Protest gegen Massenabschiebung afrikanischer Geflüchteter
Gegen den Plan der israelischen Regierung alle im Land verbliebenen afrikanischen Geflüchteten abzuschieben regt sich Widerstand. Eine Übersicht. (Update Mai 2018)
Zehntausende Geflüchtete aus Eritrea und dem Sudan sind in den vergangenen Jahren nach Israel gelangt. Der Staat bezeichnet sie offiziell als Eindringlinge. Während ein 245 Kilometer langer Zaun zu Ägypten einen weiteren Zuzug komplett verhindert, konnte eine Politik der willkürlichen Internierung und des Schikanierens, gepaart mit kampagnenartigem und alltäglichem Rassismus mehr als 20.000 Asylsuchende dazu bewegen, Israel zu verlassen. Nun will die Regierung alle im Land verbliebenen afrikanischen Geflüchtete abschieben. Sie sollen in Drittstaaten (Ruanda und Uganda) abgeschoben werden. Wenn nötig mit polizeilicher Gewalt. Damit werden die seit Jahren bestehenden afrikanischen Communities im Land zerstört und deren Mitglieder bewusst in lebensbedrohliche Situationen gebracht. Denn, auch wenn die israelische Regierung behauptet, die Asylsuchenden zögen in ein sicheres Land, in dem sie einen legalen Status erhalten würden, so haben Flüchtlingshilfsorganisationen viele Zeugenaussagen von den bislang Abgeschobenen eingeholt, die von Ausbeutung und Demütigungen, Menschenhandel, häufigen Festnahmen, Bestechung und Drohungen bis hin zu Entführungen berichten.
Dagegen regt sich derzeit Widerstand – von Aktivist*innen, Menschenrechtsorganisationen, einfachen Bürger*innen und den Geflüchteten selbst. Im Folgenden ein Bericht über einige der Aktionen:
Abschiebeplan der israelischen Regierung gescheitert (Update Mai 2018)
Nachdem es der israelischen Regierung nicht gelungen war, Abkommen mit den Drittländern Ruanda und Uganda zu schließen und Menschenrechtsorganisationen zwei Petitionen vor dem Obersten Gerichtshof des Landes eingereicht hatten, informierte die Regierung am 24. April den Obersten Gerichtshof, das auch das UNHCR-Abkommen, um zehntausende Asylsuchende abzuschieben, gescheitert wäre. Es bleibt dennoch abzuwarten, ob Premierminister Benjamin Netanjahu, der die Geflüchteten kontinuierlich als „Arbeits-Infiltranten“ bezeichnet, seinen zermürbenden Zickzackkurs fortsetzt.
Ursprünglich hatte die Regierung im Januar 2018 Asylsuchende zur freiwilligen Ausreise bis Ende März aufgefordert und gedroht, andernfalls die Betroffenen ab April festzunehmen. Weltweit und in Israel selbst hatten sich dagegen Proteste geregt und auch der Oberste Gerichtshof hatte die drohenden Abschiebungen mit einer einstweiligen Verfügung gestoppt. Daraufhin hatte Netanjahu verkündet, 16.250 afrikanische Migrant*innen vom UNHCR in Länder wie Deutschland und Kanada umsiedeln zu lassen. Wäre das gelungen, hätte Israel rückkehrunwillige Asylsuchende legal abschieben können. Nachdem die genannten Länder dies jedoch dementiert hatten, musste Netanjahu seine Pläne wieder zurückziehen.
Bereits erteilte Ausweisungen sind nun bis auf weiteres hinfällig and Asylsuchende dürfen ihre Visa alle zwei Monate erneuern. Dennoch verkündeten Netanjahu und Innenminister Arie Deri, Chef der orthodoxen Partei Schass, Cholot, ein Haftlager unter freiem Himmel in der Wüste, würde wieder eröffnet werden (Dieses bietet Platz für 3.000-4.000 Männer und war im März mit Verkündigung des Abschiebungsplans nach vier Jahren geschlossen worden).
