«Ich habe kein Heimatgefühl, für diesen Flecken Erde» - Kampf äthiopischer Israelis gegen Rassismus und Polizeigewalt
Zuhause – und doch nicht daheim: So erleben viele Menschen ihren Alltag in Israel, und das obwohl sie schon seit Jahren oder Jahrzehnten hier wohnen. Denn die Schattenseiten des jüdischen Einwanderungslandes bekommen neben Palästinenser*innen vor allem jene zu spüren, die als Geflüchtete, Vertriebene oder Arbeitsmigrant*innen in Hoffnung auf ein besseres Leben nach Israel kamen – und dafür ihre alte Heimat hinter sich ließen. Oft ohne eine neue zu finden. In kurzen Videos porträtieren wir Menschen, die von Rassismus und Kriminalisierung betroffen sind – und die sich nicht damit abfinden wollen, aufgrund ihrer Herkunft, Nationalität oder Religion am Rande der Gesellschaft zu stehen. Sie erzählen ihre ganz persönlichen Geschichten; Geschichten, die aber auch weit über individuelle Erfahrungen hinausreichen: Wer fühlt sich zugehörig, und wem wird der Zugang verwehrt? Und wie wehrt man sich, um sich doch zuhause zu fühlen?
Hier finden Sie externe Inhalte von YouTube.
Mit dem Anklicken des Videos erklären Sie sich mit den Nutzungsbedingungen von YouTube einverstanden.
Äthiopische Juden in Israel - Factsheet
„Dass «Schwarzsein» nicht mit «Jüdischsein» vereinbar sein soll, ist etwas, womit die äthiopische Community erstmals in der «weißen» israelischen Gesellschaft konfrontiert wurde. Vor ihrer Auswanderung nach Israel haben die Menschen die Erfahrung gemacht, als Jüdinnen und Juden diskriminiert zu werden, in Israel ist der Grund für ihre Diskriminierung ihr Schwarzsein. Damit stehen die äthiopischen Einwanderer*innen vor der für sie neuen Herausforderung, sich gegen einen in Israel weit verbreiteten Rassismus zur Wehr setzen zu müssen.“
Efrat Yerday https://rosalux.org.il/artikel/weisse-und-andere-juedische-menschen/
1. Einwanderung äthiopischer Juden
Nach Angaben des Zentralamts für Statistik belief sich die Zahl der Juden äthiopischer Herkunft in Israel Ende 2021 auf 164.400 (Quelle)
Schon lange vor der Operation Moses lebten viele äthiopische Juden und Jüdinnen in Israel, die dafür kämpften, als legitime Einwander:innen anerkannt zu werden, sie waren von Abschiebung bedroht, das Rückkehrgesetz (Glossareintrag) galt damals nicht für sie.
Erst der Kampf äthiopischer Aktivist*innen sowie immer größer werdender internationaler Druck führten zu einem Umdenken in der Politik.
Erst 1977 wurde das Rückkehrgesetz auch auf Juden aus Äthiopien (Beta Israel) angewendet.
1948 bis 1984 kamen über 8000 äthiopische Juden nach Israel.
1984/1985 Operation Moses: Während dieser Aktion wurden zwischen November 1984 und Januar 1985 etwa 8.000 äthiopische Juden und Jüdinnen aus Flüchtlingslagern im Sudan nach Israel evakuiert, um sie aus dem in Äthiopien herrschenden Bürgerkrieg, zu retten.
1991 Operation Solomon:
Im Mai 1991 wurden innerhalb von nur 36 Stunden etwa 14.500 äthiopische Juden und Jüdinnen nach Israel evakuiert. In den 1980er Jahren und Anfang der 1990er Jahre befand sich Äthiopien inmitten eines internen bewaffneten Konflikts und politischer Instabilität. Die äthiopische jüdische Gemeinschaft war in dieser Zeit von Diskriminierung und Verfolgung betroffen. Viele äthiopische Juden sahen sich gezwungen, unter gefährlichen Bedingungen zu fliehen, um ihr Leben und ihre religiöse Identität zu schützen.
2. Diskriminierung und Rassismus in Israel
Aufnahmezentren und Konversion:
Bis heute müssen Neuzugewanderte aus Äthiopien mit einem mindestens zweijährigen Aufenthalt in einem Aufnahmezentrum rechnen. Während dieser Zeit müssen sie ein vom Staat vorgegebenes Programm durchlaufen, um offiziell zum Judentum zu konvertieren. Keine andere jüdische Einwanderungsgruppe wird zur Konversion als Voraussetzung zur Einbürgerung gezwungen. Außerdem ist Äthiopien das einzige Land, für das der Staat Israel monatliche Einwanderungsquoten festgelegt hat.
