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Der Konflikt nützt den Regierenden

Nicht nur die Zweistaatenlösung, auch alternative Lösungsvorschläge könnten durchgesetzt werden. Doch es fehlt an politischem Willen.

Mit seiner Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels nährt US-Präsident Trump wachsende Zweifel an der Realisierbarkeit der Zweistaatenlösung. Diese international bevorzugte Option, den israelisch-palästinensischen Konflikt dauerhaft zu regeln, umfasst den Rückzug Israels in seine international anerkannten Grenzen, Vereinbarungen zu einem geringfügigen Gebietstausch, für beide Seiten akzeptable Sicherheitsarrangements, eine Regelung der palästinensischen Flüchtlingsfrage sowie die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt beider Staaten.

Die Realität vor Ort spricht indes eine klare Sprache. In den 1967 besetzten Palästinensergebieten etablierte sich allen Friedensgesprächen zum Trotz ein Projekt der permanenten israelischen Herrschaft. In jenen 60 Prozent der Westbank, die Israel direkt unterstellt sind, und im von Israel annektierten Ost-Jerusalem wurden über eine halbe Million israelische Staatsbürger*innen völkerrechtswidrig angesiedelt, während die dort lebenden Palästinenser*innen in dicht bevölkerte Enklaven verdrängt werden. Diese werden zwar von palästinensischen Behörden verwaltet, doch das Eigenständigkeit simulierende Gebaren der im bitterarmen Gazastreifen herrschenden Hamas oder der Präsidententitel von Mahmud Abbas, der der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in den Westbank-Enklaven vorsteht, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Gebiete in fast jeglicher Hinsicht von Israel abhängig sind.

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Bethlehem, West Bank, 2017. Foto: Activestills

Israelische Regierung fürchtet um Vorrechte

Zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan gibt es also de facto nur einen Souverän, den israelischen Staat. Israels Regierung will die Kontrolle über die Palästinenser*innen behalten und die Ausweitung der Siedlungen ermöglichen. Zugleich fürchtet sie um die Vorrechte der jüdischen Bevölkerung, wenn alle Menschen im Land gleiche Rechte genössen. Denn schon heute gibt es hier keine jüdische Mehrheit mehr. Folglich ist ein verschlungenes System entwickelt worden, in dem die Einwohner*innen je nach Staatsbürgerschaft, Wohnort und ethnisch-religiöser Zugehörigkeit unterschiedliche Rechte besitzen – mit dem vorrangigen Ziel, den Palästinenser*innen Bürger- und andere Rechte vorzuenthalten, was einige Beobachter*innen dazu veranlasst, dieses System als eine Form der Apartheid zu definieren.

Gibt es heute noch Kräfte, die die Zweistaatenlösung Realität werden lassen können?

In Israel besteht momentan keine zwingende Notwendigkeit, ein solches Projekt historischen Ausmaßes zu unternehmen. Die Wirtschaft wächst und das Land ist zum führenden Forschungs- und Hightech-Standort geworden. Die Außenbeziehungen Israels werden durch die Besatzung kaum gestört, während die Kosten dafür von ausländischen Geldgebern übernommen werden. Der Konflikt nützt zudem den Regierenden. Sie nutzen die äußere Gefahr, um die immer wieder aufflammende Unzufriedenheit mit der zunehmenden Konzentration von Kapital und Macht in den Händen weniger und der Schrumpfung der Mittelschicht einzuhegen und um den Zusammenhalt einer Einwanderergesellschaft zu stärken, in der eine fragile israelische Identität mit einem Geflecht anderer Gruppenidentitäten konkurriert.

Internationalisierung des Konflikts

Schließlich gibt es in Israel momentan keine nennenswerte Opposition, die es mit Israels stärkster Lobby, der Siedlerbewegung, aufnehmen könnte. Die Arbeitspartei hat den nationalistischen Diskurs der Rechten übernommen und lehnt eine Allianz mit der Gemeinsamen Liste ab – der neuen großen Kraft in Israel, die für eine Zweistaatenlösung steht und die arabisch-palästinensische Minderheit repräsentiert.