Während die gewaltsamen Abschiebungen nun also gescheitert sind, erklärte Netanjahu per Twitter, „freiwillige Deportationen“ würden fortgesetzt und der Staat werde die freiwillige oder unfreiwillige Ausreise von „Eindringlingen“ im Rahmen der Gesetzgebung fördern. Zudem will die Regierung eine Gesetzesreform vorantreiben, um in Zukunft den Obersten Gerichtshof zu umgehen.
Progressive Stimmen und Aktivist*innen begrüßten die Bekanntmachung, zeigten sich aber auch kritisch mit Blick auf künftige Pläne der Regierung. So auch Sigal Rozen von „Hotline for Refugees and Migrants“, einer der sechs Organisationen, welche die Petitionen vor dem Obersten Gerichtshof eingereicht hatten. Was auch immer Netanjahu nun im Sinn habe, so Rozen, um mit der Situation umzugehen, es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig und der Preis der Implementierung bestehe wohl darin, dass der Staat Israel sich nicht mehr im Kreis der demokratischen Familien befinden werde. Die Organisation hatte die Aussetzung des Plans begrüßt und diesen als „moralisches Versagen“ bezeichnet.
Shula Keshet, Aktivistin von „Power to the Community“ und Anwohnerin von Süd-Tel Aviv zufolge musste Netanjahu seinen Plan unter dem politischen und gesellschaftlichen Druck aussetzen. Doch es bleibe die Frage offen, was die Regierung als nächstes tun werde, etwa im Hinblick auf die „freiwillige“ Ausreise und das Haftlager in der Wüste. Seit Jahren fordert Keshet bereits ein Programm zur Aufnahme und Verteilung der Asylsuchenden im ganzen Land, einschließlich wohlhabender Teile und Kibbuzim, zu etablieren, anstatt diese lediglich im armen Süd-Tel Aviv anzusiedeln. Die Aktivistin ist zudem eine bedeutende Figur in der Regenbogenkoalition „Süd-Tel Aviv gegen die Abschiebung“. Die Koalition sieht sich als Sprachrohr für Interessen der lokalen Gemeinschaft und wehrt sich dagegen, für Pläne der Regierung instrumentalisiert zu werden. Weiterhin kritisiert die Koalition den Missbrauch von Geflüchteten als Sündenböcken, um über die tieferliegenden Probleme der marginalisierten Community in Süd-Tel Aviv hinwegzutäuschen. Jahrzehntelang, so Keshet, hätte die Regierung die Probleme vor Ort ignoriert. „Nun aber kommen Netanjahu und seine Minister hierher und behaupten, sie würden sich um uns und unsere Probleme sorgen - Probleme, die sie selbst geschaffen haben“. Sie aber fordere eine Regierungspolitik, die sich mit den wahren Problemen Süd-Tel Avivs befassen, nämlich blühende Prostitution und Kriminalität sowie grassierende Armut und Drogenmissbrauch.
„Die Aussetzung der Abschiebung ist ein großer Sieg für die israelische Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidiger*innen“, so Mossi Raz, Knesset-Mitglied der linksliberalen Oppositionspartei Meretz. Es wäre kein Drittland aus dem Grund gefunden worden, da es kein Land gebe, das bereit sei, diese Politik der israelischen Regierung zu unterstützen. Nun aber sei es an der Zeit, die Hetze gegen Schutzsuchende zu stoppen und konkrete Lösungen für Süd-Tel Aviv und die Geflüchteten zu finden.
25.000 demonstrieren gegen Abschiebung in Tel Aviv (24.März)
Erneut demonstrierten Tausende Menschen gegen die Pläne der Regierung alle Geflüchteten in Israel in Drittstaaten abzuschieben. Eritreische und sudanesische Geflüchtete haben zusammen mit Bewohner*innen aus dem Süden Tel Avivs diese Demonstration organisiert um ein Zeichen der Solidarität und des gemeinsamen Widerstand zu setzen. Es fanden sich geschätzte 25.000 Menschen auf dem traditionell bedeutsamen Rabin-Platz (Kikar Rabin) im Zentrum Tel Avivs ein.
20.000 Demonstrant*innen in Süd-Tel Aviv (24.Februar)
NEIN zur Massenabschiebung von Geflüchteten, JA zu Investitionen in Süd-Tel Aviv.
