
Ein Foto von US-Präsident Donald Trump an einer Straßenlaterne auf der Jaffa Street in Jerusalem, März, 2025. Foto: Yonatan Sindel/Flash90
Religiöser und misogyner Totalitarismus in Israel
Der Kampf des feministischen Zentrums Isha l´Isha gegen die Anti-Gender-Bewegung
Vom 27. – 30. März 2025 lädt die Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Konferenz „Good Night Far Right: Strategien gegen Rechts“ nach Berlin ein. Dabei kommen Aktivist*innen, Mitglieder politischer Parteien, Organisationen und Initiativen aus Lateinamerika, Israel, Europa, den USA, Indien, Sri Lanka und Deutschland, die täglich mit dem Erstarken reaktionärer Kräfte und/oder dem Aufstieg rechtsextremer Regierungen konfrontiert sind, zusammen. Im Rahmen der internationalen Konferenz werden wir Erfahrungen und Strategien austauschen, einander Mut machen, aber auch aus den Misserfolgen linker Projekte lernen.
Dr. Yali Hashash, queer-feministische Historikerin, wird im Rahmen dieser Konferenz ihre Projektarbeit unter Dach unseres strategischen Partners „Isha L’Isha – Haifa Feminist Center“ zum Einfluss evangelikaler Akteur*innen auf anti-feministische Politik in Israel vorstellen. Dieser Beitrag ist Teil des Dossiers „Auf die Barrikaden. Internationale Kämpfe gegen Rechts“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung anlässlich der Konferenz.
Als Donald Trump bei seiner Antrittsrede versprach, dass es von nun an nur noch zwei Geschlechter in Amerika geben werde – das männliche und das weibliche –, war die Bedrohung, die von seiner Aussage ausging, auch in Israel zu spüren. Der Kurs «Transfeminismus», der da gerade in unserem Feministischen Zentrum Isha l’Isha in Haifa abgehalten wurde, ist nun zu Ende. Nach dem Schock festigte sich schnell unsere Überzeugung, dass wir es mit einer Antigender-Revolution zu tun haben, die uns allen ihre Definition der Realität aufzwingen will, und dass uns nichts anderes übrig bleibt, als das zu tun, was wir am besten können – wir müssen uns organisieren, uns informieren und Widerstand leisten.
Deshalb versammelten wir, die Frauen des Kollektivs, uns noch einmal, um unsere gemeinsame politische Vision neu zu formulieren. Unser politisches Handeln leitet sich aus unserer organisatorischen DNA ab - wir treffen Entscheidungen grundsätzlich im Konsens und konnten uns auf folgende Formulierung einigen:
"Isha l’Isha ist eine diverse feministische Gemeinschaft. Wir arbeiten ohne Hierarchien und verfolgen die Politik, die unsere Mitglieder in die Welt tragen wollen: eine sichere und nicht sexistische Welt mit Frauen- und Menschenrechten, einem gerechten Frieden, wirtschaftlicher Sicherheit, einer ökologischen Zukunft und der freien Wahl individueller und kollektiver Identitäten. Isha l’Isha stellt sich gegen jede Form von Unterdrückung, Rassismus, Gewalt, Diskriminierung, Krieg und Besatzung. Isha l’Isha ist eine radikal-feministische politische Schule, eine Modellorganisation, die einen fruchtbaren Boden für die Entfaltung von Projekten, Ideen und Praktiken im Geiste des radikalen Feminismus schafft."
Wir nehmen uns nicht immer die Zeit, um auszuformulieren, wie unsere organisatorischen Initiativen miteinander verbunden sind. Dieses Jahr aber ist uns der Zusammenhang zwischen unseren unterschiedlichen Aktionen klarer als je zuvor geworden: unsere Opposition gegen den Krieg in Gaza, der Aufruf zu einem gerechten Frieden, die Organisation des Kampfes gegen die evangelikale Rechte und ihren Einfluss auf unsere Gesellschaft, die Eröffnung eines Kurses über Transidentität und Feminismus sowie eine Vortragsreihe über die Auswirkungen des Krieges auf Hebräisch und Arabisch.
Der Einfluss der evangelikalen Rechten und die Idee eines Halacha-Staates
Wir befinden uns mitten in einem Kampf gegen die globale Rechte. Einer der wichtigsten Akteure ist dabei die evangelikale Rechte, die einen Zustand andauernden Krieges im Nahen Osten fördert und die Vision eines auf dem jüdischen Recht der Halacha basierenden Staats finanziert, dessen Befürworter*innen die Expansion Israels auf alle biblischen Territorien anstrebt. Dieser Halacha-Staat hat, wie auch der christliche Nationalismus, dem Feminismus, der Frauen- und der „Genderbewegung“, wie sie sie nennen, offen den Krieg erklärt.
