach dem Ende der Besatzung, der Anhebung des Mindestlohns und eine Kampfansage gegen jegliche Form des Rassismus in der israelischen Gesellschaft, sondern auch Themen, mit denen die Islamischen Bewegung in der Vergangenheit nicht übereingestimmt hat, wie zum Beispiel die volle Gleichstellung von Frauen in allen Lebensbereichen und eine klare Ablehnung aller sektiererischer Auseinandersetzungen.

In den Wahlen 2015 machte die Gemeinsame Liste Geschichte. Es kam zu einem verheißungsvollen Anstieg von 57 auf 64 Prozent in der Wahlbeteiligung der palästinensischen Staatsbürger*innen Israels an den Knesset-Wahlen und die Gemeinsame Liste erhielt 85 Prozent aller Stimmen der palästinensischen Staatsbürger*innen. Die Anzahl der Stimmen jüdischer Israelis, die symbolisch für al-Dschabha/Chadasch sehr wichtig sind, war schon in den vorangegangenen Knesset-Wahlen relativ gering gewesen und veränderte sich kaum durch die Bildung der Gemeinsamen Liste. Die 13 Knesset-Sitzen (von 120), die die Gemeinsame Liste erhielt, waren die größte parlamentarische Vertretung der palästinensischen Staatsbürger*innen Israels seit der Staatsgründung.

Eine zweite Chance – ändere die Strategie oder verliere

Als Premier Netanjahu Ende Mai 2019 daran ging, die neu gewählte 21. Knesset aufzulösen, erschien dies für die palästinensische Öffentlichkeit wie eine zweite Chance, ein besseres Ergebnis zu erzielen. Politiker*innen aller Richtungen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens betonten sofort, wie wichtig es nun sei, den Streit um die Reihenfolge der Kandidat*innen auf der Liste oder die Führungspositionen in der Fraktion beizulegen und sich auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist, nämlich den Wünschen und Erwartungen der Wähler*innen nachzukommen und die Gemeinsame Liste wieder herzustellen. Die Verhandlungen glichen jedoch sehr bald den Diskussionen vor den Wahlen im April 2019. Während der monatelangen Verhandlungen hatte die Öffentlichkeit den Eindruck, dass die Politiker*innen mehr an ihrem eigenen „Ranking“ als Stars aufgrund ihrer individuellen Leistungen interessiert sind, als daran, das Richtige zu tun und Zugeständnisse zugunsten des Allgemeinwohls zu machen. Die vier Parteien beauftragten dann ein Schlichtungskomitee, dem Intellektuelle und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens angehörten, eine Liste von Kandidat*innen zusammenzustellen. Das Komitee stand vor einer schwierigen Aufgabe, die angesichts der ihm entgegengebrachten heftigen Kritik unlösbar wurde. Einige der Parteien beschuldigten das Komitee, voreingenommen und nicht objektiv zu sein, wobei es sogar zur Verleumdung einzelner Mitglieder des Komitees kam; jüngere Parteiaktivist*innen empörten sich über diese veraltete Art und Weise Politik zu machen, bei der Honoratioren (Scheichs und angesehene Persönlichkeiten) darüber entscheiden, wer welche Rolle spielt; außerdem wurde das Komitee scharf von Feminist*innen kritisiert, weil ihm ausschließlich alte wohlhabende Männer angehörten. Mitte Juli, zwei Wochen vor dem letzten Termin für die Registrierung von Wahllisten, gab das Schlichtungskomitee bekannt, dass es sein freiwilliges Amt niederlege, da es nicht in der Lage sei, eine Einigung zwischen den Parteien zu erzielen.

Daraufhin nahmen die Parteien wieder direkte Verhandlungen miteinander auf und verständigten sich schließlich am 29. Juli, drei Tage vor dem Registrierungsschluss, darauf, als Gemeinsame Liste bei den Wahlen anzutreten. Der Öffentlichkeit wurde nicht erklärt, was sich geändert hat und warum es so lange dauerte, sich zu einigen. So entstand der Eindruck, dass es nur um Machtkämpfe und nichts Wesentliches gegangen war. Weder das Programm der Gemeinsamen Liste noch die Mechanismen der Zusammenarbeit und der gemeinsamen Entscheidungsfindung standen zur Debatte. Der ganze Konflikt drehte sich wieder um die Reihenfolge der Kandidat*innen.

Diese langwierige Geschichte hat das Vertrauen der Menschen in die Politik, in Politiker*innen und Parteien untergraben. Angesichts der enormen existenziellen Herausforderungen, mit denen die palästinensischen Staatsbürger*innen Israels konfrontiert sind, stellen die Menschen sich unweigerlich die Frage, ob die vorhandene Führungsriege in der Lage ist, diese Probleme anzugehen. Dazu zählen vor allem die diskriminierende Politik bei der nationalen Landverteilung, die dazu führt, dass palästinensische Gemeinden dicht bevölkert und verarmt sind, der häufige Zwangsabriss in arabischen Gemeinden;[1] das Grundlegende Gesetz – Israel, der Nationalstaat des jüdischen Volks[2] – und seine Auswirkungen auf die nicht-jüdischen Staatsbürger*innen; die politische Unterdrückung und Verfolgung von palästinensischen Künstler*innen und Aktivist*innen; sowie vor allem die Gewalt und das organisierte Verbrechen, die in allen arabischen Ortschaften in Israel weit verbreitet sind und jeden Monat durchschnittlich sechs Todesopfer (meist junge Männer) und viele Verletzten fordern.