Geflüchtete & Israelis forderten gemeinsam am Samstagabend (24. Februar) ein Ende der zu erwartenden Abschiebung & Inhaftierung von afrikanischen Geflüchteten & für mehr Investitionen in die Infrastruktur des seit langem vernachlässigten südlichen Teils der Stadt. Damit wandten sie sich gegen den Versuch der Behörden, die alteingesessenen Einwohner*innen gegen die Geflüchteten zu instrumentalisieren, indem sie behaupteten, die Misere Süd-Tel Avivs läge an den Geflüchteten.
Mitorganisatorin Shula Keshet, langjährige Aktivistin in ihrem Heimatkiez Süd-Tel Aviv und Gründerin der feministischen Organisation Achoti, die Frauen unterschiedlicher ethnischer und nationaler Herkunft zusammenbringt, erntete tosenden Applaus, als sie sagte: „Uns wird gesagt, dass die Abschiebung unseren Wiederaufbau bedeutet. Und ich sage - die Abschiebung fügt der Verletzung eine Beleidigung und eine weitere Phase des Zerstörungsprozesses hinzu. Sie sagen uns, die Armen deiner Stadt gehen vor. Und ich sage: Tatsächlich passiert folgendes: Die Reichen Deiner Stadt gehen vor – vor den Armen deiner Stadt und vor den Schutzsuchenden in deiner Stadt. Wer behauptet, dass die Abschiebung alles löst, führt uns in die Irre. Denn gleichzeitig werden Hunderte alteingesessene jüdische Mizrachi-Familien vertrieben – von den Immobilienhaien. Man sagt, dass das südliche Tel Aviv für die Abschiebung steht, und ich sage: Süd-Tel Aviv steht fest gegen die Abschiebung. Geflüchtete sollten überall im Land verteilt werden, und Süd-Tel Aviv soll mehr Investitionen erhalten: für Sozialwohnungen, bessere Beschäftigungsmöglichkeiten, ein angemessenes Bildungssystem, für unsere eigenen Kulturzentren, für ein Leben in Würde für uns alle.“
Tausende demonstrieren in Jerusalem (10. Februar)
Tausende Student*innen, Aktivist*innen, Holocaust-Überlebende & Hunderte von Geflüchteten marschierten am Samstagabend (10. Februar) durch das Stadtzentrum Jerusalems, um gegen die geplante Massenabschiebung afrikanischer Asylsuchender und die Vernachlässigung Süd-Tel Avivs, wo viele der Geflüchteten leben, zu protestieren. Mitinitiatorin Hamutal Blanc von Standing Together : „Die Regierung will uns weismachen, dass die Geflüchteten am desolaten Zustand Süd-Tel Avivs und der Misere der dortigen alteingesessenen jüdischen Einwohner*innen schuld sind und dass wir deshalb vor der Wahl stehen: sie oder wir. Sie wollen uns gegeneinander aufhetzen, weil sie wissen, dass sie keine Chance gegen uns hätten, wenn wir miteinander solidarisch wären.“
Haus der Ghettokämpfer gegen die Abschiebung
Jetzt meldet sich auch das Haus der Ghettokämpfer zu Wort, 1949 von Mitgliedern des Kibbuz Lochamej haGeta’ot („Ghettokämpfer“) gegründet, einer Gemeinschaft von Überlebenden des Holocaust, darunter ehemaligen Untergrundkämpfer*innen in Partisanen-Einheiten und Teilnehmer*innen am Aufstand im Warschauer Ghetto.
"Wir, die Verwaltungsratsmitglieder und die Mitarbeiter*innen des Museums Haus der Ghettokämpfer, wenden uns hiermit an die Entscheidungsträger im Staat Israel und rufen dazu auf, den Beschluss, Asylsuchende in Länder abzuschieben, in denen sie eindeutig einer unmittelbaren Lebensgefahr ausgesetzt sind, zu revidieren.
Das Haus der Ghettokämpfer wurde von Menschen gegründet, die den Holocaust und den Ghetto-Aufstand überlebt haben; sie wollten ein Bildungszentrum und Museum errichten, die darauf hinarbeiten, eine auf Gerechtigkeit und Menschlichkeit gegründete Gesellschaft zu fördern. Auf diese Weise wollten sie eine Wiederholung der Erniedrigung und des Leidens verhindern, das sie an ihrem eigenen Leib während des Holocausts erlebt haben.
