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Kritisieren geht über normalisieren

In den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrein sind Gegner*innen der Normalisierungsabkommen mit Israel ins Visier des Staatsapparats geraten. Auf Dauer lässt sich ihr Protest nicht unterdrücken, auch wenn die Diktaturen am Golf Millionen in proisraelische Propaganda stecken, meint Samah Salaime.

Immer wieder, wenn Benjamin Netanjahu sich an die israelische Öffentlichkeit wendet, erinnert er enthusiastisch an die im September 2020 unterzeichneten so genannten Friedensabkommen mit mehreren arabischen Ländern, die nie auch nur einen Schuss auf Israel abgegeben haben.

Es scheint, als seien die Normalisierungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und mit Bahrain die Lösung für Netanjahus zahlreiche politische Probleme: sein Versagen im Umgang mit der Pandemie, die steigenden Todeszahlen, die schwierige Wirtschaftslage, eine Protestbewegung, die trotz landesweitem Lockdown aktiv bleibt, und das Korruptionsverfahren, das gegen ihn läuft. Nun hat er einen Trumpf, den er aus dem Ärmel schütteln kann.

Ich weiß nicht, wie viele jüdische Israelis noch an das Narrativ der «fantastischen und historischen Friedensverträge» glauben, oder daran, dass die Diktatoren Bahrains und der Vereinigten Arabischen Emirate die öffentliche Meinung, die in der arabischen Welt seit 73 Jahren über Israel besteht, einfach wegwischen könnten.

Keine Begeisterung in Bahrein und Abu Dhabi

Anders als die palästinensischen Bürger*innen Israels sprechen die jüdischen Bürger*innen des Landes meist nicht einmal rudimentär Arabisch. Sie sehnen sich einerseits nach Frieden mit den wohlhabenden Nachbarstaaten auf der arabischen Halbinsel, ignorieren aber andererseits die Lage der Palästinenser*innen, die in den besetzten Gebieten leben. Die meisten jüdischen Israelis verweigern sich der meistgesprochenen Sprache des Nahen Ostens und feiern stattdessen das Nationalstaatsgesetz, durch das dem Arabischen der Status als offizielle Landessprache Israels entzogen wurde. Beim Browsen auf Facebook und Twitter wird zudem deutlich, dass viele Bürger*innen Bahrains und der Emirate den Normalisierungsabkommen keine große Begeisterung entgegenbringen und damit Netanjahus Behauptungen Lügen strafen. Auch der Abschluss eines Abkommens zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Marokko im Dezember lief weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit in dem nordwestafrikanischen Maghreb-Staat ab.

Und wie tragfähig die im Oktober unterzeichnete Absichtserklärung zwischen der israelischen und der Regierung im Sudan ist, die Beziehungen zwischen den beiden Staaten zu normalisieren, steht noch in den Sternen. In Khartoum war 2019 nach Massenprotesten und einem Militärputsch gegen Präsident Omar al-Bashir eine Übergangsregierung an die Macht gelangt, die weiterhin prekär und von internationaler Hilfe abhängig ist. Im Gegenzug für wirtschaftliche Unterstützung und die Streichung des Sudans von der US-amerikanischen Liste Terrorismus unterstützender Staaten stimmte der Übergangsrat in Khartum dem Abkommen zu. Die innenpolitischen Risiken sind offenkundig: Ein Machthaber, der eine Normalisierungspolitik mit dem langjährigen Feind Israel verfolgt, wird von den eigenen Bürger*innen schnell als Verräter an den Palästinenser*innen betrachtet werden.

Im Namen des «Friedens»

Die Führungsfiguren, die mit Israel ins Geschäft kommen wollen, sind größtenteils undemokratische Monarchen, denen die Wünsche ihrer Untertan*innen nicht weiter wichtig sind. Es sind Könige und Prinzen, die es auf die kampferprobten Waffen und Technologien der israelischen Kriegsmaschine abgesehen haben, um damit die Bevölkerung im eigenen Land zu zu unterdrücken und in Ländern wie Jemen und Syrien intervenieren zu können.