Rassismus im Gesundheitswesen:
Frauen äthiopischer Herkunft wurde ohne Aufklärung und Einwilligung über einen längeren Zeitraum Mittel zur Empfängnisverhütung injiziert.
1996 wurde aufgedeckt, dass die Hilfsorganisation Magen David Adom, die im staatlichen Auftrag Blutspenden sammelt, Blutspenden, von Menschen äthiopischer Herkunft, einfach vernichtet hat, oder sich weigerte, Blutspenden von Juden aus Afrika anzunehmen
Zum Weiterlesen:
https://taz.de/Boeses-Blut-in-den-Adern-aethiopischer-Juden/!1474016/
https://www.spiegel.de/politik/ausland/israel-schwarze-abgeordnete-darf-kein-blut-spenden-a-938685.htmlhttps://www.phr.org.il/en/the-depo-provera-affair-information-control-and-knowledge-production-position-paper/
Report von den Physicians for Human right “Racism in Medicine”
Diskriminierung im Schulwesen:
Es gibt im Land zahlreiche öffentliche Schulen, die nicht bereit sind, Schüler:innen äthiopischer Herkunft aufzunehmen. Zugleich wird ein unverhältnismäßig großer Anteil von Kindern äthiopischer Herkunft auf Sonderschulen geschickt (14%, was mehr als das Doppelte des allgemeinen Durchschnittswerts ist).
Diskriminierung im Bereich der Religion
Diese kommt unter anderem in der Weigerung lokaler Rabbiner zum Ausdruck, Menschen äthiopischer Herkunft zu verheiraten, und in der fehlenden Anerkennung von Religionsgelehrten der äthiopischen Gemeinde.
Diskriminierung im Wohnungsbereich: Wie bereits erwähnt, werden nur Einwanderer*innen aus Äthiopien in Israel dazu gezwungen, zwei Jahre lang nach ihrer Ankunft in Aufnahmezentren zu leben. Zudem trägt die Politik durch eine selektive Gewährung von Wohnungszuschüssen zur Herausbildung von «äthiopischen Ghettos» bei.
Um die Integration zu verzögern, werden äthiopische Migrant*innen systematisch vom Rest der Gesellschaft isoliert. Sie erhalten beispielsweise nur Zuschuss zum Kauf einer Wohnung, wenn diese sich in bestimmten Städten bzw. Straßen befinden, die vom Einwanderungsministerium festgelegt werden.
Etwa 63 % der Bevölkerung äthiopischer Herkunft leben in zwei Hauptbezirken: etwa 37 % leben im zentralen Bezirk und etwa 26 % im südlichen Bezirk. Ende 2021 war Netanya der städtische Ort mit der höchsten Anzahl an Einwohnern äthiopischer Herkunft (ca. 12.000 Personen). Der höchste Anteil von Einwohnern äthiopischer Herkunft an der Gesamtbevölkerung eines Ortes wurde jedoch in Qiryat Mal'akhi festgestellt (15,5 %).
https://www.972mag.com/how-the-jewish-agency-is-throwing-ethiopian-immigrants-onto-the-street/
Mehr als die Hälfte der Menschen äthiopischer Herkunft in Israel lebt unterhalb der Armutsgrenze.
Diskriminierung in den Medien:
Diese zeigt sich regelmäßig in einer stigmatisierenden Berichterstattung.
Rassistische Polizeigewalt:
Diese reicht von der systematischen und alltäglichen Schikane äthiopischer Jugendlicher durch Polizeibeamte bis hin zum gewaltsamen Vorgehen der Polizei gegen Demonstrationen von Menschen äthiopischer Herkunft.
Rassismus der Strafbehörden:
Der Prozentsatz der Fälle, in denen Menschen äthiopischer Herkunft eine Straftat vorgeworfen bzw. ermittelt wird, liegt bei 3,5 Prozent – mehr als das Doppelte ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung; und der Prozentsatz der Minderjährigen äthiopischer Herkunft, die Haftstrafen verbüßen, beträgt fast das Zehnfache ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung. Im Ofek-Gefängnis, in dem nur Minderjährige inhaftiert sind, kommen zum Beispiel 18,5 Prozent aller Gefangenen aus Familien äthiopischer Herkunft.
Viel Informationen und aktuelle Berichte befinden sich auf der Webseite des äthiopischen Verbands in Israel.