Das Haus der Ghettokämpfer hat Generationen von Jugendlichen, Soldat*innen und Student*innen in diesem humanistischen Geist, dem Geist der Gründer*innen des „Hauses“, erzogen.
Wir können nicht ruhig zusehen, wenn Geflüchtete, die kein Zuhause haben, abgeschoben werden sollen, während ihnen die grundlegenden Menschenrechte verweigert werden, die in [internationalen] Konventionen garantiert werden, die der Staat Israel unterzeichnet hat.
Das ist unser Erbe als Volk.
Das ist unser Erbe als “Haus”.
Das ist unser Erbe als Menschen. "
Haus der Ghettokämpfer
Links:
Partnertext: /artikel/partner/center-for-humanistic-education/
Haus der Ghettokämpfer (Englisch): http://www.gfh.org.il/eng/
Ungewissheit und Angst bei Kindern von Geflüchteten
Alle Schuldirektor*innen in Tel Aviv haben in einem Brief gegen die geplanten Massenabschiebung afrikanischer Geflüchteter unterschrieben. In Ausnahmezustand befindet sich die Bialik-Rogozin-Schule. In der Schule im südlichen Tel Aviv gibt es kaum jüdische Schüler*innen, bis auf wenige Ausnahmen sind alle Schüler*innen Kinder von Geflüchteten oder nicht-jüdischen Migrant*innen. Etwa 700 von ihnen leben ohne gültige Papiere, darunter fast alle Kinder der unteren Stufen. Deshalb greift der Direktor, Eli Nachama, zu ungewöhnlichen Maßnahmen: Er hat alle Eltern zu einer Sondersitzung eingeladen und bestätigt allen Eltern seiner Schüler*innen, dass ihre Kinder in der Schule lernen, um ihre Abschiebung zu verhindern. „Unser Ziel ist es, Kindern und Eltern Werkzeuge zu geben, mit dem umzugehen, was sie derzeit auf der Straße erleben oder in der Zeitung lesen“, sagte Nachama. Die Situation sei furchtbar, und die Kinder können damit kaum umgehen. Es seien Gefühle der Angst und Ungewissheit, die die gesamte Arbeit dieser Musterschule zunichtemachen.
Ärzte gegen die Abschiebung – Dem Eid des Hippokrates folgen
1000 Ärztinnen und Ärzte haben eine Petition unterschrieben, in der sie eine ethisch vertretbare, menschliche Lösung fordern, die es Geflüchteten ermöglicht, ihr Recht auf Gesundheit zu verwirklichen und in Würde zu leben: „Wir treffen einige dieser Menschen als Teil unserer Arbeit in Krankenhäusern oder Kliniken. Wir sind uns der systemischen Einschränkungen – wie Mangel an Krankenversicherung und harten Lebensbedingungen - bewusst, die eine umfassende Behandlung behindern. Wir versuchen, ihnen mit Hingabe und Aufmerksamkeit zu begegnen angesichts ihrer schwierigen Lebensgeschichten. Diese Vertrautheit genügt, um zu verhindern, dass wir tatenlos zusehen, wenn das Leben, die Integrität der Körper und die Seelen unserer Patient*innen auf dem Spiel stehen - eine Entscheidung, die unsere Bemühungen um ihre Genesung überschatten kann. Unser Schweigen wäre gleichbedeutend mit einem schweren Angriff auf die Menschlichkeit, ja die Menschheit.“ Initiiert wurde die Petition von den Ärzten für Menschenrechte - Israel, Träger des alternativen Nobelpreises.
Links:
Die Ärzte für Menschenrechte Israel: http://www.phr.org.il/en/
Alternativer Nobelpreis an Ärzte für Menschenrechte - Israel. Medico gratuliert
Tausende Geflüchtete protestierten am 22. Januar vor der ruandischen Botschaft in Israel gegen den Plan, sie nach Ruanda und Uganda abzuschieben.