Geschlechtergetrennte Masterstudiengänge als sichtbares Zeichen des religiösen Backlashs
In Israel nimmt die Antigenderbewegung viele unterschiedliche Formen an: Ein Aspekt ist die wiederholte Forderung nach Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum. Seltsamerweise finden derartige Forderungen bei großen Teilen der liberalen Öffentlichkeit Unterstützung. Wenn beispielsweise ultraorthodoxe oder religiös-zionistische Knessetmitglieder im Namen der Rechte ultraorthodoxer Männer und Frauen die Geschlechtertrennung an den Universitäten fordern, schließt sich die liberale Öffentlichkeit dieser Forderung verständnisvoll an. Sie betrachtet das Recht auf Bildung als das übergeordnete Ziel und die Geschlechtertrennung als ein vorübergehendes Übel. Der israelische Staat hat in seinem jüngsten Haushalt die Finanzierung geschlechtergetrennter Masterstudiengänge beschlossen, entgegen der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, der die Geschlechtertrennung im Grundstudium als vorübergehende Maßnahme zuließ, damit im weiterführenden Studium eine gemischte Gruppe entstehen kann. Missionierende jüdische Gemeinden, die aus den israelischen Siedlungen im Westjordanland ins Herz israelischer Städte und Orte gezogen waren, um diese zu «judaisieren», hielten nun auch im öffentlichen Raum geschlechtergetrennte Veranstaltungen ab. So verbinden sich Geschlechtertrennung und nationale Segregation in der Ideologie jüdisch-männlicher Vorherrschaft.
In den letzten Monaten haben wir uns eingehender mit dem Einfluss der evangelikalen Rechten auf die israelische Politik befasst. Wir beschäftigten uns mit ihrem entscheidenden Einfluss auf Anti-Abtreibungskampagnen, Kampagnen gegen trans Menschen und gegen Sexarbeit, die sich auf rein moralische Argumente stützen und die Selbstbestimmung der Sexarbeiter*innen außen vorlassen.
Unter Netanjahu: Neuer Aufwind für fundamentalistische Unterdrückungsmechanismen
Der organisierte Feminismus in Israel entwickelte sich in den 1970er Jahren vor dem Hintergrund der Bewegung für kostenlose Abtreibungen. Im Laufe der Jahre haben wir in der feministischen Bewegung und insbesondere in Isha l’Isha viel über die Bedeutung sich überlappender Unterdrückungsmechanismen von Frauen gelernt, die sich nicht nur in männlicher Kontrolle ausdrücken, sondern sich zum Beispiel auch in Klasse, nationaler, ethnischer, religiöser und sexueller Identität niederschlagen. Während sich unser Feminismus weiterentwickelte, wurde auch der Trend zum religiösen Nationalismus immer stärker.
Wenn wir die Ideologie hinter dem christlichen Nationalismus verstehen, können wir auch die islamophoben und antisemitischen Bedrohungen identifizieren, die ihm inhärent sind.
Die USA sind zu einem zentralen Akteur bei der Etablierung und dem Export eines charismatischen christlichen Nationalismus geworden, der enormen Reichtum schafft, mächtige Medien kontrolliert und die Wahlergebnisse in vielen Ländern der Welt beeinflusst, angefangen bei den USA selbst.
In Israel orientierte sich die außerparlamentarische nationalreligiöse Gusch-Emunim-Bewegung, die sich nach dem Sechstagekrieg 1967 herausgebildet hatte, am Modell der christlichen Charismatischen Bewegung. Seit den 1970er Jahren stärkten rechte Strömungen Israels, insbesondere religiöse, ihre Beziehungen zur internationalen christlichen Rechten, was in der aktuellen Allianz von Benjamin Netanjahu und Donald Trump mündete. Diese droht nun die Palästinenser*innen des Gazastreifens umzusiedeln, einen dauerhaften Kriegszustand zu etablieren und gefährliche Expansions-, Transfer- und Besatzungsinitiativen zu lancieren. So intensiviert sich womöglich der religiöse und misogyne Totalitarismus, den die Netanjahu-Regierung seit dem Putsch im Dezember 2022 errichtet hat und der sich jeden Tag weiter festsetzt. Beide Bewegungen, der Feminismus und der religiöse Nationalismus, kamen in den USA und in Israel in den 1970er Jahren auf. Jetzt, im Jahr 2025, droht der religiöse Nationalismus den Feminismus gewaltsam niederzuschlagen und die Errungenschaften mehrerer Jahrzehnte zunichtezumachen.
Wenn wir die Ideologie hinter dem christlichen Nationalismus verstehen, können wir auch die islamophoben und antisemitischen Bedrohungen identifizieren, die ihm inhärent sind, sowie die vollkommene Zerstörung jeglicher Aussicht auf einen Frieden zwischen den Palästinenser*innen und den Jüd*innen in Israel/Palästina, die er bedeutetFür uns vom Feministischen Zentrum Isha l'Isha ist es wichtiger denn je, uns den globalen Kräften anzuschließen, die für Freiheit und soziale Gerechtigkeit, für eine feministische Zukunft, für geschlechtliche und sexuelle Gleichberechtigung und für einen gerechten Frieden im Nahen Osten kämpfen.
Übersetzung von Gegensatz Translation Collective.
Anmerkungen:
Die Organisation Isha L’Isha (deutsch: Frau zu Frau) ist die älteste feministische Frauenorganisation Israels. Sie wurde 1983 als jüdisch-arabische Frauenorganisation gegründet und setzt sich zum Ziel, die Rechte der Frauen zu stärken und Solidarität zu zeigen. Isha l'Isha arbeitet unter anderem an Projekten gegen Menschenhandel und hat Empowerment-Gruppen für neue Immigrantinnen aus Russland und Äthiopien und lesbische Frauen.
Autor:in
Yali Hashash ist eine queer-feministische Historikerin. Sie beschäftigt sich u.a. mit Reproduktionspolitik in Israel und Palästina und ist Mitglied des feministischen Forschungszentrums Isha L'isha. Zu ihren Forschungsinteressen gehören die Sozialgeschichte Palästinas und des Nahen Ostens im 19. und 20. Jahrhundert, mit den Schwerpunkten Armut, Geschlecht, Nationalismus, Ethnizität und Religion.