Im August diesen Jahres (2023) kam es erneut zu großen Protesten der äthiopischen Community aufgrund des Todes von Raphael Adana, einem vierjährigen Jungen, der von einem Auto überfahren wurde und an den Verletzungen starb. Der Protest richtete sich gegen die Behörden, die die Aufklärung verzögerten sowie gegen die Autofahrerin, die von dem Tatort floh und weder einen Krankenwagen rief, noch erste Hilfe leistete. Bis zur Veröffentlichung des Artikels, wurde die Fahrerin weder angeklagt, noch verurteilt.
Opfer von Polizeigewalt:
Eli Sabahat, 16 Jahre alt, 1997 (אלי סבהט)
Eli wurde von Polizisten fälschlicherweise beschuldigt ein Motorrad geklaut zu haben und daraufhin eine Woche inhaftiert und dort schwerst misshandelt. Nach der Freilassung beging er Selbstmord, er hinterließ ein Notizbuch in dem die körperlichen Misshandlungen und rassistischen Beleidigungen dokumentiert sind die er während der Haft erlitt.
Ahron Mekonen, 21 Jahre alt, 1997 (אהרון מקונן)
Auf der Suche nach einem Verdächtigen erschießen Polizeibeamte den unschuldigen Ahron Mekonen.
Illan Tefara Bhatta, 23 Jahre alt, 1997 (אילן טפרה בהטה)
Nach einer Auseinandersetzung mit Sicherheitskräften verbarrikadiert sich Illan angeblich bewaffnet in seinem Zuhause und wird kurz darauf von Polizisten mit 19 Kugeln erschossen.
Israel Bahtta (Bruder von Illan Tefara Bhatta), 2003 (ישראל בהטה)
Begeht Selbstmord nachdem er beschuldigt wird einen Polizisten angegriffen zu haben. Er kann dem Druck nicht standhalten womöglich ins Gefängnis zu gehen und seine Unschuld nicht beweisen zu können.
Rafael Radai, 46 Jahre alt, 2003 (רפאל רדאי)
Nach einer Auseinandersetzung mit einem Gerichtsvollzieher, stirbt Rafael Radai an Schussverletzungen. Die Polizei behauptet, es sei Selbstmord gewesen. Hingegen beteuert seine Frau, dass der anwesende Polizist ihn erschossen habe.
Yoseph Salamsa, 22 Jahre alt, 2014 (יוסף סלמסה)
Salamsa wurde von Polizisten im April 2014 in einem Einsatz mit einem Teaser verletzt, danach berichtete die Familie von regelmäßigen Belästigungen und Angriffen auf Salamsa von Seiten der Polizei, bis er aus immer noch ungeklärten Umständen im November 2014 in einem Steinbruch tot aufgefunden wurde. Die Behörden sprechen von Selbstmord, die Familie bestreitet das.
Geshau Molah, 34 Jahre alt, 2014 (גשאו מולה)
Angeblicher Selbstmord im Gefängnis.
Benjamin Teklah (בנימין טקלה)
Von einem Polizisten erschossen.
Avraham Damati, 19 Jahre alt, 2014 (אברהם דמתי)
Wegen eines Streits ruft ein Nachbar die Polizei, Avraham versucht seinen kleinen Bruder zu beschützen, wird festgenommen und stirbt in der Polizeizelle. Die offizielle Erklärung ist Selbstmord.
Solomon Terefe, 16 Jahre alt, 2015 (סלומון טפרה)
Bei einer Auseinandersetzung in einer Shopping Mall wurde der 16-jährige Solomon festgenommen. Nach einem Jahr im Gefängnis, wurde er in der Nähe eines Supermarkts tot aufgefunden. Die Polizei gibt Selbstmord als Todesursache an, löscht alle Daten auf seinem Telefon und die Überwachungskameras.
Yehuda Biadga, 24 Jahre alt, 2019 (יהודה ביאדגה)
Die Familie ruft die Polizei, weil Yehuda mit posttraumatischen Belastungsstörungen nach seinem Militärdienst mit einem Messer in der Hand das Haus verlässt. Die Polizei erschießt ihn.
Solomon Teka, 18 Jahre alt, 2019 (סולומון טקה)
Ein Polizeibeamter, der sich nicht im Dienst befindet, schießt auf Jugendliche in einem Park, weil er sich von ihnen bedroht fühlt. Solomon Teka wird tödlich getroffen.
Quellen:
נרצח על ידי שוטר (imahot4.com)
"כך הרגו אותם". משפחות יוצאי אתיופיה מספרות על אלימות המשטרה - שיחה מקומית (mekomit.co.il)