Süd-Tel Aviv gegen die Abschiebungen
Eine Initiative von Aktivist*innen im Viertel Neve Sha'anan von Tel Aviv, wo viele der Geflüchteten leben. Eine ermutigende Aktion in der xenophoben öffentlichen Atmosphäre in Israel. Und hier ist vor allem die Weigerung von alteingesessenen Einwohner*innen zu nennen, sich zur Legitimierung der Abschiebungspläne von Geflüchteten instrumentalisieren zu lassen. Gemeinsam sagen sie NEIN zu Rassismus und Marginalisierung und fordern eine Politik, die alle Bewohner*innen des Landes, einschließlich der Geflüchteten, als gleichberechtigte Menschen behandelt.
Unter ihren Aktionen:
Hunderte von Plakaten mit der Aufschrift "Süd- Tel Aviv gegen die Vertreibung" wurden verteilt und von Einwohner*innen von Neve Scha’anan im Süden Tel Avivs an ihren Balkonen aufgehängt. Die ersten 300 Plakate waren schnell vergriffen, eine zweite Auflage musste her.
Zentrale Anlaufstelle dabei ist Achoti – für Frauen in Israel, eine feministische-mizrachi Organisation. Achoti ist ein Ort, wo Frauen unterschiedlicher ethnischer und nationaler Herkunft zusammenkommen können, um sich gemeinsam für eine gerechtere israelische Gesellschaft in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht einzusetzen.
Demonstrationen unter Betonung des gemeinsamen Kampfs gegen die drohende Verdrängung aus dem Stadtviertel: nämlich der Alteingesessenen durch Gentrifizierung und der Asylsuchenden aus Eritrea und dem Sudan durch gewaltsame Abschiebung.
Holocaust-Überlebende gegen Abschiebung: "Wir werden Flüchtlinge in unserem Haus verstecken, wie sie uns versteckten"
Chaim Roth ist ein 85-jähriger Holocaust-Überlebender, und er steht hinter dem Programm „Jeder Mensch hat einen Namen“ in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, das der Opfer der Shoah einzeln gedenkt, damit wenigstens die Namen der Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden in Erinnerung bleiben. Roths Großvater und seine Schwestern wurden in Auschwitz ermordet, während er und sein Bruder von nicht-jüdischen Familien in Amsterdam versteckt und so gerettet wurden.
Jetzt nimmt er an einer ganz anderen Initiative teil: Holocaust-Überlebende, die sich aktiv gegen die Ausweisung von afrikanischen Geflüchteten aussprechen und bereit sind Flüchtlinge in ihren Häusern aufzunehmen und sie so vor den Behörden zu verstecken. Roth ist in vielen Initiativen aktiv, aber kaum etwas hat ihn in den letzten Jahren so aufgeregt, wie der Plan der Regierung alle afrikanischen Geflüchteten abzuschieben: „Haben wir nichts aus der Shoah gelernt? Ich habe doch nur dank Menschen, die mir Schutz gegeben haben, überleben können, und hier und jetzt sind wir nicht dazu bereit anderen zu helfen?", empört er sich. Ärgerlich weist er das Argument zurück, die Geflüchteten würden nicht nach Eritrea oder in den Sudan sondern in die ‚sicheren‘ Drittländer Uganda und Ruanda abgeschoben: "Sie nach Ruanda zu schicken, ist so, als würde man mich als Niederländer in die Ukraine schicken. Nur weil ihre Hautfarbe dunkel ist, sollen sie in irgendein afrikanisches Land abgeschoben werden. Wenn das nicht Rassismus ist, dann weiß ich nicht, was Rassismus ist.“
Dieser Initiative hat sich auch die Professorin Veronika Cohen angeschlossen, die 1944 im Budapester Ghetto gegen Ende des Zweiten Weltkriegs geboren wurde, genau in dem Moment, als die Nazis damit begonnen hatten die jüdische Gemeinde in Ungarn zu vernichten. Ihre Familie überlebte den Krieg und sie wurden zu Flüchtlingen. Die Abschiebungsabsichten ihrer israelischen Regierung, „sind etwas, was ich nicht akzeptieren kann und die ich mit meiner ganzen Kraft bekämpfen möchte, denn sie stehen für das Gegenteil aller Werte, die ich als jüdisch definiere.“ „Ich habe mich immer gefragt, ob ich stark genug wäre das zu tun, was diejenigen Gerechten taten, als sie ihr Leben und das ihrer Liebsten riskierten, um Juden und Jüdinnen zu retten. Heute und jetzt müssen wir unser Leben nicht riskieren, wenn wir unsere moralische Pflicht erfüllen und Geflüchtete bei uns zu Hause verstecken.“
Einige Holocaustüberlebende trafen sich in den letzten Tagen mit Geflüchteten. Eine bewegende Erfahrung auch für die Geflüchteten: Munim Harun, 28, aus Darfur im Sudan: "Ich habe gefühlt, dass ich jemanden gefunden habe, der meinen Schmerz wirklich versteht, der wirklich weiß, was es bedeutet, schutzsuchend an die Tür zu klopfen – und mit Ablehnung konfrontiert zu werden. Die Holocaust-Überlebenden verstehen, was es heißt, Flüchtling zu sein".