Die Bürger*innen dieser Länder lassen sich aber nicht ganz so einfach überzeugen. In Bahrain – einem Land, in dem keine politische Freiheit herrscht – hat eine Koalition verschiedener gesellschaftlicher Organisationen erklärt, dass diese keinen Vertrag unterstützen würden, der Ungerechtigkeiten gegenüber Palästinenser*innen ignoriert. Außer Landes lebende Aktivist*innen und Journalist*innen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten spiegeln die Gefühlslage der einfachen Bürger*innen, die das Handeln der Machthaber als Verrat ansehen, aber wenig dagegen ausrichten können.

Wenn Israel vor etwas Angst haben muss, dann vor einer Eskalation der Wut gegen seine Pläne, einer Wut übrigens, auf die die Diktatoren der betroffenen Länder mit nur noch stärkerer Repression gegen jedes Anzeichen von Demokratie und Widerstand reagieren. Und das alles im Namen des «Friedens».

Millionen für proisraelische Propaganda

Die Emirate und andere Golfstaaten haben Gegner*innen der Normalisierung «verschwinden» lassen und Millionen von Dollar für pro-israelische und anti-palästinensische Propaganda ausgegeben, unter anderem über eine Fernsehserie, Satiresendungen, Talkshows und Meinungsartikel. Doch selbst der ganzen Tastatur-Streitmacht gelang es nicht, die Normalisierungsdeals schönzufärben.

Ein Beispiel ist der Fall Nuseir Yassins, eines jungen palästinensischen Bürgers Israels aus ‘Arabe, der unter dem Label «Nas Daily» Videos produziert, die das sogenannte «gemeinsame Wohl» unter Millionen Follower*innen weltweit bewerben. Ein Prinz aus den Vereinigten Arabischen Emiraten beschloss, Yassin für die Öffentlichkeitsarbeit zugunsten der Annäherung zwischen Israel und den Emiraten zu rekrutieren. Als diese Verbindung bekannt wurde, startete die BDS-Bewegung unter palästinensischer Führung eine Kampagne gegen Yassin. Jetzt sieht sich das Projekt, das eigentlich Israels Ansehen schönfärben sollte, mit seiner eigenen Imagekrise konfrontiert.

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Die Unterdrückung eingestehen

Der unsichtbare Widerstand unter der arabischen Bevölkerung im Nahen Osten hat seine Wurzeln nicht ausschließlich in einer bedingungslosen Unterstützung der Palästinenser*innen und ihres Rechts auf ein Leben in Freiheit. Sicherlich geht es um solidarische Verbindungen zwischen unterdrückten Völkern, allerdings gibt es auch Führungsfiguren und Gruppen, die sich den israelisch-palästinensischen Konflikt zunutze machen, um einen starken arabischen Nationalismus zu fordern – als ob dieser Konflikt der größte gemeinsame Nenner aller arabischen Länder wäre.

Viele Araber*innen unterscheiden in Bezug auf Israel nicht zwischen der Linken und der Rechten, zwischen den religiösen und säkularen Strömungen oder zwischen Aschkenasim und Mizrachim. Für sie handelt es sich bei Israel um das Gesamtpaket einer Besatzungsmacht. Und auch diejenigen, die anerkennen, dass Israel demokratischer ist als die meisten arabischen Länder, lässt das ungerührt – wenn die israelische Bevölkerung ihre Führung wählen kann, müsse das schließlich bedeuten, dass sie für die politische Ausrichtung ihres Landes Verantwortung trägt.

Längerfristig gesehen wird sich Israel dem zunehmenden Widerstand stellen müssen, und damit auch seiner eigenen Rolle bei Unterdrückung, Gewalt, politischen Festnahmen und dem Mundtotmachen von Freiheitsbewegungen. Auch die amerikanisch-israelische Allianz, die mit vielen arabischen Diktaturen zusammenarbeitet, wird Rechenschaft ablegen müssen.

Übersetzung aus dem Englischen von Lisa Jeschke & Daniel Fastner für Gegensatz Translation Collective

Eine frühere, hebräische Version dieses Artikels wurde auf Local Call erstveröffentlicht.

Samah Salaime arbeitet als Autorin für die israelische Webseite Local Call. Sie ist Gründerin der NIchtregierungsorganisation Arab Women in the Center (AWC) und lebt in der palästinensisch-jüdischen Gemeinde Wahat al-Salam/Neve Shalom.

Autor:in

Samah Salaime ist eine palästinische feministische Aktivistin und Autorin.