Während ideologische Differenzen ein Wesenszug der Politik sind und Konkurrenz zwischen Parteien ein integraler Bestandteil des demokratischen Prozesses ist, hat diese Konkurrenz zwischen den Parteien verheerende Konsequenzen für die palästinensische Minderheit in Israel. Seit der Staatsgründung war die Knesset für die palästinensische Minderheit selten ein Forum, in dem sie ideologische Auseinandersetzungen austragen. Stattdessen ging es stets primär darum, die eigene Community gegen die offiziellen repressiven Praktiken zu verteidigen. Angesichts dieser defensiven Haltung findet die Mehrheit der palästinensischen Staatsbürger*innen eine Einheit unter ihren Vertreter*innen – ungeachtet ihrer ideologischen Differenzen – die bessere Strategie, um ihre Interessen durchzusetzen.

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Wahlen zur Knesset im April 2019: Wahhlokal in der arabisch-palästinensischen Stadt Tayyibe in Israel. Foto: Activestills

Kann das Vertrauen wiedergewonnen werden?

Die beunruhigende Frage ist heute, ob das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederaufgebaut werden kann oder ob der Trend zu Politikverdrossenheit bereits zu weit fortgeschritten ist. Die politische Beteiligung der palästinensischen Staatsbürger*innen hat in den letzten zwei Jahrzehnten einige schwere Rückschläge erlitten, und es lassen sich deutliche Veränderungen in den Mustern und Trends in der politischen Beteiligung erkennen.

Um die Entwicklungen hinsichtlich der politischen Beteiligung der palästinensischen Staatsbürger*innen Israels zu analysieren und zu verstehen, hat Mada al-Carmel, das arabische Zentrum für angewandte Sozialforschung,[3] eine Meinungsumfrage in einer für die palästinensische Gesellschaft in Israel repräsentativen Gruppe durchgeführt. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen deutlich das mangelnde Vertrauen der Palästinenser*innen in die sie repräsentierenden Parteien, in die parlamentarische Arbeit sowie in politische Arbeit generell. Nur 17 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die „parlamentarische Arbeit der arabischen Knesset-Abgeordneten den Interessen der Araber*innen dient“, während 40 Prozent mit dieser Aussage nicht einverstanden waren. Dieses sehr deutliche Ergebnis belegt, wie wenig die palästinensische Öffentlichkeit von ihren Parlamentarier*innen und deren Möglichkeiten, ihr Leben zu beeinflussen, hält. Auch außerhalb des Parlaments hat die palästinensische Öffentlichkeit wenig Vertrauen in ihre politischen Parteien. Auf die Frage, welche Rolle die arabischen Parteien für den Erfolg von arabischen Protestaktionen spielen, antworteten nur 13 Prozent, dass sie eine große Rolle spielen, während 44 Prozent sagten, dass sie wenig dazu beitragen.

In derselben Meinungsumfrage waren 64 Prozent der Befragten jedoch auch nicht mit der Aussage einverstanden, dass „Araber*innen sich aus der parlamentarischen Arbeit zurückziehen sollten“. Dies könnte bedeuten, dass die Menschen von der gegenwärtigen parlamentarischen Arbeit enttäuscht sind, aber immer noch glauben, dass diese besser gemacht werden könnte.

Abgesehen von dem mangelnden Vertrauen in die politischen Akteur*innen lässt sich auch fehlendes Vertrauen in das politische System als Ganzes feststellen. Auf die Frage, ob sie sich selbst an sozialen oder politischen Protestaktionen beteiligt haben, antworteten nur acht Prozent der Befragten mit Ja, während 36 Prozent sagten, das sei kaum der Fall gewesen, und weitere 36 Prozent die Frage verneinten. Eine Analyse der Gründe für die geringe Beteiligung zeigt, dass die Menschen entweder an Politik nicht interessiert sind (laut Umfrage: 43 Prozent) oder, falls sie sich für Politik interessieren, nicht daran glauben, dass politische Protestaktionen ihre Ziele erreichen können (17 Prozent glaubten nicht mehr an die Möglichkeit, etwas beeinflussen zu können, und weitere 17 Prozent sagten, dass sie kein Vertrauen in Parteien und Institutionen haben).

Zu den Gründen, nicht wählen zu gehen, gehört auch die zunehmende Tendenz, der politischen Beteiligung als solcher zu misstrauen: Die Hälfte der Befragten, die sagten, dass sie nicht gewählt haben, gab dafür politische oder ideologische Gründe an. Sie haben sich also bewusst entschlossen, nicht wählen zu gehen, und nicht einfach aus Gleichgültigkeit.