Zusammenfassung eines Berichts bei der populären Nachrichtenwebseite Ynet (Hebräisch): https://www.ynet.co.il/articles/0,7340,L-5075102,00.html
Rabbiner*innen lassen sich von der Geschichte Anne Franks inspirieren
Inspiriert von Anne Frank planen Rabbiner*innen in Israel, afrikanische Geflüchtete vor der Abschiebung zu verstecken. Damit reagieren sie auf den Plan der israelischen Regierung, alle 40.000 noch in Israel lebenden afrikanischen Geflüchteten in Drittstaaten (Ruanda und Uganda) in den kommenden Monaten abzuschieben. Lassen sie sich nicht abschieben, so droht ihnen die Internierung auf unbestimmte Zeit. Die Menschenrechtsorganisation Rabbiner für Menschenrechte sagt dazu: „Diese Politik stellt eine lebensbedrohliche Bedrohung für die Asylsuchenden dar und widerspricht sowohl der jüdischen Tradition als auch der Tradition des Staates Israel, der zu den Nationen gehörte, die in den 1950er Jahren die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen ins Leben riefen. Mit großer Sorge beobachten wir die Aktionen der israelischen Regierung - bevor es zu spät ist."
Warum Anne Frank? "Anne Frank ist die bekannteste versteckte Person, und sie wurde versteckt, damit sie nicht in den Tod geschickt wird. Wir haben Unterlagen, dass diese Menschen in Lebensgefahr geraten, wenn sie abgeschoben würden", sagte Rabbinerin Susan Silverman in einem Interview. Sie bezog sich auf Berichte von Geflüchteten, die mit Folter und Menschenhandel konfrontiert wurden, nachdem sie „freiwillig“ nach Ruanda oder Uganda ausgereist waren. Menschen hätten in Europa unter der Naziherrschaft ihr Leben riskiert, um Juden zu retten – jetzt „sagen wir als Staat, dass wir nicht den kleinsten demographischen Wandel riskieren wollen", so Silverman. Damit könne sie sich nicht abfinden.
Nicht in unserem Namen – Protest von Parlamentarier*innen gegen Abschiebung
Knesset-Mitglieder Michal Rozin (Meretz), Eyal Ben Reuven (Zionistisches Lager) und Dov Khenin (Gemeinsame Liste / Chadasch) beriefen eine Dringlichkeitskonferenz in der Knesset ein. 300 Vertreter*innen von Ministerien, Aktivist*innen, Flüchtlingsorganisationen und Geflüchtete folgten der Einladung, der vorgesehene Saal war viel zu klein, sodass die Konferenz in den größten Knesset-Raum umziehen musste.
Liebt Euren Nächsten – Schüler*innen gegen die Abschiebung
Eine Gruppe von Schüler*innen, organisiert unter dem Namen "Liebt Euren Nächsten – Schüler*innen gegen die Abschiebung" initiierten eine Petition an Schulen. Bisher haben sie mehr als 2.700 Unterstützer*innen gefunden. „Unter den Geflüchteten sind viele Kinder, die fast ihr ganzes Leben hier verbracht haben, und Israel ist alles, was sie kennen. In den Ländern, in die sie vertrieben werden sollen, werden sie unter schrecklichen Bedingungen inhaftiert, und ihnen wird alles, was sie haben, weggenommen", schrieben die Gymnasiasten. "Wir Schüler*innen in Israel wollen nicht schweigen wenn Geflüchtete abgeschoben werden."