Derweil steckt die PA in einem Dilemma. Ihre Legitimation hängt von ihrer Fähigkeit ab, palästinensische Nationalinteressen zu vertreten, gleichzeitig ist sie völlig von Israel und ausländischen Geldgebern abhängig und muss Israels Sicherheitsanforderungen mit repressiven Maßnahmen gegen die eigene Bevölkerung durchsetzen. Auch deshalb hat sie alles getan, um die von den Großmächten vorgegebenen Parameter auf dem Weg zur Zweistaatenlösung zu erfüllen. Vergebens. Ihre letzte verbliebene Karte ist die Internationalisierung des Konflikts, was bedeuten könnte, etwa den Internationalen Gerichtshof in die Pflicht zu nehmen, damit dieser Israel in die Schranken weist. Die Erfolgsaussichten sind jedoch mäßig, da das westliche Ausland auf solche Pläne bislang zögerlich bis ablehnend reagiert. Damit verstärken sich die Fliehkräfte: Im Gazastreifen folgte der physischen die politische Abspaltung. Die dort nun seit geraumer Zeit herrschende Hamas setzt nun auch verstärkt auf Repression und Einschüchterung, um ihre schwindende Popularität in der lokalen Bevölkerung zu kompensieren.

Alternative Lösungsansätze

Vor diesem Hintergrund lassen sich drei zivilgesellschaftliche Ansätze und Bewegungen auf palästinensischer Seite identifizieren, der israelischen Besatzung entgegenzutreten: Die eine fördert passiven Widerstand gegen die Vertreibung von Palästinensern aus der Westbank, etwa durch den Wiederaufbau von zerstörten Häusern, die zweite fordert Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) gegen Israel und die dritte eine gewaltfreie «Volksintifada» mit Demonstrationen und Streiks. Die Unterdrückungsmechanismen der israelischen Behörden und mehr noch der PA, die auf der Basis eines Systems von Patronage und finanzieller Abhängigkeit agiert, sowie die momentane Verfasstheit der palästinensischen Gesellschaft lassen kaum erwarten, dass irgendetwas davon realistisch bzw. zielführend ist. Die Option einer bewaffneten Intifada wird zwar immer wieder aufgeworfen, doch Israel scheint zu übermächtig und die Angst vor Krieg und Chaos angesichts der Fernsehbilder aus der Region sowie die Müdigkeit nach zwei bewaffneten Aufständen in der jüngeren Vergangenheit zu groß.

Folglich werden auf beiden Seiten vermehrt alternative Ansätze diskutiert, etwa das Konzept eines binationalen Staats oder neue Konföderationsmodelle, die es erlauben, kollektive Identitäten sowie individuelle Rechte zu berücksichtigen. Doch auch diese Lösungen stehen vor den gleichen Hindernissen wie die Zweistaatenlösung: dem Unwillen Israels, Privilegien der jüdischen Bevölkerung und die Kontrolle über die Palästinenser*innen aufzugeben.

Radikale Nationalisten preschen vor

Gleichzeitig haben die Ausweitung der israelischen Präsenz im Westjordanland und in Ost-Jerusalem und das Schweigen der internationalen Öffentlichkeit über die mehr als zehnjährige Abriegelung des Gazastreifens dafür gesorgt, dass in der israelischen Gesellschaft – von Rechtsaußen bis in die Mitte hinein – das Selbstbewusstsein und die Erwartungshaltung gewachsen ist, eine einseitige Lösung des Dauerkonflikts durchsetzen zu können. Während die Mehrheit der israelischen Rechten eine formelle Annexion zugunsten einer weiteren schleichenden Aneignung palästinensischen Lands präferiert, sind radikale Nationalist*innen mit der Forderung nach einer sofortigen Annexion von etwa 60 Prozent der Westbank vorgeprescht. Die Arbeitspartei spielt mit der Idee eines einseitigen Rückzugs aus großen Teilen der Westbank, will jedoch keine Siedlungen räumen. Und während die Rechten den Palästinensern lediglich begrenzte Autonomie innerhalb komplett von Israel kontrollierten Enklaven zugestehen wollen, plädiert die politische Mitte für einen Ministaat Palästina, der aber kaum volle Souveränität hätte.