Um diese Ergebnisse zu verstehen, können theoretische Konzeptionen einer Politik der Hoffnung und einer Politik des Zynismus herangezogen werden. Muhannad Mustafa[4] erklärt, dass eine Politik des Zynismus fehlendes Vertrauen in kollektiv organisierte Aktionen und ein Sich-Fernhalten von politischer Arbeit widerspiegelt und zugleich mit einer starken Betonung der eigenen persönlichen Interessen und einer geringeren Bereitschaft, der Gesellschaft etwas von sich selbst zu geben, verbunden ist. Im Gegensatz dazu spiegelt eine Politik der Hoffnung einen starken Glauben an die Gesellschaft wider und an die Kraft kollektiver Aktionen, Veränderung herbeizuführen. Seine Untersuchung zeigt, wie durch die Abwesenheit einer Politik der Hoffnung im politischen Diskurs, infolge der Schwäche des kollektiven politischen Projekts, die Politik des Zynismus in die palästinensische Gesellschaft eindringt, wodurch das Vertrauen in politische Organisation und deren Möglichkeiten sinkt oder ganz zerstört wird.

Nach Mustafas Auffassung kann die Gemeinsame Liste als gutes Beispiel für die Wechselbeziehung zwischen einer Politik der Hoffnung und einer des Zynismus dienen und veranschaulichen, wie die eine zunimmt, wenn die andere schwächer wird. Das Aufstellen der Gemeinsamen Liste war ein wichtiger Erfolg in der Geschichte der Palästinenser*innen in Israel. Sie entstand nach einer jahrzehntelangen öffentlichen Debatte über die Notwendigkeit engerer Zusammenarbeit zwischen den Parteien, die die palästinensische Minderheit in der Knesset vertreten, um staatsbürgerliche und nationale kollektive Forderungen effektiver zu verfechten. Die Gemeinsame Liste war auch ein Symbol der Hoffnung angesichts der Fragmentierung und den Spaltungen in den umgebenden arabischen und palästinensischen Gesellschaften. In diesem Sinne war die Liste eine höhere Stufe in der politischen Praxis der arabischen Minderheit und sollte die Konkurrenzkämpfe der Vergangenheit überwinden.

Die Schaffung der Gemeinsamen Liste gab den Menschen Hoffnung und entsprach ihren Bestrebungen nach einer effektiveren politischen Arbeit. Sie stoppte den Trend der stetig sinkenden Wahlbeteiligung und erhöhte sie von 57 Prozent in Jahr 2013 auf 64 Prozent bei den Wahlen 2015. Nachdem die Gemeinsame Liste zerbrochen war, mit all den Hoffnungen, die in sie gesetzt worden waren, sank die Wahlbeteiligung bei den Wahlen im April 2019 auf 49 Prozent. Die beiden Listen, die sich um die arabischen Wähler*innen bemühten, erhielten weniger Stimmen als die Gemeinsame Liste im Jahr 2015, was wieder einmal beweist, dass das Ganze größer ist als die Summe seiner Bestandteile.

Fazit

Wie auch immer die Wahlen im September 2019 ausgehen werden, es gibt momentan kein Szenario, das eine rosige Zukunft für die palästinensische Minderheit oder ihre Abgeordneten in der Knesset verspricht. Die wichtigsten politischen Parteien, die Mainstream-Medien und die Mehrheitsgesellschaft sehen die Parteien, die die palästinensischen Staatsbürger*innen des Landes repräsentieren, nicht als selbstverständliche Akteure in der israelischen Politik, sondern als per Definition illegitime. Es scheint, dass selbst ein außerordentlicher Erfolg wie der von 2015 das Problem der Einstellung der Palästinenser*innen in Israel zu Politik und politischer Beteiligung nicht wird lösen können. Insbesondere junge Menschen sind zunehmend zynisch eingestellt und verlieren ihr Vertrauen in Politik generell. Die politische Führungsriege hat viel Arbeit vor sich, wenn sie das Vertrauen ihrer Community wiedergewinnen will. Falls es ihr gelingt, wird das dazu beitragen, den Glauben der Menschen an Politik und politische Aktionen wiederherzustellen.

Übersetzt von Ursula Wokoeck Wollin

Hana Amoury ist Programmmanagerin im Israel-Büro der Rosa-Luxemburg Stiftung.

Links

Anmerkungen:

[1] Da die staatlichen Behörden oft nicht bereit sind, Baugenehmigungen in palästinensischen Ortschaften zu erteilen, wird viel ohne Genehmigung gebaut. So gibt es mehr als 60.000 Häuser, die ohne Baugenehmigung entstanden sind. Ihre Bewohner*innen müssen mit der ständigen Angst vor einem Zwangsabriss leben und werden mitunter obdachlos.

[2] Siehe hierzu Tsafrir Cohen: Das umstrittene Nationalstaatsgesetz: www.rosalux.org.il/das-umstrittene-nationalstaatsgesetz/.

[3] Siehe die englische Webseite des Zentrums unter: www.mada-research.org/en/home-eng/.

[4] Politikwissenschaftler, dessen Spezialgebiet der politische Islam und die Demokratisierung im Nahen und Mittleren Osten ist; seit 2017 ist er Generaldirektor des Zentrums Mada al-Carmel.

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