Refugees for Sale – internationale Kampagne
Am 22. Januar begann eine Gruppe von Aktivist*innen eine internationale Kampagne in den sozialen Netzwerken mit dem Hashtag #Refugees4Sale mit dem Ziel die Regierenden in Israel, Ruanda und Uganda, die Europäische Union, die Afrikanische Union und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen in Genf unter Druck zu setzen. Ihr Motto: "Wenn Waffenverkäufe und Fremdenhass sich treffen: Israel verkauft afrikanische Sklaven und Sklavinnen für fünftausend Dollar pro Kopf, und afrikanische Länder kaufen".
https://www.facebook.com/refugees4sale/
Auch in Berlin finden Protestaktionen dort lebender israelischer Anti-Rassismus-Aktivist*innen statt, zum Beispiel eine Mahnwache vor der Botschaft Ruandas am 22. Januar, 12:30 – 14:00.
https://www.facebook.com/events/194958307749816/.
Aufruf an Pilot*innen
Innerhalb einer Woche haben 7.000 Menschen einen Aufruf von "Sasim - eine aktive Gemeinschaft" unterzeichnet, im dem israelische Pilot*innen dazu aufgefordert werden, sich nicht an der Abschiebung von Geflüchteten zu beteiligen. Die Kampagne ist von europäischen Vorbildern inspiriert: dort haben Pilot*innen sich wiederholt geweigert, abgeschobene Geflüchtete zu fliegen. So konnten deutsche Pilot*innen 200 Abschiebeflüge verhindern. "Auf der ganzen Welt kämpfen Bürger*innen gegen grausame Ausweisungsverfügungen und stehen solidarisch zu Geflüchteten und Asylbewerber*innen", sagt Raluca Ganea von Sasim, „dies ist eine Prüfungszeit für die israelische Öffentlichkeit. Das Schicksal von Zehntausenden von Menschen hängt von uns ab. Wir fordern die israelischen Pilot*innen auf ihren Kollegen in Europa zu folgen und auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen."
Innerhalb von 24 Stunden nach Beginn der Aktion erklärten drei El-Al-Piloten öffentlich, dass sie sich weigern werden, Flüchtlinge in Länder zu bringen, in denen sie in Lebensgefahr sind, berichtet das linke Nachrichtenportal 972mag (Englisch): 'I won't fly refugees to their deaths': The El Al pilots resisting deportation
Aufruf einer Tochter zweier jüdischer Flüchtlinge
Auf Initiative von Irit Fink, Tochter zweier jüdischer Flüchtlinge, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Israel ankamen, gibt es den offenen Brief an Israels Premierminister, der ihn auffordert seine Entscheidung aufzuheben. Frau Fink begründet ihr Engagement so: „Meine Eltern waren Flüchtlinge während des Zweiten Weltkriegs. Ihre Fluchtursache war menschliche Bosheit, und ihre Fluchterfahrungen färbten ihr ganzes Leben, selbst als sie es schafften den rauchenden Ruinen ihrer Jugend zu entfliehen und nach Israel einzuwandern. Als Tochter von Flüchtlingen bin ich empört über die eklatant unmenschliche und unmoralische Politik meines Landes. Israel hat derzeit nicht mehr als 40.000 Asylsuchende. Einige von ihnen flohen vor Kriegen, einige von ihnen vor Armut und Hunger, und viele machten auf ihrem Weg hierher eine Reise voller Leiden und Folter durch. Der Staat Israel, in den meine Eltern als Flüchtlinge kamen, sollte Geflüchteten Schutz anbieten können. Es fehlt nicht an Lösungsvorschlägen, die es ihnen ermöglichen würden, in Würde zu leben. Was fehlt, ist der Wille, das offene Herz. Stattdessen erschwert die Regierung das Leben der Flüchtlinge, steckt sie ins Gefängnis oder möchte sie auf eine gefährliche Reise nach Uganda oder Ruanda schicken.“
Brandbrief israelischer Schriftsteller*innen zur Abschiebung von Geflüchteten
35 israelische Schriftsteller*innen, darunter Amos Oz, David Grossman, Zeruya Shalev, Orly Castel-Bloom und Etgar Keret fordern Israels Volksvertretung dazu auf, „die Abschiebung der aus Eritrea und dem Sudan stammenden Asylsuchenden zu stoppen, Männer und Frauen, deren Körper und Seelen die entsetzlichen Narben ihrer Flucht und der Folterlager im Sinai tragen, sowie ihrer Kinder, die in Israel geboren wurden und die uns nur um eines bitten: ihr Leben.“ Weiter schreiben sie: „Juden dürfen Flüchtlinge nicht verfolgen und abschieben; der israelische Staat darf diese humanitäre Katastrophe nicht verursachen, und Sie sind dazu berechtigt, dies zu verhindern".