Diese Ansätze ähneln der Forderung, die die Hamas – die sich heute zunehmend offen gegenüber einer Zweistaatenlösung zeigt – früher einmal mit umgekehrten Vorzeichen propagiert hat. Diese sah ein Land unter muslimische Vorherrschaft vor, in dem Juden weiterhin hätten leben können, allerdings ohne kollektive politische Rechte.

Umdenken in den USA und der EU

Sowohl die Zweistaatenlösung als auch die alternativen Lösungen könnten also durchgesetzt werden – mit genügend politischem Willen. Für eine Regelung, die auf Gleichberechtigung und Selbstbestimmung beruht und die Völker einer historischen Aussöhnung näher bringt, wären drei Entwicklungen bzw. Akteure nötig. Koloniale Prozesse enden fast immer durch den Widerstand der indigenen Bevölkerung, sprich: Die Palästinenser*innen müssten sich einigen und ihren Widerstand effektiv gestalten. Dann müsste sich eine innerisraelische Opposition zu einer echten Alternative entwickeln und einer noch friedenswilligen Bevölkerungsmehrheit reinen Wein einschenken.

Dem Ausland schließlich, allen voran Israels Alliierten, den USA und der EU, fiele angesichts der tiefen Asymmetrie des Konflikts eine gewichtige Rolle zu. Doch für Rechtspopulisten wie Trump oder Orbán treten Völker- und Bürgerrechte hinter der Macht des Stärkeren zurück und alte antisemitische Ressentiments werden um eine imaginierte Front zur Verteidigung eines jüdisch-christlichen Abendlands gegen den Islam ergänzt. Israel und die dort hegemoniale Rechte gelten dabei als Verbündete ersten Rangs. Die zugespitzte Lagerbildung führt aber in den USA gleichzeitig dazu, dass linke beziehungsweise liberale Kräfte – auch und gerade innerhalb der großen jüdischen Gemeinden – Israels Politik zunehmend infrage stellen und erheblichen Druck zugunsten einer gerechten Konfliktlösung ausüben.

Israels Linke hofft auf ein Umdenken in Europa

Israels Linke hofft auf ein ähnliches Umdenken in Europa. Sie wissen, dass auch in Europa die Positionen divergieren, dass illiberale Demokrat*innen, etwa jene, die in Polen oder Ungarn regieren, den israelischen Rechtsnationalismus mitunter als Vorbild betrachten. Deshalb hoffen sie, dass sich die europäische Linke – und hier ist auch die Linke im größten EU-europäischen Staat, Deutschland, aufgrund ihrer historischen Verantwortung und der weit verzweigten Beziehungen zwischen Deutschland und Israel besonders gemeint – an die Spitze derjenigen stellt, die für Bürger- und Menschenrechte eintreten.

Sie wünschen sich klarere symbolischen Positionierung, aber auch konkrete politische Schritte, die über die Zustimmung zu einer Zweistaatenlösung hinausgehen. So regt das sozialistische Knesset-Mitglied Dov Khenin die Anerkennung des Staates Palästina und von Ost-Jerusalem als seiner Hauptstadt an. Die bekannte Feministin und Knesset-Abgeordnete Aida Touma-Suleiman erinnert daran, dass Verträge der EU mit Israel Menschenrechtsklauseln beinhalten, die bislang kaum zur Geltung kommen. Und progressive Stimmen in Politik wie Zivilgesellschaft plädieren dafür, dass die Vorteile bi- und multilateraler Abkommen mit Israel weder für die völkerrechtswidrigen Siedlungen noch für ihre Einwohner*innen gelten dürfen.

Zuerst erschienen am 6. Januar 2018 in der tageszeitung http://taz.de/Debatte-Israel-und-Palaestina/!5472152/.

Tsafrir Cohen leitet das Israel-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv.

Weiterführende Links

Gemeinsam anders - Die Gemeinsame Liste und progressive Politik in Israel - Amoury, Hana, Yossi Bartal & Tsafrir Cohen

Lösungsmöglichkeiten aus heutiger Sicht - Tsafrir Cohen

Dokumentiert: Zwei Staaten, eine Heimat

Dossier: 50 Jahre Besatzung

Alles begann mit dem linken Fuß - Liat Shlesinger

Themenschwerpunkt: Die US-Präsidenten und Israel

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Autor:in

Tsafrir Cohen leitete das Israel-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv zwischen 2015-2020.