Link zum Brandbrief der Schriftsteller*innen (Deutsche Übersetzung)
Mit Theater der Unterdrückten gegen die Abschiebung
Die Theatergruppe Cholot, ein Projekt von Geflüchteten aus dem Internierungslager Cholot und Israelis, experimentiert mit Techniken des „Theaters der Unterdrückten“, um die ausweglose Situation von vielen in Israel gestrandeten Asylsuchenden zum Thema zu machen. Um gegen die drohende Massenabschiebung zu protestieren, trat die Gruppe am zentralen Rothschild-Boulevard in Tel Aviv auf. Auf der Grundlage von Zeugenaussagen und persönlichen Geschichten schlug sie „eine erneute Beschäftigung mit der Flüchtlingskonvention und mit der Haltung des israelischen Establishments dazu vor – mit dem Ziel, die ethischen und juristischen Grundhaltungen infrage zu stellen“.
Link: Theater macht Gesetz
https://youtu.be/BZq4khVfMac
Die Geschichte des jüdischen Volks verpflichtet - Studenten und Akademiker*innen gegen die Abschiebung
470 israelische Akademiker*innen unterzeichneten einen Brief, in dem ein Ende der Ausweisung von Asylsuchenden aus Eritrea und Sudan gefordert wurde. "Wir fordern Sie auf, die Entscheidung der Regierung, Asylsuchende in Israel festzunehmen und gewaltsam zu vertreiben, umzukehren. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass auch wir verfolgt wurden, dass auch wir Flüchtlinge waren, und wir müssen die Geflüchteten, die aus ihrem Zuhause und ihrer Heimat geflohen sind, herzlich willkommen heißen, um ihre Seelen und das Leben ihrer Verwandten zu retten." "Die Geschichte unseres Volkes verpflichtet den Staat Israel dazu, ein Vorbild für Kinder und Erwachsene zu sein, indem er Menschen schützt, die Zuflucht vor ethnischer Säuberung, Verfolgung und politischer Gewalt, Menschenhandel, Vergewaltigung und Folter suchen", schreiben die Wissenschaftler*innen weiter.
An allen israelischen Universitäten kommt es zu Protesten: Student*innen und Dozent*innen demonstrieren und halten Mahnwachen gegen die drohende Abschiebung.
Hintergrundinfo zum Thema:
Haokets: Wo wart ihr, als man die Geflüchteten abschob?
Reut Michaeli: Fremdenhass als Mittel der Politik
Haggai Mattar: Das Gelobte Land, aber nicht für Asylsuchende
Dokumentiert: Brandbrief israelischer Schriftsteller*innen zur Abschiebung von Geflüchteten
The Hotline for Refugees and Migrants (Englisch): http://hotline.org.il/en/main/
Workers Hotline (Englisch): http://www.kavlaoved.org.il/en/
FAZ: Flüchtlinge in Israel – Operation „Beschleunigte Entfernung“ - Stefan Tomik
taz: Gestrandete Migranten in Israel – Die Elenden vom Levinsky Park - Lucia Heisterkamp
Deutschlandfunk: Flüchtlinge aus Eritrea und Sudan – Lieber Haft in Israel als zurück nach Afrika - Benjamin Hammer
Jungle World : Stress im Hinterhof – Im Tel Aviver Viertel Neve Sha‘anan hetzen einige Anwohner gegen afrikanische Flüchtlinge – Marina Klimchuk
FAZ: Auf der Welt verloren - Von Stefan Tomik und Jochen Stahnke